Interview mit "Tourism Watch" Soll man noch in Krisenländer reisen?

Bonn (RPO). Nach dem Umsturz in Tunesien brodelt es in Nordafrika. Tausende demonstrieren auch in Ägypten für demokratische Veränderungen. Beide Länder zählen seit langem zu den beliebtesten Reisezielen der Deutschen. Was Reiseveranstalter und Urlauber jetzt tun sollten, erklärt Heinz Fuchs von der Bonner Arbeitsstelle "Tourism Watch".

Tunesien - der Tag des Umsturzes
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Fuchs hält Reisen in diese Länder prinzipiell nicht für verwerflich - im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd wirbt er aber für eine menschenrechtlich orientierte Tourismusentwicklung:

Herr Fuchs, müssen überzeugte Tunesien-Urlauber angesichts der langjährigen Menschenrechtsverstöße in dem Land ein schlechtes Gewissen haben?

Fuchs: Mich erstaunt zumindest die plötzliche Debatte darüber. Offenbar ist in all den Jahren kein realistisches Bild dieses autoritär geführten Staates bei uns angekommen, obwohl Tourismus dort ja beileibe kein neues Phänomen ist. Tunesien galt lange als ruhiges, freundliches, aufgeschlossenes Urlaubsziel, obwohl das mit der politischen Realität nichts zu tun hatte.

Und Ägypten?

Fuchs: Dort konnte die stets freundliche Touristenpolizei offenbar erfolgreich darüber hinwegtäuschen, dass in den Gefängnissen um die Ecke gefoltert wurde. Viele Urlauber sehen den größeren Zusammenhang nicht. Obwohl es mich schon wundert, wie im Reisebus mit Polizeikonvoi ein Gefühl von Urlaub entstehen kann. Dass im Grunde jede Bewegung von den Reiseveranstaltern bei der Polizei gemeldet werden muss, tritt durch geschicktes Marketing völlig in den Hintergrund.

Sollten Reisende Urlaubsländer boykottieren, in denen es zu Menschenrechtsverstößen kommt?

Fuchs: Von einem Generalboykott halte ich nichts. Stattdessen sollte sich jeder im Vorfeld selbstständig informieren: Was bewirkt meine Reise? Wer profitiert von meinem Geld? Und leiste ich womöglich einen Beitrag zur Stabilisierung eines Unrechtsregimes? Man kann sich ja auch tatsächlich ein eigenes Bild vom Land machen, dem Alltag der Menschen aufgeschlossen begegnen und dann nach der Rückkehr sachkundig berichten.

Sind gestresste Urlauber zu diesem Blick hinter die Kulissen überhaupt bereit?

Fuchs: Das Marktpotenzial für sozialverantwortlichen Tourismus ist zweifellos vorhanden, das zeigen mehrere Studien und Umfragen. Immer mehr Menschen legen Wert auf Nachhaltigkeitskonzepte. Und Tourismus ist ein Teil unseres gesamten Konsumverhaltens.

Mehr Information durch die Veranstalter

Erwarten Sie mehr Initiative von den Reiseveranstaltern?

Fuchs: Die Reisebranche müsste Hilfestellung leisten und Urlaubern durch ehrliche Beratungsangebote eine verantwortliche Entscheidung ermöglichen. Da spielen Aspekte wie politische Unterdrückung und Bürgerrechte eine Rolle, aber auch Ressourcenschutz und Wasserknappheit. Umgekehrt sollten wir unsere Vorstellung von Urlaub ändern: Weg von der Reise ins Paradies mit seinen touristischen Sehenswürdigkeiten, hinein in den Lebensalltag der Menschen. Der authentische Kontakt mit der Bevölkerung wird meist sehr positiv empfunden.

In der Schweiz gibt es einen Reiseanbieter, der für teures Geld Abenteuerurlaub in Krisengebieten wie dem Irak, Afghanistan und Somalia ermöglicht ? was halten Sie davon?

Fuchs: Es gibt in jedem Wirtschaftszweig Extreme, die den Wunsch nach den höchsten Gipfeln und immer neuen Spannungsmomenten bedienen. Ich kann aber nicht sehen, dass das etwas mit der Idee von Urlaub, Völkerverständigung und Lernen durch Reisen zu tun hat. Es ist der Versuch, rücksichtlos den letzten Kick zu bieten und aus den Krisen dieser Welt ein Geschäft zu machen.

Das konnten wir schon damals in Südostasien beobachten, wo sich nach der Tsunami-Welle sehr schnell ein regelrechter Katastrophentourismus herausgebildet hat. Da wurden dann die Unfallstellen mit den meisten Opfern von Reisebussen angefahren. Seriöse Veranstalter halten sich von so etwas grundsätzlich fern.

(apd/mais)
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