Italiens Nordwesten Piemont: Ciao bella Biella

Biella (RP). Wer Piemont hört, denkt zuerst an Top-Weine wie Barolo und an sündhaft gute, wenn auch gehaltvolle Küche. Doch die Region im Nordwesten von Italien hat viel mehr zu bieten: touristisch noch kaum erschlossene Städtchen.

Piemont - ein kleiner Einblick
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Foto: ENIT

An klaren Tagen könne man von dort oben aus den Mont Blanc sehen und über die Po-Ebene bis weit in die Lombardei blicken, heißt es im Tal. Dort oben ist Oropa, einer der wichtigsten Wallfahrtsorte der Alpen. 1200 Meter über dem Meeresspiegel. Doch es ist Herbst im Piemont, der nordwestlichsten Region Italiens, und das bedeutet Nebel. Vom Zentrum des Provinzstädtchens Biella aus schraubt sich die Straße in Serpentinen Richtung Oropa. Vorbei an Villen mit Zitronenbäumen in den Gärten und dem morbiden Charme Hundertjähriger. Vorbei an Buchen und Kastanien, die mit jeder Kurve weiter im Nebel versinken.

Nur langsam gibt der herbstliche Dunst die Silhoutte des Santuario Oropa frei. Das Ensemble auf drei Ebenen im piemontesischen Barockstil gehört seit 2003 zum Weltkulturerbe. Vor 2400 Jahren soll der Heilige Eusebius die Schwarze Madonna aus Jerusalem hierhergebracht haben. Jetzt steht die hölzerne Statue in der alten Kapelle und lockt Jahr für Jahr 800000 Besucher an. Die Madonna soll viele Wunder vollbracht haben. Davon zeugen Hunderte Votivbilder, mit denen Pilger ihren Dank ausdrücken - weil sie einen schweren Unfall überlebten, ein wichtiges Fußballspiel gewannen oder vor einem Feuer fliehen konnten.

Der Nebel senkt sich wie Blei über die historische Kulisse und verleiht ihr etwas Himmlisches. Das mächtige Bergpanorama ist nur zu erahnen. Oropa, dessen Name an das Goldgräberfieber (oro: italienisch Gold) erinnert, das in der Umgebung übrigens bis heute mit sportivem Ehrgeiz grassiert, ist jedoch nicht nur ein Ort der Pilger. In der Nestwärme der Restaurants und Cafés mischen sich auch viele Kulturreisende und Bergwanderer unter die Gläubigen.

Weltlicher und gefühlte sieben Grad wärmer ist es elf Kilometer talwärts in Biella, einer kleinen, wohlhabenden, konservativen Stadt. Sie ist geprägt von hochwertiger Wollproduktion, und Arbeitslosigkeit war nie ein ernsthaftes Thema. Textil-Dynastien wie Zegna und Cerruti machten Biella weltberühmt. In ihren Outlet-Stores kommen modebegeisterte Schnäppchenjäger auf ihre Kosten - Männer übrigens mehr als Frauen.

Einige der Wollfabriken entlang des Flusses Cervo haben die Produktion inzwischen eingestellt. In die Industriedenkmäler ist jedoch längst neues Leben eingezogen: Der Arte-Povera-Begründer Michelangelo Pistoletto hat in einer ehemaligen Tuchfabrik mit der Città dell‘Arte ein Forum für junge Künstler aus aller Welt geschaffen. Nicht weit entfernt gewähren Anna und Guido Azario Einblicke in ihr mehr als 300 Jahre zurückreichendes Textilarchiv Pria mit Proben, aus denen namhafte Designer wie Valentino, Armani und Fendi Stoffe für ihre Kollektionen auswählten.

Ab 17 Uhr gehört Biella der "Passegata", dem ausgiebigen Flanieren, wie es in vielen Städtchen Italiens üblich ist. Trotz des unbestritten vorhandenen Reichtums muss man jedoch genau hinschauen, um ihn zu entdecken. Etwa in der Oberstadt, in die der Besucher per Zahnradbahn dem gemäßigten Trubel der Unterstadt entfliehen kann. Während von den Außenwänden der Renaissance-Ensembles der Putz bröckelt, spiegelt ihr Inneres, beispielsweise im Palazzo La Marmora, wunderbar erhalten den Prunk der Vergangenheit.

Orangen zu Karneval

Bekannt ist das Piemont vor allem für seine Weine - den Barolo, den Barbera, den Erbaluce und den Canavese. Natürlich auch für seine Küche - die weißen Trüffel, die Polenta, den Toma-Käse, die Süßspeisen. Zwischen Weinbergen und Kastanienwäldern liegen die bislang wenig beachteten Schätze der Region, kleine Städte wie Biella, die noch nicht in jedem Reiseführer stehen und gerade deshalb so echt italienisch sind. Wie Ivrea am Eingang des Aostatals, wo sich die Bewohner zu Karneval mit Orangen bewerfen und wo die architektonisch bemerkenswerten Olivetti-Werke stehen. Oder die 55000-Einwohner-Stadt Cuneo im äußersten Südwesten, wo jeden Dienstag die Bauern aus den umliegenden Tälern auf dem größten Wochenmarkt Italiens ihre Waren feilbieten. Oder Asti, wo die Kirchen sonntagvormittagss so voller Leben sind, dass es eine Freude ist, an eine Säule gelehnt nur zuzuschauen.

Ein Stück Italien für Liebhaber. Im Herbst. Wenn das Piemont nach gerösteten Maronen riecht. Nach gehobelten Trüffeln schmeckt. Und sich in Nebelschwaden hüllt.

(alfa)
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