Der Anti-Reiseführer Orte, die man knicken kann

Düsseldorf (RP). Auch in diesem Sommer sind wieder Millionen Menschen unterwegs, um die Sehenswürdigkeiten der Welt zu erkunden. Autor Dietmar Bittrich rät davon dringend ab: Die meisten Touristenziele sorgen nur für Enttäuschung.

Sehenswürdigkeiten, die man vergessen kann
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Jetzt verreisen alle wieder: nach Paris oder London, auf die Seychellen oder die Malediven. Und schwärmen nach dem Wiederkommen vom Eiffelturm oder tropischen Traumstränden. Die Daheimgebliebenen haben ab sofort die besseren Argumente — mit dem Buch "1000 Orte, die man knicken kann" machen sie den Heimkehrern das Leben schwer. Da heißt es über den Eiffelturm: "Sechs Millionen Touristen pro Jahr stellen sich an. Weil viele von ihnen aus Verzweiflung über den schlechten Blick in die Tiefe sprangen, ist die Plattform in fast 300 Meter Höhe seit einiger Zeit verglast."

Und über den Londoner Piccadilly Circus ist zu lesen: "Eine Straßenkreuzung, die in der Zeit des britischen Kolonialimperialismus für den Mittelpunkt der Welt gehalten wurde. Heute treffen hier Touristengruppen zusammen, die sich fragen, warum sie hier sind. Zu sehen ist immerhin eine überlebensgroße Coca-Cola-Reklame (abends beleuchtet)." Geschrieben hat das Dietmar Bittrich. Er will die Touristenattraktionen als das entlarven, was sie sind — "Sehenswurstigkeiten", die Urlauber getrost vergessen können.

"Natürlich ist der Druck auf die Urlauber groß", gibt der Autor zu. Er selbst sei erst kürzlich in Vancouver gewesen. Den Aufschrei von Freunden daheim — "Waaas, und du warst nicht auf Vancouver Island?" — hat er nicht vergessen. Immerhin erspare es viel Frust, Touristenfallen nicht zu besuchen.

Mehr Scheidungen nach Venedig-Besuch

Das beste Beispiel sei Venedig: "Studien beweisen, dass nach dem Besuch dieser Stadt das Scheidungsrisiko steigt", sagt der 58-Jährige. Denn die romantischen Erwartungen werden nicht erfüllt. Der Markusplatz sei ein Taubenklo, Schiffe seien so eng bepackt wie Flüchtlingsboote, und der "morbide Charme" bestehe aus Schimmel und Dreck. Andererseits: "Wer in seiner Liebesbeziehung unsicher ist, sollte auf jeden Fall hin — die Stadt ist der Härtetest", rät der Urlaubsexperte.

In seinem Buch scheut Bittrich kein umstrittenes Thema. So schreibt er über Südafrika: "Laut Statistik ist für eine in Südafrika geborene Frau die Wahrscheinlichkeit, sexuell missbraucht zu werden, höher als die, lesen und schreiben zu lernen. Urlauberinnen, die bereits lesen und schreiben können, können das Land unbeschwert genießen, zumindest die menschenleeren Gebiete und die als sicher ausgegebenen Bezirke von Kapstadt." Meist ist er nur gemein: Durch den Bosporus werde Istanbul zur Stadt an einem kilometerlangen Abwasserkanal, in New York gebe es zu viel stopfendes Fast Food: "Wer sich nur eine Woche dort aufhält, kann getrost ein Zimmer ohne Klo buchen, es sei denn, er muss kotzen", schreibt Bittrich.

Seine zynische Sichtweise auf Urlaubsreisen hat er auf zahlreichen Kreuzfahrten gewonnen. Als Autor war er dort Teil des Unterhaltungsprogramms. "An den Reaktionen auf die Ausflüge kann man die Qualität der Sehenswürdigkeiten ablesen", erzählt Bittrich. "Die Touristen kommen nicht einfach zum Schiff zurück, sie flüchten!" Studien hätten bewiesen: Das Schönste am Urlaub seien die Vorfreude und später die Erleichterung, wieder zu Hause zu sein.

Bittrich selbst macht übrigens in diesem Jahr keine große Reise: Er entspannt beim Meditationsseminar. Danach überlegt er, ein weiteres Buch über Sehenswürdigkeiten zu schreiben, die man knicken kann — nämlich über deutsche. "Da fallen mir sicher noch einmal 1000 Orte ein."

Info:

Der Autor: Dietmar Bittrich, Jahrgang 1952, nahm am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teil. Er lebt in Hamburg. Fernweh ist auch Thema seines Anti-Reiseführers "Urlaubsreif" (Hoffmann und Campe, 14,95 Euro).

Buch "1000 Orte, die man knicken kann", Rowohlt Verlag, 8,95 Euro.

(RP)
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