Nirgendwo gibt es mehr Moscheen Marokko: Die Altstadt von Fes

Die Altstadt von Fes, die alte Königsstadt, gilt als geistige Hauptstadt Marokkos. Nirgendwo gibt es mehr Moscheen und Koranschulen.

Als 1776 in Amerika die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet wurde, war es der König von Marokko, der als erstes Staatsoberhaupt der Welt der jungen Nation gratulierte. Eine Menge ist seither in der Neuen Welt anders geworden. In Marokko blieb vieles beim Alten.

Baaaleeek! Aus dem Weg! Hufe knallen auf das Pflaster. Wer den Warnruf vernimmt, sollte sich schleunigst an die nächste Wand drücken. Eselalarm. Rund 3000 Lasttiere sind das einzige Transportmittel in der Medina, der Altstadt von Fes. Für Autos, selbst für Karren, sind die Gassen viel zu eng. Mit gehörigem Tempo drängen Treiber und Tier vorbei, beladen mit Messinggefäßen, Lebensmitteln, Möbeln im nicht abreißenden Strom von Menschen.

Ein Bild, wie im arabischen Mittelalter. 400000 Menschen bevölkern Fes el Bali, den ältesten Teil der früheren Königsstadt, ein Labyrinth, von dem bis heute kein Plan existiert. Von Sonnenaufgang bis zum Einbruch der Dunkelheit sind sie unterwegs. Zu den unzähligen kleinen, offenen Geschäften rechts und links des unübersichtlichen Knäuels aus Verbindungspfaden, die sich über Kilometer durch die Stadt ziehen. Man muss sich mittreiben lassen. Zu den Töpfereien. Schneidereien. Lederläden. Schmuckverkäufern. Färbern. Schlachtern. Webern. Bäckern, die den Ofen hochheizen, in dem die Leute ihren selbst gemachten Teig backen. Scherenschleifern. Süßigkeitenhändlern. Sie alle sind Meister in ihrem Fach. Seit Generationen - in Räumen von oft nur vier bis fünf Kubikmetern Größe. Im Gerberviertel der Medina stehen Männer wie vor Jahrhunderten knietief in großen Farbbottichen, um mit nackten Beinen die Tierhäute zu walken.

Der Markt von Fes ist einer der größten der Welt. Im 8. Jahrhundert vom damals erst 16-jährigen Herrscher Moulay Idriss gegründet, wurde die Stadt zum Ausgangspunkt der Arabisierung Marokkos. Kulturell und geistig ist Fes die heimliche Hauptstadt des nordafrikanischen Landes geblieben. Nirgendwo gibt es so viele Moscheen und Koranschulen. Und es gibt eine Pracht, die sich dem Besucher meist erst durch einen Insider-Tipp hinter alten, unscheinbaren Mauern eröffnet: Hotels und Restaurants, die durch keinerlei Werbung auf sich aufmerksam machen, obwohl es sich um kleine Paläste handelt.

Faszinierend: Gerade heraus aus dem Gewühl der Menschen, aus der Enge der Gassen, der schweren staubigen Luft in der Medina tritt man in hohe, lichte Räume mit Galerien, kunstvoller Verglasung und Mosaiken auf Böden und Wänden. Die dicken Mauern bewahren am Tag eine angenehme Kühle. Hier wird die traditionelle marokkanische Küche geboten: Salate in allen Variationen, dazu Tajine, ein Fleischtopf mit Lamm oder Rind, und Haria, die würzige Tomatensuppe. Nationalgetränk ist der mit frischer Minze gebrühte Tee mit reichlich Zucker.

Massentourismus scheint für Marokko - abgesehen vielleicht von den Stränden bei Agadir - noch ein fremdes Phänomen. Studienreisenden hingegen bietet sich eine Vielzahl von Möglichkeiten, Einblicke in die arabische Kultur zu erlangen: Seit knapp einem Jahrzehnt wächst die Zahl der so genannten Riad-Hotels, die sich auf traditionelles Wohnambiente und landestypische Küche spezialisiert haben. Drei bis maximal fünf Suiten in jahrhundertealten Häusern mit antikem Mobiliar, das dennoch keinen Komfort vermissen lässt, Bäder mit filigranen Mosaiken lassen eine Atmosphäre von 1001 Nacht aufkommen.

Marokko - Land der Gegensätze: Üppiger Luxus und mittelalterliche Einfachheit liegen nirgendwo so dicht beieinander wie in Fes. Ein Palast erhebt sich auf einer Anhöhe über der Medina: Das Palais Jamai. Errichtet 1879 vom Sultan Moulay Hassan Jamai im arabisch-maurischen Stil wird es seit den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts als Fünf-Sterne-Hotel genutzt und gilt mit seinen prächtigen andalusischen Gärten als die schönste Nobelherberge Marokkos. Von hier aus kann man die ganze archaische Stadt überblicken, die noch vollständig von einer 16 Kilometer langen Mauer umgeben ist, und aus der - wie vor 500 Jahren - nicht ein Maschinenlaut herausdringt.

So hat sich Marokko bislang noch viel von seiner Ursprünglichkeit bewahrt. Und mögen die Unterschiede zu Amerika seit der Unabhängigkeitserklärung auch weiter wachsen, so ist doch eines beim Alten geblieben: Noch heute beziehen die USA große Mengen an grünem Farbstoff, der aus den in Marokko wachsenden Eukalyptussträuchern gewonnen wird. Die Farbe wird für die Herstellung der Dollar-Noten benötigt. Sie gilt als fälschungssicher.

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