Frankreichs Cote d'Azur lädt ein Karneval in Nizza

Keine Lust auf rheinische Narren? Warum dann nicht zum Karneval nach Nizza? Zu Blumen und einem Pappkameraden.

Kaum öffnet sich die Tür nur einen Spalt, dringt aus der heruntergekommenen Garage schon ein süßlicher Geruch. Er sticht in der Nase, setzt sich in jeder Pore fest. Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Rund 40 Menschen arbeiten dort Tag und Nacht. Zumindest vor Karneval. Die Floristen der Stadt Nizza leisten vor dem Startschuss zu den ausgelassenen Tagen Schwerstarbeit. Für den Blumenkorso, martialisch ausgedrückt "La Bataille de Fleurs", dekorieren sie 20 Festwagen mit unzähligen Blumen. Die Blumenschlacht zählt zu den Höhepunkten des Karnevals, der für zwei Wochen die Bevölkerung der fünftgrößten Stadt Frankreichs auf Trab bringt.

Pro Gefährt verarbeiten die Floristen 3000 Blüten - Gladiolen, Chrysanthemen, Gerbera, Margeriten, Rosen, Nelken und gelbleuchtende Mimosen. 90 Prozent der benötigten Blumen stammen aus den Anbaugebieten vor Ort, der Rest aus den französischen Übersee-Departements Martinique oder Guadeloupe.

"Es ist eine Ehre"

Anstrengung und Stress haben ins Gesicht von Alain Rogié tiefe, dunkle Ringe gegraben. Der Innungsvorsitzende schlägt sich seit geraumer Zeit die Nächte um die Ohren. Tagsüber steht er in seinem eigenen Geschäft und verkauft Sträuße. Nachts schneidet er in der Garage Steckmasse zu, biegt Draht zu Kugelgerüsten, die er mit Pappmaché bedeckt - rund 72 Stunden brauchen die Blumenmeister für die Fertigstellung ihrer Gebilde. Das Material (rund 1500 Euro pro Wagen) zahlt das Fremdenverkehrsamt, die Zeit opfern die Floristen gerne. "Es ist eine Ehre für uns, hier mitzumachen", sagt Rogié, dessen Vater auch schon Karnevalswagen geschmückt hat. Die Blütenkünstler müssen sich für die "Bataille" mit guter Arbeit qualifizieren. "Uns macht es trotz der Mühe Spaß. In unseren Geschäften haben wir für solche Gestecke gar keinen Platz", erzählt Monsieur Rogié.

Rund 1,3 Millionen Besucher tummeln sich jedes Jahr zur Karnevalszeit in Nizza. Das Fest hat eine lange Tradition: Schon 1294 verbrachte Charles d'Anjou, Graf der Provence, dort die lustigen Tage. Der erste Umzug führte 1830 durch die Stadt. 1873 gründete sich das Festkomitee. Karneval in Nizza ist ein Karneval zum Angucken, nicht zum Mitmachen

Spaghetti aus der Sprühdose

Für echte Rheinländer erinnert das Spektakel wenig an Altbekanntes. Etwas verwundert blicken sie auf das Treiben. Und deshalb ist Nizza auch für alle, die vor der Narretei hierzulande flüchten wollen, das richtige Reiseziel. Denn an der Côte d'Azur ist alles anders, edler, eleganter, gesitteter: Der Prinz ist dort ein König. Die Tribünen und der Zutritt zu den abgesperrten Festplätzen kosten Eintritt. Statt Bonbons fliegen Konfetti (15 Tonnen jedes Jahr) und Spaghetti. Die kommen allerdings aus der Dose - einer Sprühdose. Aus ihnen schießen die Besucher bunte, lange Kunststoffschnüre in die Menge. Die Stimmung ist freudig, aber nicht so ausgelassen wie am Rhein. Niemand braucht Sorge vor plötzlichen Bütz-Attacken von Piraten oder ausgewachsenen Gorillas zu haben. "Die Leute verkleiden sich hier nicht und gehen nach den Paraden nach Hause, nicht in die Kneipen zum Weiterfeiern", berichtet Carlos Schneider, ein Journalist aus Luxemburg.

Carlos Schneider ist wie viele seiner Zunft an der Gestaltung der Motto-Wagen beteiligt. Erst recht zu Karneval ist auch in Frankreich der kritisch-komische Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen erlaubt. Zeitungskarikaturisten liefern die künstlerischen Vorlagen für Plakate und Figuren, die auf Anhängern und Traktorschaufeln im Umzug mitfahren. Für die Ankunft des Königs Karneval, "Triboulet" genannt, leuchten hunderttausende Glühlämpchen auf der Place Masséna und tauchen den royalen Jecken in festliches Licht. Der Pappkamerad gestattet den Menschen Ausgelassenheit und Übermut und bezahlt dafür am Ende mit seinem Leben. Auf einem Scheiterhaufen endet für ihn das Fest.

Abseits des karnevalistischen Getümmels

Durch eine Gasse erreicht man schnell den Cours Saleya. Dort gibt es Nizzas urtümlichen Markt, auf dem schon 1897 Händler ihre Waren anboten. Ein Bummel vorbei an den Ständen mit Obst, Gemüse, Blumen und Gewürzen bietet sich an. Und wer vom bunten Treiben hungrig ist, der kann im Freiluft-Imbiss "Chez Theresa" eine Socca essen. Marktfrau Suzie Achor bereitet den riesigen Pfannkuchen aus Kichererbsenmehl über offenem Feuer zu. Die Temperaturen laden zu dieser Jahreszeit in Nizza durchaus schon zum Draußensitzen und Schlemmen unter freiem Himmel ein.

In der abgesperrten Jecken-Zone warten derweil die Schaulustigen auf die "Bataille de Fleurs". Straßenkünstler aus aller Welt - fantastische Elfen, Wagemutige auf drei Meter hohen Stelzen oder Feuer speiende Drachen - kündigen den Umzug an. Die Wagen fahren die Strecke zwischen dem Théâtre de Verdure und dem Hôtel Négresco zweimal. Beim ersten Durchgang bewundern die Zuschauer noch die kunstvollen Blüten-Gestecke. Im zweiten plündert dann die Besatzung der Gefährte die Dekoration und schleudert die Blumen, vor allem Unmengen an Mimosen, unter das Volk. Und wenn Sachen zum Schnappen auf einen zu fliegen, dann packt es einen doch: das Karnevalsfieber - auch an der Côte d'Azur.

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