Adventsserie (7) Die Pilger von Lourdes

Düsseldorf (RP). Sechs Millionen Pilger kommen jedes Jahr nach Lourdes. Was zieht so viele Menschen in diesen Wallfahrtsort? Manche hoffen auf ein Wunder. Doch viele kommen, weil dort Nächstenliebe Alltag ist.

Die Pilger von Lourdes (7)
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Es liegt etwas Oberflächliches in unserer Zeit, ein eiliger Unernst, ein Mangel an Tiefe. Dem Alltag schadet das nicht weiter. Die Schnellen, Gewitzten sind ohnehin erfolgreicher als die Grübler. Doch viele empfinden ein Unbehagen im beschleunigten Betrieb, spüren die Schalheit eines nur getriebenen Lebens.

Dagegen setzen manche Menschen Lourdes. Sie pilgern in dieses französische Städtchen am Rande der Pyrenäen, weil sie dort innehalten, beten, über sich hinaus denken können. Weil ihre Gedanken dort jene Tiefe zurückgewinnen, für die es im Alltag oft nicht reicht. Für Pilger ist die Grotte von Lourdes ein Besinnungsort. Vor jener Felsnische am Ufer des Bergflusses Gave, an der dem Müllersmädchen Bernadette Soubirous 1858 eine weiße Dame erschien, die sich als die "Unbefleckte Empfängnis” zu erkennen gab, können sie still werden, zu sich kommen, sich in Gedanken und Empfindungen versenken. Und manchmal steigt in ihnen dann etwas auf, das nicht vom Verstand gefiltert ist ­ etwas Wahres, das berührt.

Manche nennen das Transzendenzerfahrung. Andere sagen einfach, dass Lourdes ein Platz ist, der ihnen Kraft gibt. Die Grotte, dieses raue, etwas düstere Fleckchen Natur, ist jedenfalls ein Ort wider die glatte, gehetzte Alltagswelt, dort können Gedanken wuchern.

Manchen ist jedoch gerade dieser Platz viel zu trubelig, drängen sich doch jedes Jahr sechs Millionen Pilger in das Tal von Lourdes, entwickeln vielsprachige Geschäftigkeit, auch an den sensiblen Stellen. Wallfahrtsorte können ablenken vom Eigentlichen.

Doch gibt es in Lourdes auch bei höchstem Betrieb Orte der Sammlung: Den alten Kreuzweg etwa, der hinauf in die Berge führt, fort aus dem Getümmel. Oder das Ufer des Gave, dessen Rauschen alles Gerede schluckt. Oder die Kerzengasse gleich neben der Grotte. Dort kann man sich vor die kleinen Waggons stellen, in die Gläubige ihre Lichter stecken, seinen Blick im Kerzenschein verschwimmen lassen und warten, was einem in den Sinn kommt.

Doch Lourdes ist nicht nur ein Rückzugsort. Dort gibt es auch genau die umgekehrte Bewegung: Menschen, die sich öffnen für andere, die nach Lourdes pilgern, um zu helfen. 100.000 Freiwillige kümmern sich jedes Jahr um die vielen Kranken, die in den Marienwallfahrtsort kommen, weil sie auf Heilung hoffen. Manche beten für ein Wunder, für eine Gesundung, die sich beim aktuellen Stand der Medizin nicht erklären lässt.

Manche kommen auch, weil sie in Lourdes Fürsorge, Nähe, Zärtlichkeit erleben ­ und erfahren darin Heilung. Jedenfalls verkennt der Besucher den Geist von Lourdes, wenn er nur nach dem Spektakel-Wunder fragt, statt in die Gesichter der vielen Menschen zu schauen, die in Rollstühlen durch die Stadt geschoben werden. Man kann in vielen dieser Gesichter lesen, dass Lourdes ein segensreicher Ort ist ­ und ein heiterer dazu, obwohl so viele leidende Menschen dorthin kommen. Kranke sind in Lourdes nicht allein, sie sind ganz selbstverständlich Teil der Gemeinschaft. Nächstenliebe ist dort nicht nur frommer Vorsatz, sondern sichtbarer Alltag.

Darum nimmt Lourdes für sich ein. In diesem Bergstädtchen mit der Wundergrotte sind Menschen unverkrampft gut zueinander. Sie üben sich in Mitmenschlichkeit, jeden Tag. In Lourdes kann man ahnen, dass eine andere Welt möglich wäre. Bloch nennt diese Ahnung das Prinzip Hoffnung.

(RP)
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