Masurische Seenplatte Auf dem Weg der Schwäne

Piekna Gora · Masurens Seen sind ein Paradies für Segler, Paddler und Hobbykapitäne. Die Natur lässt sich vor allem in der Nebensaison genießen. Im Sommer droht auch Remmidemmi.

 Entschleunigung durch Paddeln in Masuren: Diese Urlauber sind mit dem Kajak unterwegs auf dem Fluss Krutynia.

Entschleunigung durch Paddeln in Masuren: Diese Urlauber sind mit dem Kajak unterwegs auf dem Fluss Krutynia.

Foto: dpa-tmn/www.mazurypttk.pl

Skipper Krzysztof Nowosielski kann das Wetter einschätzen „Das wird ein perfekter Segeltag“, sagt er. Seit 40 Jahren ist er mit dem Segelboot in den Gewässern seiner Heimat unterwegs, in der Masurischen Seenplatte in Polens Nordosten. In der kleinen Marina von Piekna Gora betrachtet Nowosielski die sanft schaukelnden Segel- und Motorboote. Am Horizont zeigen sich Schönwetterwolken. Der Profi setzt die Segel seines schmucken Bootes, dann geht es los. Auf dem „Weg der Schwäne“, der Lieblingsroute des Polen.

Ein leichter Gegenwind zwingt den Skipper zum ständigen Kreuzen. In den windgeschützten Engstellen zwischen den Inseln, die unter Naturschutz stehen, geht es an diesem Tag nur langsam voran. Am Ufer ist nicht viel los. Ein Angler verfolgt mürrischen Blickes einen Kormoran, der offensichtlich erfolgreicher ist als er selbst.

Jetzt dreht der Wind, und Nowosielski nutzt eine Passage zwischen den Inseln, um auf den großen Kisajno-See zu gelangen. Seine Kalkulation geht auf. Über die Wasserfläche weht eine stärkere Brise. Sie strafft die Segel, das Boot gewinnt an Fahrt. Mit Genugtuung schaut der Pole auf seine Handy-App, die erst sechs, dann sieben und schließlich zehn Stundenkilometer anzeigt. Das Boot neigt sich, die Schnüre am Vorderdeck surren vibrierend.

Immer öfter lässt sich auch die Sonne blicken. Geschmeidig gleitet das Boot über das Wasser. Ab und an lassen sich Schwäne und Enten blicken. Und es geht an Biberburgen vorbei. Nur wenige Segler sind unter der Woche unterwegs, auch die Hausboote machen sich rar. „In der Vor- und Nachsaison ist es bei uns am schönsten“, sagt Nowosielski. Dann überzieht Herbstlaub die Seeufer, Vogelschwärme ziehen gen Süden, auf den Campingplätzen kehrt Ruhe ein, und es ist unproblematisch, auch kurzfristig ein Zimmer zu buchen.

 Das renovierte und nach Galkowo versetzte ehemalige Jagdhaus der Lehndorffs ist ein Ort der Begegnung - polnische Schüler schauen ebenso vorbei wie deutsche Urlauber.

Das renovierte und nach Galkowo versetzte ehemalige Jagdhaus der Lehndorffs ist ein Ort der Begegnung - polnische Schüler schauen ebenso vorbei wie deutsche Urlauber.

Foto: dpa-tmn/Michael Juhran

In der Hochsaison im Juli und August tummeln sich dagegen bis zu 10.000 Boote gleichzeitig auf den Seen, manchmal sind es sogar bis zu 12.000. „Dann wird es selbst auf den riesigen Seeflächen dicht und laut“, erzählt der Skipper. Wenn er eines nicht ertragen kann, dann sind es die rumorenden Jet-Skis oder hochmotorigen Sportboote, für die nur Geschwindigkeit zählt. Plastikmüll nach durchzechten Nächten zeigt, dass es einer bestimmten Klientel nicht um unverwechselbare Naturerlebnisse geht, für die die meisten Besucher Masuren eigentlich aufsuchen. Solche Gäste suchen eher Ausschweifungen.

Viele Wassertouristen chartern für ihren Urlaub direkt vor Ort Segel- und Motorboote. Masuren ist für die Freizügigkeit der Charterfirmen beim Verleih von Booten ohne Segelschein oder Motorbootführerschein bekannt. Einerseits ist es angenehm, unkompliziert Jachten von bis zu acht Metern Länge und mit PS-starken Motoren chartern zu können. Andererseits überschätzen sich manche Bootsführer auf Zeit und schaden der Natur, ihren Mitmenschen – und sich selbst.

 Die Krutynia zweigt vom Sniardwy-See in südlicher Richtung ab und führt durch eine Heidelandschaft.

Die Krutynia zweigt vom Sniardwy-See in südlicher Richtung ab und führt durch eine Heidelandschaft.

Foto: dpa-tmn/www.mazurypttk.pl

Einer, der ständig mit der Unbedachtheit vieler Urlauber konfrontiert wird, ist Karol Dylewski von der Zentrale des Seerettungsdienstes in Gizycko. In der vergangenen Saison mussten er und seine Helfer 374 Personen aus Notsituationen retten. Dylewski klagt: „Leider lesen viele Wassersportler keine Karten. Würden sie es tun, ließen sich zahlreiche Unfälle durch Kollisionen mit Steinen an seichten Stellen vermeiden.“ Dabei kostet eine gute Karte mit allen Informationen, die auch in der örtlichen Tourismusinformation erhältlich ist, gerade einmal vier Euro.

Karol rät jeder Besatzung, sich außerdem die Rettungs-App „Ratunek“ aufs Smartphone zu laden. Damit lässt sich ein in Not befindliches Boot in kürzester Zeit lokalisieren. „Von unseren sieben Standorten in der Hochsaison und vier in der Nebensaison können wir dank dieser App jeden Notfall in maximal 15 Minuten mit unseren Rettungsbooten erreichen“, sagt Dylewski. Doch am liebsten wäre es dem Nothelfer natürlich, wenn es gar nicht erst dazu käme.

Rafal Ciechanowics in der Marina von Gizycko kümmert sich darum, Notfällen möglichst vorzubeugen. Für weniger geübte Segler gibt es in dem erst vor sechs Jahren fertiggestellten, modernen Hafen eine Segelschule mit Angeboten für jeden Gast – vom Crashkurs bis zum Segelschein. „Jeder Wassersportler kann sich bei uns Tipps und Informationen abholen, wie er seinen Urlaub glücklich und unfallfrei verbringen kann“, sagt Ciechanowics. „Wir verfügen inzwischen über eine Vielzahl von Hilfsmitteln wie Apps oder Warnblinkmasten, die vor schlechtem Wetter warnen. Man muss sie nur kennen.“ Doch nicht alles kommt wie gewünscht voran. Der Bau neuer offizieller Liegeplätze könne mit der wachsenden Anzahl der Boote nicht mithalten.

Wesentlich niedriger ist das Unfallrisiko für Reisende, die mit eigener Muskelkraft auf den kleinen Flüssen unterwegs sind, die sich durch die Landschaft winden. Die Verbindungsadern zwischen den Seen locken nicht nur Kajakfahrer aus ganz Polen an. Zunehmend nutzen auch ausländische Urlauber die robusten Plastikboote, die man allerorts mieten kann. Besonderer Beliebtheit erfreut sich der Krutynia-Fluss, der vom größten See, dem Sniardwy-See, abzweigt und in südlicher Richtung durch eine Heidelandschaft führt. Auch dort gilt: Die Nebensaison ist die beste Reisezeit. Im Hochsommer verwandeln sich Streckenabschnitte zuweilen in Picknick- oder Partyzonen.

Wer seinen Urlaub für den Herbst oder das Frühjahr bucht, dem offenbart sich die ursprüngliche, melancholische Schönheit der Region. Im Unesco-Biosphärenreservat am Luknajno-See oder vom Aussichtsturm des benachbarten Sniardwy-Sees wirken die gigantischen Seen-, Schilf- und Wiesenareale magisch und beruhigend zugleich. Zum Beispiel, wenn sich der Morgennebel langsam auflöst.

Beschaulich geht es auf der Strecke vom Kruklin- zum Goldopiwo-See zu. Enge Passagen zwischen Schilf wechseln sich ab mit offenen Seelandschaften voller Schwäne und Enten. Die Sapina – eher Bach als Fluss – ist gerade breit genug, um geschmeidigen Kajaks die Durchfahrt zum Goldopiwo-See zu gewähren. Über Seen und Kanäle kommt man von hier aus paddelnd in das westlich gelegene Sztynort mit einem der größten Jachthäfen, alternativ klappt es per Fahrrad.

In dem Dorf begegnet man der wechselvollen deutsch-polnischen Geschichte. Im Zweiten Weltkrieg machte der deutsche Außenminister Joachim von Ribbentrop das Landschloss der Familie Lehndorff zum Feldquartier. Nachdem Heinrich Graf von Lehndorff wegen seiner Beteiligung am Hitler-Attentat von den Nazis hingerichtet worden war, besetzten russische Truppen das Schloss. Später übergab man es einer Genossenschaft zur Nutzung. 2009 ging das inzwischen verfallene Schloss an die Polnisch-Deutsche Stiftung Kulturpflege und Denkmalschutz, die das Gebäude nach umfangreicher Sanierung als Begegnungsstätte nutzen will. Noch fließen die dafür notwendigen Mittel sehr spärlich.

(dpa)
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