Toskana Küchengelage auf dem Land

Urlaub im Agriturismo ist eine italienische Erfolgsgeschichte. Für Reisende ist er wie ein Besuch bei Freunden. Und zwar bei Freunden, die ausgezeichnet kochen können. Ein Test in der Toskana.

Als die Sonne hinter die Hügel sinkt und die ockerfarbenen Mauern des Hauses noch einmal aufleuchten lässt, versammeln sich die Gäste im Garten. Die Familie aus Sachsen, die vier Freunde aus dem Rheinland, das Paar aus Mannheim - sie sind einem Pawlowschen Reflex gefolgt, der sie um diese Zeit in die Nähe der Küche zieht.

Sie wollen wissen, welche Speisen Gastgeberin Grazia zubereitet hat, seit sie und Yolanda, eine alte Freundin der Familie, ihre Menüplanung begonnen haben. Grazia kocht mit Yolandas Unterstützung Tag für Tag traditionelle toskanische Gerichte, verfeinert mit Kräutern aus dem Garten und Öl der Olivenbäume hinterm Haus.

Jeder Tag im Agriturismo Podere Picciolo endet an der langen Tafel im Kaminzimmer oder auf der Terrasse. Das gemeinsame Gelage ist das Herzstück des Aufenthalts im Agriturismo. 2000 dieser kleinen Familienbetriebe gibt es allein in der Toskana. Sie haben wenige Betten - der Gutshof Podere Picciolo besitzt fünf Zimmer und eine Ferienwohnung.

Hoteltypische Annehmlichkeiten wie abendlichen Turn-Down-Service oder eine Mini-Bar gibt es nicht. Und: Die Gäste müssen willens sein, Tisch und Tischgespräch mit Fremden zu teilen. Für frisch Verliebte oder Flitterwöchner ist diese Urlaubsform daher eher ungeeignet. Alle anderen eint in der Regel eine Gemeinsamkeit: ein Faible für die Freuden der einfachen italienischen Küche - und fürs Landleben.

Am Morgen zwitschern Vögel, über dem Arno-Tal vor dem Fenster liegt ein Nebelstreifen. Am Abend ist nicht mehr zu tun, als an der langen Tafel Platz zu nehmen: vor dem Kamin, der die Größe eines Kleinwagens hat, und unter den Blicken der Großmutter des Hausherrn, die, bildschön anzusehen, von ihrem Porträt lächelt.

Heute gibt es Lasagne nach einem Rezept von Grazias Großmutter, gefolgt von Schweinebraten, den Grazia im Ofen geschmort und erst zum Schluss mit Olivenöl beträufelt und mit gehacktem Knoblauch und Rosmarin garniert hat. In großen Karaffen leuchtet dunkelrot der Landwein.

Die Gäste tauschen sich aus über die Erlebnisse des Tages. Mancher hat es nur bis zum Pool geschafft, wo sich der Tag mit der Beobachtung der Wolken am Himmel vertrödeln lässt. Andere erzählen von Streifzügen durch Reggellos Outlets italienischer Designer oder von ihrem Besuch in der womöglich schönsten aller Städte - Florenz. Hausherr Riccardo hat seinen Gästen beim Frühstück Tipps für die Erkundung der Umgebung gegeben. Er weiß, wo man im 20 Autominuten entfernten Florenz parken sollte, welche Geschäfte in Siena lohnen und wo man im nahen Reggello Hustensaft bekommt.

Schnell stellt sich das Gefühl ein, bei Freunden zu Besuch zu sein. Die Küchentür ist immer offen. Lernwillige weiht Grazia in die Geheimnisse der Herstellung frischer Ravioli ein. Bei den Gesprächen in der Küche und beim Essen beginnt man zu begreifen, woher die kulinarische Obsession der Italiener stammt. Womöglich ist ihnen der innere Zirkel aus Familie und Freunden nicht nur das eigentliche Universum, sondern das gemeinsame Essen auch dessen Zentrum.

Riccardo und Grazia Busso haben mit dem eigenen Agriturismo ihren Lebenstraum wahr gemacht. Beide stammen aus dem Piemont, ebenfalls eine Region, in der sich das Leben in erster Linie ums Essen dreht, und lebten später lange in Köln. Als Sohn Lorenzo flügge wurde, wollte Grazia ihre Leidenschaft fürs Kochen in geselliger Runde zum Beruf machen. In einer gewaltigen Anstrengung restaurierten die beiden den Gutshof aus dem 16. Jahrhundert, den sie 2008 fast auf der Stelle kauften.

Die Begeisterung für das Objekt, für gutes Essen und nicht zuletzt die Harmonie zwischen Ort und Menschen teilt sich auch den Gästen mit. Wenn am Morgen Grazia in der Küche mit dem seligen Übertenor Pavarotti um die Wette "O Sole Mio" singt, fühlen sich die Gäste ein wenig wie im Film. Und wenn Riccardo am Abend gewaltige Florentiner Steaks auf dem handgefertigten Holzkohlegrill in der Außenküche gart, wünschen sie sich, länger bleiben zu können.

(RP)
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