Grönland Eisbären voraus!

Eine Expeditionskreuzfahrt auf der „Vega“ nach Ostgrönland hat ihre eigenen Reize. Im größten Fjordsystem der Welt muss man zum Beispiel erst die Eisbären fragen, bevor man an Land geht.

Die SH Vega in der langen Abenddämmerung des Nordens

Die SH Vega in der langen Abenddämmerung des Nordens

Foto: Martin Wein

„See, what others don’t“ – in Ittoqqortoormiit hat das etwas schadenfroh klingende Motto des neuen Kreuzfahrtanbieters „Swan Hellenic“ auf jeden Fall seine Berechtigung. 485 Kilometer ist der Polarkreuzer „SH Vega“ vom Dörfchen Bolungarvik in den bereits reichlich abgelegenen isländischen Westfjorden über die Dänemarkstraße hierher an Grönlands Ostküste geschaukelt. Die nächste Siedlung auf der größten Insel der Welt selbst liegt sogar 780 Kilometer entfernt im Süden. Dazwischen türmen sich 3000 Meter hohe Berge. Kaum ein Ort liegt also weiter entfernt von anderen Menschen als Ittoqqotoormiit.

Nur zwei bis drei Monate im Jahr von Juli bis September ist die Stadt vom Wasser aus erreichbar. Sonst versperrt Treibeis den Zugang. In diesem engen Zeitfenster kommen zwei Versorgungsschiffe mit Nachschub für den örtlichen Supermarkt und einige kleine Kreuzfahrtschiffe wie die „Vega“. Eine Pier oder einen Ponton gibt es in Ittoqqortoormiit nicht. Angelandet werden Waren und Besucher in Schlauchbooten an einen Kiesstrand. Für Mette Barselajsen sind es Stunden der Ernte. In der kleinen Tourist-Info in einem roten Holzhaus in der Nähe des Supermarktes verkauft die Grönländerin im selbst gestrickten Wollpullover Postkarten, bestickte Tücher und weiße Rob­benbabys aus Plüsch. Vor der Tür probieren Mutige marinierten Moschusochsen.

Man könne glauben, Ittoqortoormiit sei 1924 extra so weit ab vom Schuss gegründet worden, damit die wenigen Besucher auf der mindestens 30-stündigen Anreise ausreichend Zeit haben, den Namen wenigstens halbwegs korrekt auszusprechen, scherzt Mette zwischen zwei Kunden. Tatsächlich habe der Name aber seine Begründung. Als eine dänische Expedition vor 98 Jahren die ersten Verwaltungsbauten aus Fertigholzteilen aufgestellt habe, hätten die aus dem Süden als Siedler angeworbenen Inuit nicht schlecht gestaunt. „Platz der großen Häuser“ heißt Ittoqqortoormiit deshalb übersetzt. Dabei ducken sich die bunten Häuschen aus Sicht großstadtgewöhnter Touristen regelrecht vor den vergletscherten Bergrücken im Hintergrund in den eisigen Wind.

Für die 340 Einwohner bietet Ittoqqortoormiit neben dem Supermarkt einen Kindergarten, eine Schule, ein Altenheim, einen Heliport, ein dieselbetriebenes E-Werk, eine Müllkippe und ein Kunstrasenfußballfeld. Die Trockentoiletten in den Häusern werden regelmäßig geleert. Internet kommt via Satellit und ist noch teurer als die importierte Ritter-Sport-Schokolade.

Im Scoresbysund sind Eisbären keine Seltenheit. Im Spätsommer warten sie auf die Rückkehr des Meereises.

Im Scoresbysund sind Eisbären keine Seltenheit. Im Spätsommer warten sie auf die Rückkehr des Meereises.

Foto: Martin Wein

An Bord der luxuriösen „Vega“ lenken der beheizte Infinity-Pool auf dem Sonnendeck, das Barbecue in der Mittagssonne oder das Fünf-Gang-Dinner am Abend ein wenig ab von der unheimlichen Leere der riesigen Landschaften ringsum. Seemeile für Seemeile gleitet das Schiff nun zwischen Kap Tobin und Kap Brewster hinein in den Kangertittivaq, das größte Fjordsystem auf dem Planeten. Ganz Dänemark ohne Bornholm würde darin Platz finden. Auf dem Schiff sprechen alle zu Ehren des britischen Walfängers William Scoresby vom Scoresbysund. Scoresby war im frühen 19. Jahrhundert als erster in der Gegend aufgekreuzt und davon so ergriffen, dass er hinterher Theologie studierte.

Ob Scoresby Hammeken seine Abstammung auf den alten Haudegen zurückführt, lässt er offen. Jedenfalls gilt der Grönländer in Ittoqortoormiit als der beste Eisbärenjäger im Dorf. In den nächsten Tagen soll er Mensch und Bär in respektvoller Distanz halten. Bei der ersten Ausfahrt mit den Schlauchbooten in der Abenddämmerung bewundern Briten, Amerikaner, Kanadier Südafrikaner und Australier einträchtig die vielen Eisschollen im Zwielicht, zwischen denen die luftgefüllten Gummischläuche hindurch knirschen. Scoresby beobachtet lieber die Felswand dahinter. „Ich sehe fünf, nein sieben Bären“, nuschelt er. Ein Eisbär wäre die Krönung einer Grönlandreise – und jetzt gleich sieben? „Ach, hier an den Gletschern gibt es eine ganze Menge von ihnen. Von den Schollen aus jagen sie Robben“, sagt Scoresby. Carol, eine impulsive englische Reisebüroverkäuferin mit Dauerwelle fällt ihm mit lautem Freudengeheul in die Arme. Scoresby bleibt nüchtern. Im Januar will er allein wiederkommen. 35 Eisbären dürfen sie im Dorf jedes Jahr schießen, aber nur im Winter. Mütter und Jungtiere sind tabu.

Am nächsten Morgen sollen die Passagiere auf der Dänemarks-Insel in Hekla Havn an einem Strand mit einer alten Schutzhütte von Minenarbeitern an Land gehen. Hier hält ein Eisbär weniger Abstand. Zielstrebig marschiert er Scoresby und seinen Helfern entgegen, noch bevor der erste Gast einen Fuß an Land gesetzt hat. Auch ein Schuss aus der Sig­nalpistole irritiert ihn nicht. „Der Eisbär hat immer Recht“ sagen sie auf Spitzbergen. Auch in Hekla Hawn geht der Einheimische in Seelenruhe schwimmen und fischen, während sich die Gäste auf der „Vega“ in Sicherheit bringen.

Am Nachmittag rücken bei der Weiterfahrt die turmhohen Basaltwände der Fjordufer immer näher zusammen. Schließlich reckt sich der Buckel einer roten Sandsteinwand aus einem Meer aus Eisbergen des benachbarten Gletschers wie ein grönländischer Ayers Rock. Auf der anderen Seite der Insel grasen Moschusochsen in den niedrigen Blaubeersträuchern. Eismöwen und Eiderenten beobachten aufmerksam die „Vega“ und ihre Gäste in den wendigen Schlauchbooten. Diesmal lässt sich kein Bär blicken, aber am nächsten Morgen im spektakulären Ostfjord zieht der König der Arktis trotz einer bizarren Eislandschaft und der uralten roten Sandsteinwände im Sonnenschein wieder alle Aufmerksamkeit auf sich. Andere Schiffe sind weit und breit nicht zu sehen, auch wenn der Schiffstracker im Internet auch zwei andere Expeditionskreuzer in den Weiten des Kangertittivaq anzeigt. „See what other’s don’t“ ist hier kein leeres Versprechen.

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