Kanada

Bei Neufundland denken viele Menschen zuerst an die Hunde, die nach den kanadischen Inseln benannt sind. Die pelzigen Tiere stammen aus einer rauen Landschaft: Grüne Natur ist durch Fjorde mit dem Meer verzahnt – optimal zum Wandern und Bootfahren.

Wäsche flattert an einer Leine im warmen Atlantik-Wind. Dahinter reihen sich die weißen und roten Häuschen von Tilting entlang der felsigen Küste: bunte Sprenkel auf sattgrünen Wiesen rund um eine tiefblaue Meeresbucht. Das einstige Fischerdorf versteckt sich auf Fogo Island. Die westlichen Nachbarinseln heißen Change Islands und Twillingate.

Allesamt sind es raue, amphibisch wirkende Kulissen vor Neufundlands Nordostküste. Die grüne Natur ist durch Fjorde und Buchten eng mit dem Meer verzahnt, die Eilande miteinander verbunden durch Brücken, Dämme und Autofähren. Bunte Fischerboote dümpeln in kleinen Häfen. Dörfer schmiegen sich an Meeresarme, die ins Land ragen. Gewundene Sträßchen enden am Atlantik, wo Einheimische ihren Tagesfang aus Booten hieven. Das Licht ist stark, die Farben intensiv. Oft treiben mächtige Eisberge in Sichtweite vor den Inseln vorbei. Twillingate gilt gar als "Iceberg Capital of the Word." Im Sommer ziehen Buckelwale draußen ihre Bahnen. Eine noch recht bescheidene Touristenschaar erkundet zur warmen Jahreszeit das nordische Archipel beim Wandern und Paddeln, nutzt Zelte, Wohnmobile, einige Hotels und familiäre "Bed & Breakfast"-Pensionen zum Übernachten.

Wer noch mehr Abwechslung sucht, erkundet gegenüber den Inseln an der Nordostküste den Terra Nova Nationalpark. Von Aussichtspunkten eröffnen sich dort respektable Weitblicke hinab auf Seen und über ausgedehnte Fichten-Wälder, durch die auch mal ein Schwarzbär streift, dazu Kojoten oder Elche. Wer ein Kajak mietet, staunt bald über bizarre Felsformationen und Höhlen entlang der Küste.

Neben der Wäscheleine in Tilting auf Fogo Island tritt Phil Foley aus der Tür seines schmucken Anwesens. "Kann ich Dir helfen?", will er wissen. Nein danke, der Besucher kommt schon klar, will nur ein wenig am Meer entlangwandern, neun Kilometer weit auf dem schönen Turpin's Trail. Und dieses Weglein beginnt genau hier, folgt klar markiert der Küste: vorbei an Schafsweiden, entlang eines weiten Strandes, über felsdurchsetzte Wiesen, gesprenkelt mit Gräsern und blauer Iris. Später, nach der Rückkehr, werden Phil und seine Frau Maureen den Deutschen spontan zum Abendessen einladen.

Die Menschen hier sind nämlich gastfreundlich – und neugierig. Außerdem sind sie hart im Nehmen: Auch wenn im Sommer mal kalter Wind und Regen über die Inselwelt fegen, laufen viele trotzdem weiter in T-Shirts herum. Die Foleys werden dem Wanderer auch erzählen, dass es mit der Fischerei hier in Tilting nicht mehr weit her ist. Gleichwohl sind Shrimps, Krabben, Hummer, Kabeljau oder Heilbutt noch immer wichtig für Neufundlands Fischerei. Doch statt zu fischen, verdienen viele junge Männer inzwischen lieber mehr Geld auf den Ölsand-Feldern der Provinz Alberta. Oder auf Hibernia, einer gigantischen Bohrinsel draußen im Meer östlich von Neufundlands Hauptstadt St. John's.

Tags darauf tuckert die Fähre von Fogo in 30 Minuten hinüber zu den beiden Change Islands. Sie gelten als noch ruhiger, noch abgeschiedener. Zu Recht. Wer dort, nahe des Nordzipfels, von der einzigen Hauptstraße rechts abbiegt und über einen Hügel fährt, erspäht bald ein pinkfarbenes Holzhaus. Es überblickt eine abgelegene, wahrlich idyllische Bucht. Dort startet – oder endet – der nur drei Kilometer lange Squid Jiggers Trail: ein anderer famoser Wanderpfad dieser Inselwelt. Der gut erkennbare Weg führt unmittelbar am Meer entlang, passiert Buchten, schlängelt sich durch kleine Tannenhaine, ist immer wieder gesäumt von rosafarbenen Lorbeer-Rosen. Kleine Brücken leiten über schmale Fjorde, hölzerne Treppen führen hinauf zu Felskanzeln. Das sind dann Rastplätze mit spektakulärem Atlantik-Blick: hinab auf wilde Gesteinsformationen, an die der gleißende Ozean brandet.

Ein kühner Sprung ins 15 Grad warme Meerwasser wirkt erfrischend. Während der Körper im Seewind trocknet, reicht die Sicht an klaren Tagen bis hinüber zum Brimstone Head auf Fogo Island, einer exponierten Landspitze etwa 15 Luftkilometer entfernt. Zum Abend hin sitzen dann alle zusammen im Seven Oakes Island Inn: ein restauriertes 100 Jahre altes Fischhändler-Haus ganz in der Nähe, bezaubernd gelegen auf einem Hügelchen überm Ozean, urgemütlich mit historischem Mobiliar bestückt. Im stilvollen Speisezimmer hat Inhaberin Beulah Oake aufgetischt. Schon die Vorspeisen sind ein Erlebnis: panierte Kabeljau-Zungen und schmackhafter "Seafood Chowder" – die beliebte dicke Fischsuppe mit Shrimps und Muscheln. Nach dem Dinner versammeln sich die Gäste auf der Holzterrasse, schauen schweigend über Notre-Dame-Bay hinaus aufs Meer. Dort sinkt die Sonne zwischen den Schären langsam in den Atlantik. Und ihr letztes warmes Licht flutet über die Change Islands.

(RP)
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