"Paraiso Playa" Das rätselhafte Hotel auf Fuerteventura

Unser Autor ist Stammgast des Hotels „SBH Club Paraiso Playa“ auf Fuerteventura. Seit Corona steht es leer. Im Internet gibt es widersprüchliche Angaben, ob es geschlossen oder geöffnet ist. Mancher erlebt unliebsame Überraschungen.

 Abendlicher Blick auf den Hotelpool vom „Paraiso Playa“ und das Meer.

Abendlicher Blick auf den Hotelpool vom „Paraiso Playa“ und das Meer.

Foto: Christiane Keller

Der Wind pfeift durch die Zimmertür, die seit Jahren nicht ordentlich schließt. Das Hähnchen im Restaurant hat zu Lebzeiten an Muskelschwund gelitten. Die Sessel im Theater müssten neu gepolstert werden – dort, wo abends die Animateure das Publikum verzweifelt bespaßen und die Gäste mit Cocktails aus der Bar den Tag ausklingen lassen. Das Kachelmuster im Pool hat Löcher, und an manchen Stellen im Treppenhaus platzt die Farbe ab. So haben wir das Hotel in Erinnerung: ein wenig verwittert.

Reiseberichte verwenden gern die Formulierung vom morbiden Charme, der selbst ältlichen Gebäuden Flair verleiht. Und weil Liebe so herrlich blind macht, haben wir alles über die Jahre sehr gern toleriert.

Auch die Leitung des Hotels „SBH Club Paraiso Playa“ im Südosten der Insel Fuerteventura hat den Reformstau notorisch ignoriert und ließ das Haus ganzjährig geöffnet. Wir mochten es schon im ersten Jahr und waren bald Stammgäste. Am Anreisetag rief Nuria an der Rezeption „Hola“, als sie uns die Koffer zum Tresen rollen sah. Dann steckte sie uns die Schlüsselkarten zu Zimmer 625 zu, das sie reserviert hatte. Es liegt am Ende eines Flures, dahinter nur noch Wüste. Und beim ersten Abendessen begrüßte uns die Oberkellnerin mit einem auffälligen Augenzwinkern, das man bis Lanzarote sehen konnte, und gab uns einen reservierten Tisch mit Meerblick. Der Rest vom Restaurant glich einem Wartesaal mit riesiger Büfett-Zone. Wir wussten, was wir wollten und was wir wohlweislich mieden.

 Der Autor ist gerade schwimmen: der Strand unterhalb des Hotels „Paraiso Playa“ im Südosten von Fuerteventura.

Der Autor ist gerade schwimmen: der Strand unterhalb des Hotels „Paraiso Playa“ im Südosten von Fuerteventura.

Foto: Christiane Keller

Und dort saßen wir Jahr um Jahr, waren mit Meer und Sonne im Einklang und nahmen alles in Kauf, was andere längst mit Beschwerden und Minderungsanträgen moniert hätten. Das Hotel ist ja gar nicht übel, vor allem liegt es direkt oberhalb eines paradiesischen, riesigen, sehr ruhigen Strandes. So heißt es auch: „Paraiso Playa“. Es ist das Eingangsportal. Gewiss verursachen der starke Wind, der der Insel den Namen gab, und die sandige, salzige Luft einen fortwährenden Angriff auf jedes Material. Doch sind diese Elemente auch die perfekte Garantie für das Klima, das wir erwarteten. Fuerteventura mit dem Wetter von Rimini – unvorstellbar.

Urlaubstage beginnen stets mit Ritualen. Morgens betraten wir die Terrasse des Restaurants, murmelten das Wort vom „Kaiserwetter“, tranken einen erstaunlich guten Kaffee, beluden Toastbrot mit Gürkchen, ließen uns vom Koch ein Spiegelei brutzeln und kletterten über 98 rutschige Steinstufen hinab ans Meer. Costa Calma und Jandia mit ihren Bettenburgen waren weit weg, das „Paraiso Playa“ lag lauschig, von Palmen umstanden, im Örtchen Esquinzo.

Unser Hotel war unser alljährliches Sonnen-Highlight. Bis Corona kam. Seitdem ist das Hotel geschlossen. Und lässt seine Kunden rätseln.

Das Hotel gehört zur SBH-Kette (Sunrise Beach Hotels), die mehrere Häuser unterhält, alle im Südosten der Insel gelegen. Corona hat den Konzern schwer getroffen, viele Stammgäste blieben aus, Flüge wurden gecancelt, Mitarbeiter entlassen, die Häuser standen leer. Für den Tourismus war Corona eine Heimsuchung. Es wurde totenstill. Nur Wind, Sand und Salz gaben keine Ruhe.

Seit zwei Jahren berichtet die „Fuerteventura-Zeitung“, dass das Hotel geschlossen ist, die Wiedereröffnung angeblich oft geplant war, aber nie erfolgte. Im Internet wurde es weiterhin annonciert. Und wer buchte, der kam am Flughafen Puerto del Rosario an, wo ihm eröffnet wurde, dass das Hotel leider geschlossen sei. Er werde aber auf ein vergleichbares Hotel umgebucht. Derlei geschah offenbar systematisch. Das Internet ist voll von Berichten enttäuschter Urlauber, die zu anderen Stränden verfrachtet wurden, ohne davon vor dem Abflug erfahren zu haben. Einige sprechen von „Betrug“.

 Das Lieblingszimmer unseres Autors im Hotel „Paraiso Playa“.

Das Lieblingszimmer unseres Autors im Hotel „Paraiso Playa“.

Foto: Christiane Keller

Der Düsseldorfer Rechtsanwalt Sven von Below, Experte für Reiserecht, kennt diese Materie sehr gut: „Wir beobachten in unserer Kanzlei regelmäßig Fälle, in denen Veranstalter bestimmte Hotels anbieten, diese beim Reiseantritt aber ,plötzlich und unerwartet‘ nicht bereitstellen können. Hiernach wird den Reisenden ein Alternativ-Hotel angeboten, das in der Regel minderwertig ist, oftmals sogar weit entfernt vom gebuchten Hotel und verbunden mit zusätzlichem Transferaufwand.“

Niemand müsse solche Methoden klaglos akzeptieren, sagt Anwalt von Below: „Reisenden stehen nicht nur Minderungsansprüche wegen der Abweichung zum vertraglich gebuchten Hotel zu, sondern auch Ansprüche wegen Verletzung der Hinweis- und Informationspflichten durch den Reiseveranstalter. Insgesamt können leicht 30 bis 50 Prozent Minderungswert des gesamten Reisepreises entstehen.“ Wichtiger Aspekt: „Besonders entscheidend ist, ob sich das Ersatzhotel am selben Ort wie das gebuchte Hotel befindet.“

Nun ist die Rechtsprechung das eine. Das andere ist die Sehnsucht, die stets zur Unvernunft neigt und sehr offen ist für diffuse Anflüge von Realismus. So sage ich mir: Kein vernünftiger Hotelmanager lässt ein Hotel in dieser Traumlage verfallen. Oder doch? Ist das Grundstück längst an einen Investor verkauft? Soll das „Paraiso Playa“ einem Neubau weichen? Oder warten die SBH-Bosse ab, bis sie die Rundum-Renovierung endlich finanzieren können?

Dieser Tage hatte ich eine Fernweh-Attacke und rief in der SBH-Zentrale an. Ein Mitarbeiter erklärte in belastbarem Deutsch, dass das „Paraiso Playa“ am 4. Juni eröffnen werde. „Wir präparieren gerade alles.“ Sagt er das nicht schon seit zwei Jahren? Sicherheitshalber sollten wir, rät der Mann, eine Woche vorher noch einmal anrufen. Was weiß er, das ich nicht wissen soll?

Neulich machte ich auf meinem Balkon ein Nickerchen und tagträumte, wie ich eine alte Schlüsselkarte zu Zimmer 625 fand, die nächste Maschine buchte, einen Mietwagen nahm und über vereinsamte Flure mein Zimmer betrat. Es herrschte die Ruhe im Paradies. Man hörte nicht die Anfeuerungsrufe der Animateure zur Morgengymnastik, hörte nicht das Klockern der Rollkoffer, die abreisende Passagiere über die nächtlichen Fliesenflure schoben. Im Zimmer selbst hatte sich nichts verändert. Und die tote Mücke, die an der Wand hinter der Gardine klebte: Die hatte ich 2013 erschlagen. In meinem Tagtraum spielte dazu „Memory Motel“ von den Rolling Stones.

Als ich aufwachte, guckte ich im Internet nach und las: „Paraiso Playa“ tatsächlich ab 4. Juni buchbar. Ich bekam Herzklopfen. Aber ich glaube es erst, wenn ich es weiß.

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