Sachsen Industriekultur hautnah erleben

Sachsens Industrielandschaft ist so vielfältig wie einmalig in Deutschland. Und auch touristisch vortrefflich erlebbar – zum Beispiel im Vogtland zwischen Markneukirchen und Plauen.

 Schloss Voigtsberg in Oelsnitz ist ein prächtiger „Wohnsitz“ für das Teppichmuseum.

Schloss Voigtsberg in Oelsnitz ist ein prächtiger „Wohnsitz“ für das Teppichmuseum.

Foto: Ekkehart Eichler

„Wie baut man einen Kontrabass?“ Frank Bilz schaut in gespannte Gesichter. Sein Publikum – das sind heute mal keine Musiker, keine Profis, keine Experten. Heute wird er Schulkinder begeistern, indem er ihnen zeigt, wie Meister ihres Faches das größte aller Orchesterinstrumente fabrizieren. In kunstvoller Handarbeit, Schritt für Schritt, am konkreten Korpus und mit authentischen Werkzeugen. In der „Erlebniswelt Musikinstrumentenbau“ in Markneukirchen.

Ein Ort, wo der Himmel buchstäblich voller Geigen hängt. Das ist kein Wunder: Ende des 19. Jahrhunderts schon war das Städtchen im Vogtland Weltmarktführer im Bau von Musikinstrumenten und einer der reichsten Orte Sachsens. Und auch heute wieder sind die Auftragsbücher der über 100 Meisterbetriebe und Manufakturen proppenvoll – dafür sorgen anspruchsvolle Kunden von Alaska bis Sibirien.

Nirgendwo sonst in Europa gibt es eine solche Dichte an Spezialisten für Orchester- und Blaskapelleninstrumente: Geigen, Celli, Kontrabässe. Gitarren, Lauten, Mandolinen. Klarinetten, Flöten, Oboen. Posaunen, Saxofone, Hörner. Akkordeons, Mundharmonikas, Zittern. Bögen und Taktstöcke nicht zuletzt – das alles entsteht seit Jahrhunderten in und um Markneukirchen und im benachbarten Klingenthal.

Einer der ersten, der das enorme touristische Potenzial dieser einzigartigen industriell-kulturellen Ballung erkannte, war Frank Bilz vom Verein Musicon Valley. „Zuerst haben wir Pauschalerlebnisreisen für Musikvereine und Orchester entwickelt. Mit Werkstattbesuchen, mit Konzerten und natürlich mit viel guter Futterei. Das lief so toll, dass wir auch anderen Gästen solche Einblicke ermöglichen wollten – so entstand die Erlebniswelt.“

 Frank Bilz in seinem Element. In der Schauwerkstatt demonstriert er Schulkindern, wie ein Kontrabass gebaut wird.

Frank Bilz in seinem Element. In der Schauwerkstatt demonstriert er Schulkindern, wie ein Kontrabass gebaut wird.

Foto: Ekkehart Eichler/Ekkerhart Eichler

Ihr Herzstück sind drei Schauwerkstätten, in denen Geigen-, Kontrabass- und Blechblasinstrumenten-Baumeister ihr Können dem geneigten Publikum zeigen. An originalen Werkbänken, mit Spezialwerkzeugen und teils uralten Utensilien, die mit viel Liebe zum Detail zusammengesammelt wurden aus Nachlässen, Schenkungen, Aufkäufen, Sperrmüllfunden. Alles davon darf übrigens jederzeit angefasst und ausprobiert, das Fachpersonal nach Herzenslust mit Fragen gelöchert werden.

So auch Frank Bilz. Nach einer Stunde weiß sein junges Publikum genau, welches Holz für welchen Teil des Basses verwendet und wie es bearbeitet wird. Wie oft er lackiert werden muss. Warum das Einsetzen des Stimmstocks eine knifflige Kiste ist. Was so ein Meister-Instrument kostet oder im Extremfall kosten kann. Und noch jede Menge mehr.

Praktisch um die Ecke wird das nächste Vogtländer Spitzenprodukt hergestellt: Halbmond-Teppiche. 1880 gründeten Karl Wilhelm Koch und Fritz te Kock in Oelsnitz eine Teppichweberei, verpassten ihr den originellen Markennamen und machten ihr Unternehmen binnen 30 Jahren zum führenden Teppichproduzenten Deutschlands. Es überstand beide Weltkriege, die Verstaatlichung als „VEB Halbmond“ und die Schwierigkeiten der Nachwendezeit. Heute druckt die Firma Halbmond GmbH auf einer hochmodernen Vier-Meter-Chromojet-Anlage hochwertige individuelle Teppichböden; eine der spektakulärsten Großaufträge ging 2014 ins Olympische Dorf von Sotschi. Dass Teppiche nicht nur Schmuck sind oder banale Trittflächen, sondern komplexe Konstrukte aus Symbolen und Farben, wird im Teppichmuseum auf Schloss Voigtsberg in Oelsnitz deutlich. Eskortiert von fliegenden Teppichen, erfährt man hier so gut wie alles über die lange Historie der Teppiche und ihre wunderbaren Eigenschaften. Über die diversen Techniken ihrer Herstellung im Laufe der Zeit. Über die Geschichten, die ihre Muster und Motive erzählen. Und über die ausgetüftelten Maschinen, die solche Kunstwerke erst möglich machten – der rustikale Axminster-Webstuhl von 1910 und die Orientstickmaschine aus den 1930er Jahren sind zwei besonders imposante Beispiele dafür.

Maschinell noch einen drauf setzt ein Betrieb in Plauen, der eigentlich für filigrane und hauchzarte Kostbarkeiten steht: die weltberühmte Plauener Spitze. In der Schaustickerei wird ihre Historie ausgesprochen plastisch erzählt. Mittels der bis zu zehn Meter langen Maschinen-Monster, die alle noch laufen wie vor hundert Jahren. Vor allem aber durch einen Experten wie Frank Luft, der sie akkurat bedienen und erklären kann. Und sich dann freut wie ein glückliches Kind über die faszinierten Gesichter seiner Gäste.

In Ganzkurzfassung: Als 1883 die ersten Schiffchenstickmaschinen in Plauen aufgestellt werden, ist es erstmals möglich, hochwertige Luft- bzw. Ätzspitze kostengünstig herzustellen. Ein fantastisch leichtes, sich selbst tragendes, dreidimensionales Relief, das durch Wegätzen des Trägermaterials beziehungsweise  Stickgrundes entsteht. Fünf Jahre später schon tritt die Luftspitze unter dem cleveren Markennamen „Plauener Spitze“ ihren weltweiten Siegeszug als Luxusprodukt an. Auf der Weltausstellung in Paris 1900 räumt sie den Grand Prix ab und erlebt im nächsten Jahrzehnt eine unfassbare Blüte. So wie auch die Stadt Plauen – um 1912 waren hier mehr als 16.000 Stickmaschinen im Einsatz.

Von der Arbeitswelt dieser Zeit vermittelt die Schaustickerei einen exzellenten Eindruck. Die originalen Ungetüme sind so gut in Schuss, dass alle maschinellen Stickverfahren auch vorgeführt werden können. An der Handstickmaschine zum Beispiel zeigt Frank Luft, wie mit dem „Storchenschnabel“ Stickmuster präzise und maßstabgetreu auf die Maschine übertragen und vervielfältigt wurden. Oder wie die Kluppen die Sticknadeln halten, greifen und immer wieder durchs Tuch stoßen. Er lässt die raffinierte Fadeneinfädelmaschine losrattern, die Kinderarbeit einst überflüssig machte. Er kramt dicke Musterbücher hervor mit hunderten bildschöner Stickvorlagen. Und präsentiert nicht zuletzt filigrane Meisterwerke, die aus Dutzenden kleiner Spitzen-Elemente bestehen, die Stickerinnen schließlich zum fertigen Kunstwerk verbinden. Alles in allem: Einfach Spitze!

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