Kanada Deutsche Rebe an den eisigen Niagarafällen

In der kanadischen Region Ontario nimmt man die Kälte mit gut gelaunter Gelassenheit, mit Wärmepads in den Handschuhen und mit Eiswein aus Deutschland.

 Im Winter sind die Niagarafälle einen Besuch wert. Die Natur ist von Schnee und Eis bedeckt und die Wasserfälle werden in bunten Farben angestrahlt.

Im Winter sind die Niagarafälle einen Besuch wert. Die Natur ist von Schnee und Eis bedeckt und die Wasserfälle werden in bunten Farben angestrahlt.

Foto: Getty Images/iStockphoto/mirceax

Als Klaus Reif im Teenager­alter vor 40 Jahren das erste Mal über den Großen Teich flog, war das noch was richtig Tolles. Es ging nach Toronto, von dort aus mit dem Zug weiter in Hörweite der Niagarafälle. Dort besuchte er seinen Onkel, der die pfälzische Familientradition fortgesetzt hatte. Mit Rebstöcken. Nein, keine Sorge, Sie haben keinen Trend verpasst: Kanadische Weine galten lange Zeit als richtig schlecht. „Wären sie besser gewesen,“ erinnert sich der gut gelaunte Mittfünfziger heute, „wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, überzusiedeln, sondern hätte unser eigenes Weingut in Deutschland weitergeführt.“

Aber die Zeiten haben sich geändert. Inzwischen hat eine Handvoll Winzer an den Niagarafällen großen Anteil da­ran, dass die kanadische Weinszene international bekannt wird. Dort, wo sich Temperaturen bei minus zehn Grad einpendeln, lässt sich ein Wein von Weltrang machen, den Chinesen und Japaner lieben und der in seinem Erfinderland Deutschland in Vergessenheit geraten ist. Der Eiswein nämlich. 1830 fand in Bingen die erste Eisweinlese statt. Das gefrorene Traubengut sollte Tierfutter werden, bis man durch Zufall feststellte, dass ihr Saft vorzüglich schmeckte. Eine Erfolgsgeschichte begann, heute durch den Klimawandel beeinträchtigt. Bei uns wird es einfach nicht mehr kalt genug. Nun, von Kälte haben die Kanadier genug.

Die Trauben, meist Riesling und Vidal, werden ab einer Temperatur von minus acht Grad geerntet. Und damit’s so richtig weh tut, findet die Ernte mitten in der Nacht statt. Und im Januar steht das Kleinstädtchen Niagara-on-the-Lake an vier Januarwochenenden Kopf. Seit 25 Jahren findet dort normalerweise Ende Januar das Icewine-Festival statt. Die Restaurants kochen spezielle Menüs und die Antiquitätenhändler haben bis in den Abend geöffnet. Dieses Jahr ist alles anders und diese Tradition wird wegen des Coronavirus unterbrochen. Natürlich findet alles draußen statt. Suchen Sie bloß nicht nach Heizpilzen, es sei denn, Sie lassen sich gerne auslachen. Denn wenn’s so kalt ist, dass man den eigenen Atem sieht und sein Weinglas mit Thermohandschuhen halten muss, kommen Kanadier erst in Fahrt. Betrunken wird man nicht, dafür ist Eiswein zu süß, aber kontaktfreudig und gut gelaunt. Wobei das auch eine passende Beschreibung der kanadischen Mentalität ist.

 In der Region Niagara-on-the-Lake wird geerntet, wenn die Weintrauben von Schnee bedeckt sind.

In der Region Niagara-on-the-Lake wird geerntet, wenn die Weintrauben von Schnee bedeckt sind.

Foto: Getty Images/iStockphoto/JHVEPhoto

Klaus Reif, der nun beide Staatsbürgerschaften hat, bescherte der Eiswein ein Erfolgsweingut, obwohl er Anfang der 1990er-Jahre kurz vor der Pleite stand. „Damals war Wein gar kein Thema in Kanada. An Sonntagen durfte aus religiösen Gründen kein Wein verkauft werden, Restaurants mussten die gleichen Preise zahlen wie Endverbraucher. Aber ich wollte nicht scheitern.“ Heute besuchen sein Weingut 300.000 Menschen im Jahr. Das schaffen in Deutschland nur die Größten.

 Die Eisweinernte geschieht mitten in der Nacht– bei minus acht Grad und per Hand.

Die Eisweinernte geschieht mitten in der Nacht– bei minus acht Grad und per Hand.

Foto: Gabriele Gugetzer

Alles erreicht und nun? Tatsächlich wird Klaus Reif bei dieser Frage etwas wehmütig. Einerseits konnte er die heimische Eisweintradition bis nach China und Japan tragen, andererseits spürt er mit zunehmenden Alter Heimweh. Gerade hat er, der keine eigenen Kinder hat, seiner Nichte davon abgeraten, sein Weingut zu übernehmen. „Meine Eltern werden älter, ich kann nicht mal so vorbeikommen. Der Preis, den ich für den Erfolg zahlen musste, war in gewisser Weise hoch“, philosophiert er, wobei er solche Gedanken als junger Mensch natürlich gar nicht kannte. Weinfans aus der ganzen Welt danken es ihm.

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