Christopher Schacht "Ich wollte wissen, wie groß die Welt ist"

Christopher Schacht ist 1512 Tage um die Welt gereist, hat 45 Länder besucht und mehr als 100.000 Kilometer zurück gelegt. Er hat fünf der sieben Weltmeere überquert, vier neue Sprachen gelernt und vier Weisheitszähne verloren.

Am 1. Juli 2013 ging's los. Da warst du 19. Was haben deine Eltern gesagt?

Christopher Schacht Ein Jahr habe ich sie darauf vorbereitet, dass ich verreisen will, aber sie haben es mir nicht geglaubt. Irgendwann rückte der Termin näher: Ich habe Spanisch gelernt und mich impfen lassen. Zwei Wochen, bevor ich aufgebrochen bin, haben sie sich mit mir zusammen gesetzt und meinten: "Christopher, du kannst auf der Reise sterben. Uns wäre lieber, wenn du zu Hause bleibst." Ich habe erwidert: "Ich würde lieber früher sterben bei etwas, das ich unbedingt machen will, als ein Leben lang Dinge tun zu müssen, die ich nicht machen möchte." Darauf meinte dann meinte Mutter: "Okay, dann ist es wohl an der Zeit, dass ich dir Flügel gebe.

Du bist mit nur 50 Euro losgezogen. Warum gerade diese Summe?

Schacht Es war klar, dass ich mir die komplette Reise eh nicht leisten kann. Deshalb wollte ich schauen, ob ich es auch mit wenig schaffen kann. Gleichzeitig ist man mit wenig Geld gezwungen, näher an den Menschen und der Kultur zu sein. Nur so kommt man dann überhaupt zurecht.

Du bist als erstes nach Amsterdam getrampt. Wie lange haben die 50 Euro gereicht?

Schacht Ich bin mit zwei Schweden, die ich unterwegs kennengelernt habe, gleich im Partydistrikt versackt. Danach sind wir in den Coffeshop und haben uns ein Taxi geteilt. Am nächsten Morgen waren nur noch 15 Euro übrig.

Hast du nicht gedacht, die Weltreise sei bereits beendet, bevor sie überhaupt begonnen hat?

Schacht Die Gedanken hatte ich. Aber so schnell wollte ich nicht aufgeben. Ich habe mir einen Job gesucht, einen Platz zum Schlafen und mir ein Fünf-Euro-Limit pro Tag gesetzt: zwei Euro für Essen und drei für andere Sachen. Das habe ich dann knallhart durchgezogen.

Stand von Anfang an fest, dass du alleine verreisen wirst?

Schacht Zuerst wollte einer meiner besten Freunde mitkommen. Als es dann ernster wurde, hat er einen Rückzieher gemacht. Rückblickend muss ich allerdings sagen, dass es sogar besser ist, alleine zu verreisen. Alleine ist man viel flexibler, lernt viel mehr Leute kennen und erlebt die größeren Abenteuer.

Du bist während der Reise in kein Flugzeug gestiegen. Warum?

Schacht Erstens weil es zu teuer gewesen wäre. Und zweitens, weil man in einem Flugzeug völlig das Gefühl für Ort und Zeit verliert. Um die Welt zu begreifen, muss sich man die Zeit nehmen anzukommen. Das wollte ich mir gerne bewahren. Ich wollte einen Eindruck davon bekommen, wie groß die Welt ist."

Wie hast du mit der Familie Kontakt gehalten?

Schacht Ich bin die ersten zwei Jahre ohne Handy gereist. Vor Ort habe ich mich etwa einmal in der Woche in ein Internetcafé gesetzt. In der ganzen Zeit habe ich meine Eltern nur ein einziges Mal über Skype gesehen. Sonst habe ich ihnen über Facebook geschrieben. Ich habe ein, zwei Bilder geschickt und berichtet, wo und vor allem bei wem ich gerade bin. Das war das Wichtigste.

Stimmt es, dass deine Eltern zweimal davon ausgehen mussten, dass du tot bist?

Schacht Das erste Mal war ich in der Karibik unterwegs. Eine Freundin von mir ist von Piraten überfallen und mit Pistolen bedroht worden. Zum Glück ist sie mit dem Leben davon gekommen. Viele Segler meiden die Region, aber ich musste da durch, um nach Südamerika zu gelangen. Ich hatte meinen Eltern gesagt, dass ich mich in drei Tagen von Los Roques melden werde, aber dann haben wir einen längeren Stopp auf Blanquilla eingelegt, eine traumhafte Karibikinsel. Als ich nichts von mir hören ließ, gingen meine Eltern davon aus, dass ich ebenfalls von Piraten überfallen wurde. Das zweite Mal war ich im tiefen Dschungel in Südamerika bei Goldschürfern. Ich bin mit Benzinschmugglern bis zur Grenze nach Venezuela aufgebrochen, wo ich mich dann per Satellitentelefon zu Hause melden wollte. Unterwegs habe ich einen amerikanischen Investor kennengelernt, der mir von seinen Plänen erzählte, in einem abgelegenen Gebiet nach Gold zu schürfen. Dem habe ich mich kurzerhand angeschlossen und bin für zwei, drei Wochen geblieben. Leider gab es bei den Ureinwohnern kein Satellitentelefon. Dafür gab es giftige Schlangen. Wenn du von einer gebissen wirst, stirbst du nach zwei Stunden. Auch sterben die Leute dort immer wieder an Malaria. Meine Mutter wusste nur, ich bin irgendwo in diesem riesigen Dschungel. Wo genau, wusste sie nicht. Meine Mutter konnte nächtelang nicht schlafen.

Du hast auf der Reise 45 Länder kennengelernt. Was würdest du sagen, was uns Menschen verbindet?

Schacht Es gibt auf jeden Fall viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Mögen die Sprache und die Kultur auch noch so verschieden sein: Wir teilen die gleichen Wünsche und die gleichen Sorgen. Es gibt Millionen Details, in denen wir uns ähnlich sind. Und durch die Globalisierung sind wir noch weiter zusammengerückt. Obwohl ich im tiefsten Dschungel war, stand da eine solarbetriebene Musikanlage, aus der "Gangnam Style" dröhnte. Ich glaube, alle Menschen möchten ein schönes für sich und andere zugleich. Die wenigsten Menschen, so ist zumindest mein Eindruck, tun vorsätzlich Böses.

Gab es bedrohliche Situationen, in die du geraten bist?

Schacht Ganz banal: beim Autofahren. Wenn du auf einer schmalen Gebirgsstraße unterwegs bist, und von vorne kommt ein Autobus auf dich zugerast, und rechts blickst du in den Abgrund. Solche Situationen gab es ständig. Oder als ich nah der iranischen und afghanischen Grenze in Quetta auf der Polizeistation fest saß. Plötzlich fuhr ein silberner Toyota mit Einschusslöchern an der Heckscheibe und Blutspritzern an der Frontscheibe und im Innenraum vor. Auf der Fahrerseite waren alle Scheiben eingeschossen. 15 Minuten zuvor hatte es einen Anschlag gegeben, bei dem der Fahrer ums Leben gekommen war. Der Polizeihauptmann kam zu mir und meinte: "Wir haben Sorge, dass dir das gleiche passieren könnte." Da muss man schon schlucken, weil man weiß, dass man gleich dieselbe Strecke fahren wird. Überall stehen bewaffnete Leute mit einer AK47. Man weiß nicht, was los ist, wenn der Bus angehalten wird. Man weiß nicht, ob es die Guten oder die Bösen sind.

Andererseits hast du unterwegs deine jetzige Frau Michal kennengelernt. Bald geht's in die Flitterwochen. Wohin reist jemand, der fast die ganze Welt gesehen hat?

Schacht Das Ziel hat sich meine Frau ausgesucht: ein Monat Kambodschda. Eines der Länder, in denen ich noch nicht gewesen bin.

Wie viel Geld nehmt ihr mit?

Schacht 100 Euro, wir sind schließlich zu zweit (lacht). Naja, es wird schon ein bisschen mehr sein. Aber wir haben bisher nur die Flüge gebucht. Alles andere entscheiden wir vor Ort.

DAS INTERVIEW FÜHRTE DIRK WEBER.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort