Eisfälle und glühende Gipfel Auf der Gebirgsjäger-Runde durch Südtirol

La Villa · Die Sellaronda durch die Dolomiten ist wohl die berühmteste Skirunde der Welt. Weit weniger bekannt ist die Gebirgsjägertour. Dabei ist sie doppelt so lang - und mindestens ebenso schön.

Am Ende der Skirunde in Sas Dlacia ziehen Pferde Skifahrer einen leichten Anstieg hinauf.

Am Ende der Skirunde in Sas Dlacia ziehen Pferde Skifahrer einen leichten Anstieg hinauf.

Foto: dpa-tmn/Alex Moling

Den roten Hahnenkopf erkenne ich sofort. Das Logo klebte auf meinem ersten Skihelm, Mitte der 1980er, als ich hier in Alta Badia als Dreijähriger das Skifahren lernte. Nun kräht er, unverändert stilisiert, direkt über der Skibrille von Walter Frenademetz. Eine Breitseite Nostalgie gleich zum Start.

Frenademetz war schon ein erfahrener Skilehrer, als ich damals im Pflug zwischen den Beinen meines Vaters herumstümperte. Jetzt ist er Ende 70, hat buschige Augenbrauen, einen tiefbraunen Teint und all die Kerben um die Adlernase, die man sich in 61 Jahren auf der Piste so verdient. Bis heute bringt er Tag für Tag Kunden aus Mailand oder Apulien die Feinheiten des Parallelschwungs bei. Er ist der perfekte Mann für diese Tour.

Um bei meiner Rückkehr möglichst viel zu sehen, habe ich mir die weiteste Skirunde durch die Dolomiten ausgesucht: die Gebirgsjägertour. Mit gut 80 Kilometern ist sie doppelt so lang wie die weltberühmte Sellaronda. Und ebenso schön, sagt Frenademetz. Dennoch werde sie weitaus weniger gefahren, aus einem einfachen Grund: „Man muss zwei Skibusse nehmen. Und wenn man den Bus verpasst, muss man eine Stunde warten.“ Oder sogar zwei, aber dazu später mehr.

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Foto: pixabay/Couleur

Vorfreude im gelben Ei

Sieben bis acht Stunden soll die Gebirgsjägertour dauern. Pünktlich zum Liftstart um 8.30 Uhr treffen wir uns deshalb an der Talstation von La Villa. Die Gondel der Seilbahn löst gleich den nächsten Nostalgie-Anfall aus: ein gelbes Ei, das schon vor 20 Jahren auf den Piz La Ila fuhr.

Durch die zerkratzten Scheiben sehen wir die ersten Dolomitenwände in der Morgensonne leuchten. Heftige Vorfreude wallt auf. Und wird noch größer, als wir an der Bergstation losgleiten.

Rechts erhebt sich der Turm des Sassongher, vor uns der breitbrüstige Sellastock mit dem Piz Boé und in der Ferne die glänzende Marmolada, die Königin der Dolomiten. Der Gipfel im Zentrum unserer Runde ist unscheinbarer - aber historisch bedeutend.

Einmal um den Blutberg

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Foto: adobe/ Hermes Arzneimittel/JenkoAtaman

Blutberg wird der Col di Lana genannt, weil an seinen Hängen im Ersten Weltkrieg rund 8000 Soldaten gefallen sind. Die Kaiserjäger von Österreich-Ungarn hielten den Berg, bis die italienischen Alpini 1916 einen Tunnel gruben und den Gipfel sprengten.

Wir starten die Skirunde um den Blutberg gegen den Uhrzeigersinn. Die Richtung sei aber egal, sagt Frenademetz. Umgedreht sei die Tour genauso schön.

Auf breitem, sanften Pisten gleiten wir beschwingt über ein hügeliges Hochplateau, vorbei an kleinen Stadeln aus dunklem Lärchenholz. Glücklich die Kühe, die hier im Sommer auf den Almen grasen dürfen. Und glücklich die Skifahrer, die alle paar Minuten an einer Hütte vorbeikommen.

Spitzenweine auf 2000 Meter Höhe

Auf den bunten Liegestühlen der Ütia de Bioch sind bereits einige für einen Cappuccino eingekehrt. Die Hütte wäre auch der perfekte Schlusspunkt unserer Runde. Als einzige an der Gebirgsjägertour bietet sie jedes Jahr ein Gericht, das von einem Sternekoch kreiert wurde.

2021 verlieh das Konsortium Südtirol Wein ihrem Wirt Markus Valentini den Preis für Weinkultur. Die Gäste bleiben deshalb abends gerne bis lange nach Liftschluss sitzen. „Von Bioch kann man in jede Richtung ins Tal abfahren“, sagt Frenademetz. Klingt interessant. Für einen Wein ist es aber noch arg früh. Und die Aussicht müssen wir uns wirklich nicht schön trinken.

Piste für Piste kommen wir nun den zerklüfteten Wänden und weiß gedeckten Türmen der Sellagruppe näher. Den Weg fänden wir auch ohne Skilehrer und Pistenplan: Es genügt, den Schildern „Grande Guerra“ zu folgen.

Eisige Böen zwischen den dunklen Zacken

Ab dem Passo Campolongo verlaufen die Gebirgsjäger- und die Sellarunde kurz parallel. Und sofort profitieren wir vom großen Publikumsmagneten. In Arabba wurde 2015 eigens ein neuer Lift über die Pordoijoch-Straße gebaut, der die Sella Ronda bequemer macht. „Davor musste man die Ski abschnallen und durchs Dorf zur anderen Talstation tragen“, erzählt Frenademetz.

Für unsere Tour rechnen sich solche Investitionen offenbar nicht. Mit einem uralten Zweierlift surren wir wenig später hinauf zum Passo Padon. Statt auf beheiztem Polster sitzt man hier noch auf harten Plastikstäben. Ein eisiger Wind pfeift von den Zacken des Padonkamms herab. Ihr Fels sei Vulkanit, vor rund 240 Millionen Jahren versteinerte Lava, erklärt Frenademetz. „Deshalb sind die Felsen so dunkel.“

Auf der Scharte treiben Böen Schneeschwaden über die harte Piste, trotz des Prachtblicks auf die Marmolada-Nordseite mit dem Gletscher unter der abgerundeten Zinnenreihe der Punta Rocca fahren wir flugs weiter.

Im Laufschritt zum Skibus

Die lange Abfahrt nach Malga Ciapela gerät im Gewimmel rasanter Skifahrer zur Nervenprobe - zumal die Minuten bis zur Abfahrt des Skibusses davon ticken. Mit geschulterten Skiern stapfen wir eilig vorbei an der wuchtigen Talstation der Marmolada-Seilbahn. Die Piste dort oben auf dem Gletscher soll grandios sein. Ein anderes Mal.

Ein Dutzend Skifahrer wartet schon an der Haltestelle. „Sie fahren alle die Gebirgsjägertour“, sagt Frenademetz. Ansonsten gäbe es keinen Grund, diesen Bus zu nehmen.

Knapp 20 Minuten kurven wir durch schattige Täler und Dörfer, die wesentlich rustikaler wirken als La Villa oder das benachbarte Corvara. Manche Bauernhöfe haben Jahrhunderte alte, einfach gezimmerte Holzbalkone. Von Chalet-Schick keine Spur mehr.

Die Fahrt endet am Eisstadion von Alleghe. Entlang der kolossalen Wände des Monte Civetta trägt uns die Seilbahn hinauf zum Col dei Baldi. Auf dem letzten Stück aber zieht der gewaltige Stufentempel des Monte Pelmo alle Blicke auf sich.

Für ausgiebiges Bestaunen fehlt leider die Muße. Die nächsten beiden Pisten müssen wir zügig fahren, um den zweiten Bus zu erwischen. „Danach kommt zwei Stunden keiner mehr“, warnt Frenademetz.

Dösen und schlemmen

Pünktlich schwingen wir in Pescul ein. Im warmen Bus wird es schnell still. Während wir über Serpentinen die schneefreien Südhänge hinauf tuckern, fallen einigen die Augen zu.

Die erholsame Fahrt endet am Rifugio Fedare. Hier beginnt das Nobel-Skigebiet von Cortina d'Ampezzo, das 2026 zum zweiten Mal zur Bühne für Olympische Winterspiele wird. Bei der Fahrt hinauf zur Averau-Scharte möchte man das kaum glauben: Der Lift aus den 1970ern mit verrosteten Seilrollen und klapprigen Sitzen wirkt eher wie ein Kandidat fürs Skimuseum.

Im Rifugio Averau gönnen wir uns eine Pause im Wintergarten, von nun an müssen wir keinen Bus mehr erwischen. „Die Hütte ist bekannt für ihre gute Küche“, sagt Frenademetz. Er isst oft hier, vor allem im Sommer, wenn er mit Kunden den Klettersteig auf den Monte Averau geht. Und er hat Recht: Besseres als die Bandnudeln mit Hirsch-Bolognese und Trüffelöl wird man auf kaum einer Berghütte finden.

Einst waren es fünf Türme

„Früher fuhr man von hier zu den Cinque Torri ab“, erzählt Frenademetz, „und unten an der Straße nahm man den Bus zum Falzarego-Pass.“ Seit im Jahr 2008 ein neuer Lift gebaut wurde, ist die dritte Busfahrt der Rundtour weggefallen. Den Abstecher zur Felsformation Cinque Torri will Frenademetz trotzdem machen. „Wir haben genug Zeit“, sagt er. Und die Piste sei einfach zu schön.

Stimmt vollkommen. Vorbei an den fünf Türmen, von denen einer 2004 umgekippt ist, wedeln wir hinein in ein Amphitheater aus zerklüfteten Felswänden. Vor uns erheben sich der Dreizack der Tofane und, wie eine Reihe spitz gefeilter Zähne, der Kamm der Croda da Lago.

Kinder in engen Rennanzügen und Schienbeinschonern jagen vorbei, ansonsten ist die Piste zur Hütte Bai de Dones leer - auch wegen der Bedingungen an diesem Tag.

Abfahren unter Eisfällen

Ein kalter Wind pfeift uns von nun an ins Gesicht, die Pisten im letzten Drittel der Runde sind hart und eisig. „Vor zwei Tagen lag noch Pulverschnee auf der Abfahrt vom Lagazuoi“, sagt Frenademetz. „Aber der starke Wind hat gestern alles weggeblasen.“

Die gute Laune trübt das nicht. Dramatisch leuchtet die tief stehende Sonne die Türme, Nadeln und Zinnen ringsum aus, selbst ansonsten fade Ziehwege werden mit dieser Kulisse zum Genusslauf. Die Krönung ist die Aussicht von der Terrasse der Lagazuoi-Hütte, aus 2778 Metern Höhe - und die finale, siebeneinhalb Kilometer lange Abfahrt.

Während wir die leere Piste hinunter kurven, wachsen die Felswände über uns immer höher in den Himmel. Und dann, gleich hinter der hübschen Scotoni-Hütte, hängen plötzlich gigantische Eiszapfen über der Piste - an denen Kletterer empor kraxeln.

Das Wasser rinne aus Löchern in der Wand, sagt Frenademetz. Manchmal reichten die Eisfälle bis zur Abbruchkante, rund 80 Meter hoch. Diesen Winter sind sie nur halb so groß und trotzdem beeindruckend.

Als wir im Tal ankommen, sind die Taxi-Pferde schon weg. Im Zweiergespann ziehen sie an einem Seil sonst bis zu 100 Skifahrer - aber eben nur bis 16 Uhr. Im Skatingschritt schnaufen wir das letzte Stück leicht bergauf, spätestens jetzt brennen die Oberschenkel.

Aber wer zu spät kommt, den belohnen die Dolomiten, wenn die untergehende Sonne sie anstrahlt. Und zwar mit dem Enrosadira: dem Alpenglühen.

(albu/dpa)
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