Guatemala Zwischen Tempeln und Vulkanen

Rund sieben Millionen Nachkommen der legendären Maya leben in Guatemala. Während ihre Hochkultur Ende des ersten Jahrtausends unterging, lebt ihre Tradition fort.

 Mit einer neuen Aussichtsplattform mit Blick auf die Vulkane und den Atitlan-See hat San Juan La Laguna seine touristische Attraktivität erhöht. 

Mit einer neuen Aussichtsplattform mit Blick auf die Vulkane und den Atitlan-See hat San Juan La Laguna seine touristische Attraktivität erhöht. 

Foto: Michael Juhran

Ihre Augen leuchten, als ich ihr zufällig vor den Tempeln des Hauptplatzes der Maya-Stätte Tikal begegne. Drei Jahre musste Berta Lopez wegen der Pandemie auf diesen Moment warten. Nun, nach mehr als 13 Stunden Busfahrt von Queztaltenango nach Tikal, ist die Maya-Frau einfach nur glücklich, es zu der Stätte geschafft zu haben, die ihrem Volk soviel bedeutet. „Jeden Maya erfüllen die beeindruckenden Tempelpyramiden aus der Blütezeit unserer Kultur im achten Jahrhundert mit großem Stolz“, übersetzt Bertas Enkel ihre Erklärung ins Englische. „Hier sind wir unseren Ahnen ganz nah, schöpfen neue Kraft und spüren bei Zeremonien den engen Zusammenhalt unserer Gemeinschaft.“

Auch die angereisten Touristen aus dem Ausland sind von den architektonischen, wirtschaftlichen und astronomischen Leistungen der Maya beeindruckt. Wissenschaftler gehen davon aus, dass rund um die Tempelanlagen bis zu 100.000 Menschen lebten, Mais, Bohnen, Chili, Tomaten und Kürbisse anbauten, Vieh züchteten und regen Handel betrieben, der zu einem gewissen Wohlstand gereichte. Blickt man von der Aussichtsplattform des 65 Meter hohen Tempels Nummer vier in Richtung des Hauptplatzes, sehen die Rückseiten der Tempel zwei und drei wie zu groß geratene Grabsteine aus. In der Tat fanden die größten Herrscher der Maya in den höchsten Tempeln ihre letzte Ruhestätte. „Bei den Gebeinen des Herrschers Ah Cacao fand man im Tempel Nummer eins wertvollen Jadeschmuck mit einem Gesamtgewicht von 17 Pfund“, lässt Nationalparkranger Ce­sar Hernandez seine Gäste aus Deutschland wissen. „Leider wurden bei frühen Ausgrabungen etwa 80 Prozent der Grabbeilagen entwendet, die man heute zum überwiegenden Teil in privaten Sammlungen vermutet.“

Um die gewaltigen Grabtempel herum gruppieren sich kleinere, pyramidenförmige Bauwerke, die genau nach dem Stand der Sonne am 21. März, Juni, September und Dezember ausgerichtet sind und den Priestern wichtige Hinweise für den Wechsel von Trocken- und Regenzeit gaben sowie den Zeitpunkt für Aussaat und Ernte bestimmten. Ein ausgeklügeltes System, das offensichtlich gut funktionierte, bis im neunten Jahrhundert eine lange Dürreperiode, gepaart mit Überbevölkerung und kriegerischen Auseinandersetzungen zu einem Ende der Blütezeit führte. Das mächtige Reich Tikal verwaiste und die Natur eroberte die von den Menschen gerodete und bebaute Region zurück. Mit dem von Cesar vermittelten Wissen im Hinterkopf besteigt man am späten Nachmittag den Tempel Nummer vier und kann sich mit etwas Fantasie ein Bild vom damaligen Leben machen.

Anders als Berta fliegen wir von Tikal nach Guatemala City, um mit einem Mietwagen zum vier Fahrtstunden entfernten Atitlan-See aufzubrechen, der mit einer Fläche von 130 Quadratkilometern der zweitgrößte Guatemalas ist. Statt zu Füßen steinerner Tempel leben die Maya hier im täglichen Angesicht dreier Vulkane: Atitlan, Toliman und San Pedro. Es ist eine wunderschöne Gegend. Der malerische, auf über 1500 Höhenmetern im westlichen Hochland Guatemalas gelegene See füllte sich in der Caldera eines Supervulkans, der vor etwa 84.000 Jahren explodierte.

Während die von den Vulkanen verteilten Mineralien ein Segen für die Landwirtschaft sind, verursachen Hurrikane immer wieder immense Schäden. „Die größten Schäden richteten die Stürme und Regenmassen in den Jahren 2005 und 2010 an“, erinnert sich Reiseleiterin Laura Calderon. „10.000 Menschen wurden von den Naturkatastrophen in den Tod gerissen.“ Läuft man durch Panajachel oder fährt mit dem Boot zum gegenüber liegenden San Juan La Laguna, so ist von den einstigen Verwüstungen auf den ersten Blick nichts mehr zu erkennen. Unterstützt von internationalen Stiftungen und Organisationen ergriffen beispielsweise die Bewohner von San Juan in Genossenschaften und privat die Ini­tiative, um eine touristische Infrastruktur zu schaffen, die es vor den Katastrophen nicht oder nur im Ansatz gab.

Heute ist der früher wenig beachtete Ort ein kleiner Touristenmagnet. Zuerst kamen nach der Pandemie Besucher aus Guatemala, jetzt trifft man zunehmend auch auf ausländische Gäste, die in kleinen Hotels oder B&Bs unterkommen. Überall herrscht geschäftiges Treiben. Trikes, die örtlichen Tuktuks, befördern die Ankommenden zu ihren Unterkünften oder zu den Startpunkten von Wanderrouten. Eine der schönsten Kurzwanderungen führt über 362 Treppenstufen auf eine erst nach der Pandemie errichtete Aussichtsplattform, von der aus man einen traumhaften Blick auf den riesigen See und die Vulkane hat. Getränkeverkäufer und einheimische Gäste verbreiten mit ihrem herzhaften Lachen Frohsinn. Man teilt die Begeisterung, unterstützt sich gegenseitig beim Fotografieren und tauscht Eindrücke aus, soweit es die Sprachkenntnisse zulassen.

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