Botswana So weit die Hufe tragen
Die schier endlose Wanderung der Zebras in Botswana lockt wieder Touristen in die Kalahari. Mit dem Regen wird aus der Wüste fruchtbares Weideland.
Am Flussufer steigt eine dichte Staubwolke auf. Unzählige Hufe durstiger Zebras donnern dem Boteti entgegen. Die gestreifte Herde säumt bald eng aneinander gedrängt den Strom. Ein einsamer Elefantenbulle räumt missmutig seine Badestelle. Wie eine schimmernde blaue Lebensader durchfließt der Boteti die Kalahari. In der Trockenzeit erstreckt sich für Hunderte Kilometer um seine Ufer nichts als staubige Dürre. Dann sammeln sich Tausende Wildtiere um das letzte verbleibende Wasser.
„Mit dem Regen verwandelt sich hier alles“, sagt Khumiso Rathipana, während er die trinkenden Zebras beobachtet, „dann wird aus der Kalahari plötzlich ein endloses Weideland“. Der Wildtier-Experte verfolgt die Tiere aufmerksam. Er erforscht ein einzigartiges Naturphänomen. Jahr für Jahr wandern Tausende Zebras mit der einsetzenden Regenzeit aus den wilden Flusslandschaften im Norden Botswanas in den Makgadikgadi-Pans-Nationalpark in der Kalahari. Hier erwartet sie ein üppig grünes Eldorado. Die große Zebrawanderung übertrifft sogar die berühmte Gnuwanderung der Serengeti an Länge und soll einst die größte Huftiermigration Afrikas gewesen sein. Ab den 1960er-Jahren wurden jedoch immer mehr Viehzäune errichtet, die die Wanderungen bald unmöglich machten. Zehntausende Wildtiere verendeten.
„Die Tiere kehren langsam zurück“, sagt Rathipana. Weil inzwischen wieder Zäune entfernt wurden und Elefanten sie niedertrampelten, sind riesige Zebraherden wieder zu ihren ursprünglichen Wanderrouten zurückgekehrt. „Sie folgen wohl uralten Instinkten“, sagt Rathipana, „obwohl sie sie gar nicht aus eigener Erfahrung mehr kennen.“ Der Leiter der Naturschutz-Organisation „Round River Conservation Studies“ in Botswana hofft, dass sich in Zukunft wieder ein uralter Kreislauf schließen wird, der jahrzehntelang unterbrochen war.
Rathipana hat im ostafrikanischen Tansania Wildlife Management studiert und dort erlebt, wie die große Gnuwanderung ein ganzes Öksystem belebt. Die „Great Migration“ in der Serengeti ist längst das wichtigste Aushängeschild des Tourismus in Tansania und spült Millionen in die Staatskassen. Einzig hier und in der benachbarten Masai Mara in Kenia ist das in unzähligen Tierdokumentationen festgehaltene Naturspektakel zu beobachten.
Rathipana glaubt, dass auch Botswanas Zebrawanderung das Potenzial hat, in Zukunft noch mehr Touristen in den Makgadikgadi-Pans-Nationalpark im Westen Botswanas zu locken. „Anders als in Tansania haben Touristen die Tierherden hier ganz für sich allein“, sagt der Naturschützer.
In der Morgendämmerung ist Mpaphi Dikaelo mit seinem Safari-Wagen von der Meno a Kwena-Lodge an einer Flussbiegung des Boteti aufgebrochen. Eine Fähre setzt ihn über in den Nationalpark. Der Guide folgt dem Boteti-Fluss entlang der Parkgrenze. „Durch die Pandemie hat sich der Konflikt zwischen Wildtieren und den Menschen zugespitzt“, erklärt er. „In den Dörfern nahe der Schutzgebiete sorgen Raubtiere, die das Vieh töten, und Elefanten, die die Felder zerstören, immer wieder für Ärger.“ Wenn die Einnahmen durch den Tourismus ausbleiben, ist die Toleranz für Schäden durch Wildtiere noch geringer. Dikaelo bringt regelmäßig Schulkinder in die Natioalparks, um sie über das Ökosystem zu informieren. „Viele von ihnen haben nie einen Löwen von Nahem gesehen,“ sagt er, „wir müssen ihnen die Umwelt erklären, damit sie verstehen, wie wichtig der Naturschutz ist.“
Mehr als vier Stunden mit dem Geländewagen in Richtung Osten, unweit der gewaltigen Salzpfannen von Makgadikgadi, blickt Cobra Kepile über die in der Vormittagshitze flimmernde Savanne, durch die in weiter Ferne eine Herde Zebras auf dem Weg zu einem verbleibenden Wasserloch zieht. „Früher folgten unsere Vorfahren den Wanderbewegungen der Wildtiere“, sagt der 71-Jährige, „sie jagten Zebras und Antilopen. Dann zwang man sie, an einem Ort zu bleiben. Nun lernen die Jungen nichts mehr über die Natur.“ Kepile ist einer der letzten indigenen San, die heute noch im Umkreis der Salzpfannen leben.
Die San fanden vor den europäischen Kolonisatoren nur in der Kalahari einen Rückzugsort. Ihr traditionelles Nomadentum mussten sie aber auch hier aufgeben und arbeiten nun meist als Viehhirten und Farmangestellte. In den letzten beiden Jahrzehnten versuchten einige, auch vom zunehmenden Interesse der Touristen an der Kalahari zu profitieren. Kepile hofft wie viele andere San, dass die Zebrawanderung immer mehr in die wenig bekannte Region lockt.
Am frühen Morgen beobachtet Kagiso Villa Moatshe von seinem Safari-Wagen aus einen Erdwolf, der sich am Eingang seines Baus in den ersten Sonnenstrahlen wärmt. „Man muss schon riesiges Glück haben, um diese nachtaktiven Tiere irgendwo sonst zu sehen“, sagt der Guide. Der Hyänenverwandte scheint ganz entspannt. Als er sich in seinen Bau verzieht, bricht Moatshe zu einer Stelle nahe der Salzpfannen auf, wo sich noch immer Wasser von der letzten Regenzeit staut. Unzählige Watvögel suchen im Uferschlick nach Fressbarem. Nicht weit davon zieht eine Gnuherde in einer schier endlosen Kette durch das seichte Wasser, gefolgt von einer Gruppe Zebras. „Das alles ist nur ein kleiner Eindruck davon, wie es früher einmal zur Zeit der großen Wanderung hier ausgesehen haben muss“, sagt der 33-Jährige. Als sich der Safari-Wagen langsam dem Ufer nähert, fliegt ein riesiger Schwarm Flamingos auf und färbt den Himmel über der Kalahari rosarot. „Ich hoffe, dass eines Tages die Tiere hierher zu Tausenden zurückkehren“, sagt der Guide. „So wie es vor langer Zeit einmal war.“