Sierra Leone wartet auf Touristen Paradies am Scheideweg

Freetown · Vor zwölf Jahren endete der Bürgerkrieg in Sierra Leone, heute ist das westafrikanische Land befriedet. Nun warten exotische Strände und gastfreundliche Menschen auf die ersten Touristen. Doch die Probleme, die noch bewältigt werden müssen, sind gewaltig.

Sierra Leone - Paradies am Scheideweg
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"Die Touristen wollen Tänze sehen", erklärt die Frau vom Fremdenverkehrsbüro dem Dorfältesten. Kochen wollten sie und werkeln und nicht nur herumsitzen. "Es muss ein Paket sein. 10 bis 15 Dollar könnte jeder Besucher für die Community hierlassen."

Sengbeh Sannoh lächelt. Dann erklärt der Mann, der von sich behauptet, 100 Jahre alt zu sein: "Ich bin ein guter Tänzer." Aber natürlich, Besucher seien immer willkommen. Man hat den Eindruck, dass er keinen Schimmer davon hat, was diese Frau aus der Stadt eigentlich von ihm will. "Mögen wir uns bei bester Gesundheit wiedersehen. Dann werde ich für euch tanzen", sagt er zum Abschied und humpelt davon.

Bisher sind noch nie Touristen nach Jene gekommen, in das kleine Dorf am Fluss Moa mitten in Sierra Leone. Doch das soll sich ändern. Gegenüber auf Tiwai Islands leben seltene Zwergflusspferde, Rote Stummelaffen hangeln sich durch die Tropenbäume.

Geht es nach dem Tourismusministerium, wird die zwölf Quadratkilometer große Insel in den kommenden Jahren ein Zentrum für nachhaltigen Tourismus. Um herauszufinden, wie man mit den acht Dörfern an den Grenzen des Reservats zusammenarbeiten könnte, spricht die Regierung mit Männern wie Sengbeh Sannoh.

Auf Tiwai selbst gibt es allerdings noch kaum Infrastruktur. Die Besucher schlafen in feuchten Zelten unter offenen Wellblechhütten. Der nächtliche Gewitterregen hört sich an, als fielen faustgroße Steine auf das Dach. Dafür fließt kein Wasser aus den Duschköpfen. Die Solaranlage funktioniert nicht, abends verschluckt Finsternis die Insel. Das Pilotprojekt Tiwai zeigt: Die Erwartungen an den Tourismus sind in Sierra Leone ebenso groß wie die Hindernisse.

Sierra Leone - Verkanntes Paradies
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Die meisten Europäer verbinden mit dem westafrikanischen Staat ohnehin noch kein Reiseland, sondern den Film "Blood Diamond" mit Leonardo di Caprio, der vom grausamen Bürgerkrieg erzählt. Die Revolutionary United Front (RUF) kämpfte gegen die wechselnden Regierungen des Landes, unterstützt vom liberianischen Warlord Charles Taylor, der an den Diamanten des Landes interessiert war.

Sierra Leone erschien damals als afrikanisches Schreckgespenst schlechthin: Kindersoldaten, Blutdiamanten, Massaker, ein Land voll Anarchie und Gewalt. Es ist ein Image, das nur schwer zu verändern ist, obwohl das Land seit mehr als zehn Jahren befriedet ist.

Dabei gilt Sierra Leone als Musterbeispiel für Konfliktbewältigung und Aussöhnung. Viele Menschen sind zwar traumatisiert, aber nicht untereinander verfeindet. "Ich kenne den Menschen, der meine Mutter erschossen hat", erzählt der junge Peter Momoh Bassie beim Friedens- und Kulturdenkmal in der Hauptstadt Freetown.

Auch sein Vater wurde ermordet. Der 29-Jährige zeigt den Namen auf einer Gedenktafel. "Wir haben unsere Heimat verloren, unsere Hände, unsere Gliedmaßen", steht auf einem Schaubild des Museums. "Niemals wieder!"

Heute ist der Handel mit Diamanten ein verschwiegenes Geschäft. Mittagshitze in Bo, der zweitgrößten Stadt des Landes: Der Händler Mohamed Abess öffnet nur nach viel Überredungskunst die Türen zu seinem Büro. Vier Aufpasser sitzen im Raum.

Ausdruckslose Augen. In der Ecke steht ein offener Safe mit Geldbündeln, an der Wand hängen Familienfotos. "Ich verkaufe nur an jemanden mit Lizenz", erklärt Abess. Er zeigt deshalb zuerst einen Karteikasten mit Belegen. Ein ungeschliffener Stein von 12,45 Karat zum Beispiel hat für umgerechnet 8400 Euro den Besitzer gewechselt.

Fragt man den Sohn libanesischer Einwanderer angesichts solcher Summen nach einem Schwarzmarkt, droht die Stimmung im Raum kurz zu kippen. "Was soll das hier? Ihr müsst jetzt gehen", schimpft einer der Männer.

Abess sagt laut: "They made everything crystal clear" - der Handel sei glasklar geregelt. Dann beruhigt er sich und zeigt ein paar Steine. Er hat sie in Papier eingeknüllt in seinem Schreibtisch - eben doch nicht alles so glasklar.

Sierra Leone lebt vor allem von den Rohstoffen, die es exportiert. Doch davon hat die arme Bevölkerung kaum etwas. "Die Minenfirmen nutzen die Menschen aus und zerstören die Umwelt", beschwert sich der scheidende Direktor des Fremdenverkehrsbüros, Cecile John Williams, bei einem Mittagessen in Freetown. "Sie suchen nach einem bestimmten Bodenschatz und finden gleich einen anderen."

Eine Alternative zum Bergbau könnte der Tourismus sein, den viele als große Chance sehen, fast schon als Heilsbringer. Die Frage ist nur: Profitieren davon wieder nur ausländische Investoren? Oder kommt das Geld der Urlauber auch der Bevölkerung zugute? Sierra Leone steht am Scheideweg.

Eines lässt sich schon heute sagen: Der Kampf um die Touristen wird nicht auf der Dschungelinsel Tiwai entschieden, sondern an den Stränden des Landes. Auf der Freetown Peninsula reiht sich Bucht an Bucht. Der weiße Sand ist manchmal so fein, dass er unter den Füßen quietscht.

Die Palmen wachsen schief in Richtung der untergehenden Sonne, das Meerwasser ist warm und klar. Im Hinterland erheben sich bewaldete Hänge. Sierra Leone wird manchmal die Karibik Afrikas genannt. Schon vor dem Krieg waren es die Badestrände, die Touristen aus dem Westen in die ehemalige britische Kolonie lockten.

Wer die Halbinsel entlang fährt, kann an den wenigen Hotels und Resorts bereits ablesen, in welche Richtung sich der Tourismus entwickeln könnte. Am Tokeh Beach, der noch ein kleines bisschen perfekter wirkt als die anderen Strände, haben libanesische Geschäftsleute einen Bungalow-Komplex hochgezogen - für etwa 25 Millionen Dollar, erzählt man sich. Schränke, Betten und Tische wurden aus China und Großbritannien geliefert. In den sterilen Strandhäusern riecht es nach Möbelhaus, in den Wellblechhütten unmittelbar vor dem Tor zur Ferienanlage nach Müll.

Aber da sind auch die kleinen Eco-Lodges, die sich einer nachhaltigen Entwicklung verschrieben haben. Die Herberge am John Obey Beach ist an ein Dorf angeschlossen, elf der Bewohner arbeiten fest in dem Backpacker-Camp mit. Sie lernen Englisch, wie man Müll trennt und das Haushalten mit einem bestimmten Budget. Ein Schild klärt auf über den CO2-Fußabdruck jedes Mitarbeiters - die Ambitionen sind groß.

In der Lodge am River No. 2 bekommen die Mitarbeiter der Community kein festes Gehalt, sondern einen Anreiz: 30 Prozent der Einnahmen fließen in einen Fonds für die Dorfentwicklung, 30 Prozent sind für Fixkosten, und 40 Prozent teilen sich die Mitarbeiter. "Am Ende der Woche geht jeder mit etwas Geld in der Tasche nach Hause", sagt Touristenführer Daniel Macauley zufrieden. Doch am Strand sitzt niemand, von den hölzernen Sitzmöbeln platzt Farbe ab.

Auch Amara Bangura schaut skeptisch in die Zukunft. Der 58-Jährige arbeitet in einem Resort am Mama Beach. Kreisrunde Bungalows, hübsche Inneneinrichtung, saubere Badezimmer. "Es kommen fast nur Geschäftsleute und Mitarbeiter von NGOs", erzählt Bagura. Auf der touristischen Landkarte ist Sierra Leone noch ein weißer Fleck.

So gibt es überall auf der Peninsula ein kollektives Warten darauf, dass Urlauber die einsame Postkartenkulisse mit Leben füllen. Aber noch hat das Land vor allem zwei Probleme: schlechte Infrastruktur und zu hohe Preise. Die Straße aus Freetown zu den Bilderbuch-Buchten ist so zerfurcht, dass der Geländewagen bei tiefen Pfützen bis über den Kühlergrill ins Wasser eintaucht. Und weil die Gäste von Hilfsorganisationen und Unternehmen fast jeden Hotelpreis zahlen, kostet eine hölzerne Hütte ohne Strom bis zu 45 Euro pro Nacht.

Joseph Pierce glaubt an die Zukunft Sierra Leones. Der 31-jährige Brite hat traurige Augen und ist etwas zu muskulös für einen Surfer. "Ich glaube, ich kann hier zu etwas Bedeutendem beitragen", sagt er. Pierce führt ein Resort am Tokeh Beach, zusammen mit einem Libanesen, dessen Familie das Areal vor dem Krieg gehörte.

Zwischen den Palmen stehen noch die Ruinen aus der Zeit, als zum Beispiel der spätere französische Präsident Jacques Chirac an den Strand von Tokeh kam. 600 Betten hatte die Anlage und einen Hubschrauberlandeplatz. Die verfallenen Häuser sehen aus wie ein Seeräuber-Versteck. Die neuen Bungalows sind bald fertig, dann könnten mehr Gäste kommen.

Pierce beteiligt die Dorfbewohner aus der Umgebung an seinem Projekt, das ist ihm wichtig. Er weiß, wie schwierig es ist, ihr Vertrauen zu gewinnen. "Als ich kam, hatten viele eine Mauer um sich herum aufgebaut. Ich habe alles eingerissen", sagt er ohne einen Anflug von Stolz. Die Mitarbeiter des Resorts müssten selbst ein Interesse daran haben, an diesem Ort etwas aufzubauen. Anders sei das nicht zu schaffen: "Dieses Land frisst dich auf und spuckt dich wieder aus, wenn du nicht wirklich mit den Leuten zusammenarbeitest."

Es sei die Mentalität der Sierra Leoner, die ihre Zukunft bestimme, sagt Pierce. Das gibt Hoffnung: Vor allem in den Dörfern sind die Menschen freundlich und aufgeschlossen, ohne damit gleich ein Geschäft anregen zu wollen. Gewalt gibt es so gut wie keine. "In London habe ich mehr Angst", sagt der junge Brite und schaut aufs Meer. Die Sonne versinkt im Ozean, Kellner servieren fangfrische Krebse. Manch einem käme hier das Wort "Paradies" über die Lippen. Pierce ist nicht euphorisch. "Am meisten fürchte ich Stillstand."

(dpa)
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