Fernreise Jamaika abseits des Reggae-Trubels

Wer an Jamaika denkt, denkt vermutlich an wilde Reggae-Partys am Strand mit viel Rum und Marihuana. Doch Jamaika ist weit mehr als dieses Klischee: eine Reise in das Landesinnere.

 In Montego Bay befindet sich das „Birds Sanctuary“, das die Engländerin Lisa Salmon in den 1950er-Jahren dort gründetes.

In Montego Bay befindet sich das „Birds Sanctuary“, das die Engländerin Lisa Salmon in den 1950er-Jahren dort gründetes.

Foto: dpa-tmn/Jamaica Tourist Board

„Das ist eines der schönsten Erlebnisse, das man auf Jamaika haben kann“, verspricht Fremdenführer Aneif Anderson, und trifft damit auf eher skeptische Gäste. In eine Art Vogelpark nahe Montego Bay will er sie bringen – das soll toll sein?

Doch vor Ort entpuppt sich das „Rockland‘s Birds Sanctuary“ als wunderschönes Anwesen in den Bergen mit einem grandiosen Blick aufs Meer. Das Beste allerdings ist erst mal nicht zu sehen: frei fliegende Kolibris, die den Gästen ein unvergessliches Erlebnis bescheren sollen – mit Fütterung auf der Hand. Fritz, der Manager des kleinen Parks, lässt die Besucher auf der Terrasse Platz nehmen, drückt ihnen ein Fläschchen mit Zuckerwasser in die Hand.

„Einfach still sitzen, das Zuckerwasser in einer Hand halten, dazu einen Finger der anderen Hand ausstrecken“, sagt Fritz. Nach zwei, drei Minuten flattern sie herbei: zwei hübsche Kolibris, die die ausgestreckten Finger ansteuern und nach kurzem Zögern wie Mini-Hubschrauber vorsichtig darauf landen.

„Das Feeling, diesen federleichten Winzling auf der Hand zu spüren, seinen Flügelschlag zu fühlen und zu sehen, wie er sich mit seinem zarten Schnäbelchen das Zuckerwasser holt, ist irre und eigentlich unbeschreiblich“. Marion aus Nürnberg ist hin und weg. Natürlich weiß Fritz alles über Kolibris: Dass sie fast 50 Kilometer pro Stunde schnell sind, bis zu 90 Mal pro Sekunde mit ihren Flügeln schlagen; dass die kleinsten nur zwei und selbst die größten höchstens 20 Gramm schwer sind.

Das „Birds Sanctuary“, erzählt Fritz, verdanke seine Existenz der Engländerin Lisa Salmon. Die verliebte sich in den frühen 1950er-Jahren in den herrlichen Platz über dem Meer, unternahm lange Spaziergänge – und ließ überall Futter und Zuckerwasser für die Vögel zurück. Nach ein paar Jahren war ihr Haus Lebensmittelpunkt der örtlichen Vogelwelt, 1952 machte die Engländerin ihr Refugium der Öffentlichkeit zugänglich.

Gut verbinden lässt sich die Visite bei den Kolibris mit einem Abstecher zum Great River unweit des Dorfs Lethe. Mit dem Auto geht‘s über kurvige Bergstraßen zum Fluss, wo man sich an der „Chukka Reggae Rafting“-Basis entscheiden muss: Rauf zum wilden Oberlauf des Flusses und über Stromschnellen zurück? Oder lieber den ruhigen Unterlauf auf dem Bambus-Floß he­runter schippern lassen? Wer es entspannt haben will, wird sich für die Variante Bambus entscheiden und die nächsten zwei Stunden Joshua anvertrauen – einem bulligen Flößer mit zum Zopf gebundenen Rasta-Locken.

Nur in ein paar Engstellen, wo die Strömung stärker und der Fluss tiefer wird, muss Joshua den Flößerstab mit aller Kraft gegen den Fels drücken. Ansonsten bleibt viel Zeit und Muße, um die herrliche Uferlandschaft mit Riesenbambus-Bäumen zu bestaunen.

Unterwegs kommen uns immer wieder junge Männer entgegen, die im Wasser watend mühsam Flöße stromaufwärts schieben. Während die zahlenden Gäste am Ende ihrer Tour bequem im Auto zur Basis fahren, müssen die Flöße mit Muskelkraft zurückgebracht werden. Mindestens drei Stunden schuften sich die Jungs im Fluss ab.

Auf die Frage, ob er denn die Kolibri-Station im nahen Rockland kennt, erzählt Joshua die Geschichte, die bis heute in der ganzen Region Montego Bay die Runde macht: Am Tag, als Lisa Salmon starb, waren alle Vögel plötzlich verschwunden. Die Leute dachten, dass sie nie mehr zurückkommen würden, doch bei der Beerdigung von Lisa waren all ihre gefiederten Freunde wieder da. Wahr oder nicht – Joshua und die meisten Jamaikaner glauben fest daran.

(dpa)
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