Israel Die Heilkraft der Wüste
Ein Kräuterladen zwischen Jerusalem und dem Negev lohnt den Zwischenstopp nicht nur für Souvenirjäger. Bei Mariam Abu Rkeek bekommen Israel-Reisende einen Einblick in das Leben der Beduinen.
Tel Sheva steht in kaum einem Reiseführer. Für Orientromantiker und Wüstenabenteurer scheint es hier, unweit der Großstadt Beer Sheva, keinen einzigen Grund für einen Zwischenstopp zwischen Jerusalem und dem Roten Meer zu geben. Statt Kamelen und Beduinenzelten unter Dattelpalmen: eine 1967 aus dem Wüstenboden gestampfte Retortenstadt – trister Beton, Abgase und Müll. Selbst die wenigsten Touristen, die die Ausgrabungsstätte auf dem jahrtausendealten Siedlungshügel gleich nebenan besuchen, das zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, verschlägt es hierher. „Man hat mich gewarnt: Niemand wird hierherkommen. Die Leute haben Angst“, sagt Mariam Abu Rkeek.
Immer mehr kommen dennoch. Wenn Einheimische und Ausländer heute Abu Rkeeks Kräuterladen betreten, empfängt sie sie mit einem herzlichen Lachen im traditionell schwarzen, mit Blüten bestickten Kaftan. Sie hat Zeit, ihnen bei einem süßen Minztee vom Leben in der Wüste zu erzählen, ein Leben, das wenig mit den Vorstellungen der meisten ihrer Besucher gemein hat. Abu Rkeeks eigene Biographie bricht mit den Idyllen und den Vorurteilen, mit denen Beduinen der Negevwüste immer wieder begegnet wird. Während Reiseführer die traditionellen Bewohner des Negev häufig noch immer als Naturvolk und Nachfahren des geheimnisvollen Nabatäerreichs stilisieren, bestimmen in den israelischen Medien häufig Kriminalität und Gewalt das Bild der Beduinen.
Mariam Abu Rkeek ist in einem Zelt geboren. „Meine Familie war eine der ersten, die nach Tel Sheva zog“, erzählt sie. Es war die erste feste Siedlung, die für die Beduinen konzipiert wurde. Die israelische Regierung zwang die Bewohner des Negev ab den 1960er-Jahren ihr Nomadentum aufzugeben und in eigens für sie errichtete Städte zu ziehen.„Man sagt, ein Russe, der selbst nur ein einziges Kind hatte, hat Tel Sheva konzipiert“, erzählt Abu Rkeek, „er hatte wohl keine Ahnung von den Großfamilien der Beduinen, als er seine Ein-Schlafzimmer-Wohnungen entworfen hat.“ Die nicht überdachten Innenhöfe, die er in dem Glauben konzipierte, die Beduinen bräuchten nachts eine Sicht auf den freien Sternenhimmel, seien im Winter vom Regen überflutet worden. „Meine Großmutter hat sich ihr ganzes Leben lang geweigert, aus ihrem Zelt zu ziehen“, sagt Abu Rkeek. „Sie war eine Heilerin und dem traditionellen Leben sehr verbunden.“ Viele Beduinen ziehen es bis heute vor, in illegalen Siedlungen in der Wüste zu leben.
Mariam Abu Rkeek hat viel mit ihrer Großmutter gemeinsam. Aber sie störte sich schon früh vor allem an den festgelegten Geschlechterrollen bei den Beduinen. Als erste israelische Beduinin überhaupt, entschied sie sich im Ausland zu studieren. Sie machte ihren Abschluss in Marketing an der englischen Universität Luton. Ihre Mutter war entsetzt über ihre Entscheidung, nicht früh zu heiraten und Kinder zu bekommen, wie es von jungen Beduininnen bis heute erwartet wird. „Ich habe schließlich erst mit 41 Jahren geheiratet“, erzählt sie, „in einem Alter, in dem manche Frauen hier schon Großmütter sind.“
„Die Freiheit zu Denken habe ich am Westen immer geschätzt“, sagt Abu Rkeek, „aber gleichzeitig festgestellt, dass viel von der Weisheit der Beduinen verloren gegangen ist“. Sie begann, Notizen vom Wissen ihrer Großmutter über Naturkosmetik und Heilpflanzen zu machen. Zunächst hatte sie vor, darüber ein Buch zu veröffentlichen. Schließlich wurde aus dem gesammelten Wissen eine Geschäftsidee, die sie bald weit über Tel Sheva hinaus bekannt machen sollte. Abu Rkeek begann, in der Wüste Kräuter zu sammeln und auf der Basis von Olivenöl und Kamelmilch zu Ölen, Salben und Seifen zu verarbeiten. „Viele messen dem Ort, von dem sie kommen, keinen Wert bei. Wir Beduinen hatten hier einst alles zur Verfügung und kaufen heute doch alle unsere Sachen im Supermarkt“. Ihre Großmutter lehrte sie, dass es für fast alles in der Wüste ein Heilmittel gibt. „Schwarzkümmel hilft bei Hautproblemen und Schmerzen zu lindern, Malve eignet sich besonders für Gesichtscremes und Syrischer Christusdorn für Haaröl“, erklärt Abu Rkeek. Für Augenserum, Körperöl und Fußcreme benutzt sie verschiedene Kräutermischungen. Die Zutaten sammelt sie noch immer selbst in der Wüste. Inzwischen werden ihre „Desert Daughter“-Naturprodukte auch in Tel Aviv und Jerusalem vertrieben, sind auch bei ausländischen Touristen beliebt und im Online-Handel erhältlich. Mittlerweile hat sie fünf junge Beduininnen angestellt. Sie weist sie selbst in die Herstellung der Kosmetik ein. „Die Rückkehr zu den Wurzeln kann eine entscheidende Antwort auf die Frage nach einem nachhaltigeren Lebensstil geben“, sagt Abu Rkeek.
Weniger als eine Autostunde östlich von Tel Sheva in Richtung des Toten Meers finden Reisende auf der Suche nach der Kulisse biblischer Geschichten oder den Abenteuern Lawrence von Arabiens dann doch noch ihr Wüstenidyll: Kfar Hanokdim ist eine grüne Dattelpalmoase in der flimmernden Hitze der Judäischen Wüste. Es ist ein für Touristen entworfenes Beduinen-Idyll. Eine Welt, die kaum weiter entfernt sein könnte von den Straßen Tel Shevas, die zum Kräuterladen von Mariam Abu Rkeek führen.