Interview mit Haiforscher "Surfer sind die perfekten Opfer"

Düsseldorf · Laut einer Studie kam es im vergangenen Jahr zu so vielen Haiangriffen wie nie zuvor. Haiforscher Erich Ritter erklärt im Interview, wie Schwimmer Haie unbewusst anlocken und an welchen Stränden man besser nicht ins Wasser gehen sollte.

Bilderstrecke: So sieht es aus, wenn Sie ein Hai angreift
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Foto: Screenshot Youtube

Herr Ritter, einer aktuellen Studie zufolge kam es im vergangenen Jahr mit 98 Haiangriffen zu so vielen Unfällen wie nie zuvor. Verwundert Sie das?

Ritter Nein. Wir haben sogar 120 Fälle recherchiert. Es kommt immer darauf an, welche Parameter man dafür anlegt.

Sie haben sogar mehr Fälle recherchiert? Wie geht das?

Ritter Wir haben eben noch die Fälle an den Küsten der Drittweltländer dazu genommen, und dann kommt man auf mehr. Aber rund 100 Unfälle sind passiert, das kann man so sagen.

Hintergrund: Dr. Erich Ritter ist Leiter der SharkSchool in Miami, USA. Der promovierte Biologe gibt Kurse für das Tauchen mit Haien. Der in der Schweiz geborene Forscher gilt als führender Wissenschaftler auf dem Gebiet der Hai-Mensch-Interaktion.

In der Studie heißt es, die hohe Zahl liege an der Kombination aus der wachsenden Zahl an Menschen auf der Welt und den sich erholenden Haibeständen. Wie sehen Sie das?

Ritter Nein, die Haibestände erholen sich auf keinen Fall. Haie haben eine Regenerationszeit von 15 bis 20 Jahren, es ist also gar nicht möglich, dass sie sich bei der Überfischung, die immer noch stattfindet, erholt haben.

Aber wie kommt die hohe Zahl dann zustande?

Ritter Wir haben eben einen Supersommer gehabt. Und dadurch kam es zu Billionen Bade-Ereignissen. Aber man muss sehen, dass rund 100 Haiangriffe nicht viel sind. Durch Flusspferde kam es 2015 zu knapp 3000 Unfällen. Durch Schlangenbisse sogar zu 90.000. Man sieht: Im Verhältnis sind es wirklich wenig Haiunfälle. Aber die Küsten, an denen sie hauptsächlich passieren, sind eben auch bei Schwimmern sehr beliebt, und deswegen gibt das immer sehr viel Aufsehen.

Welche Küsten sind das?

Ritter Florida, Südafrika, Südwest-Australien, Kalifornien und zuletzt Hawaii. An diesen Küsten wird es auch weiterhin zu Haiunfällen kommen, das lässt sich nicht ändern.

In der Studie stand auch, dass die Haiangriffe immer unprovoziert waren. Heißt das, dass ich mich als ganz normaler Schwimmer oder Schnorchler an diesen Stränden immer fürchten muss, wenn ich ins Wasser gehe?

Ritter Nein, auch das ist Quatsch. Haiangriffe sind immer provoziert, nur meistens ist sich der Schwimmer nicht über das bewusst, was er tut.

Haben Sie ein Beispiel?

Ritter Nehmen wir mal eine Situation in Hawaii mit einem Tigerhai. Die schwimmen im trüben Wasser und suchen dort nach Beute. Dabei gucken die Haie auch immer wieder an die Wasseroberfläche, denn was dort schwimmt, ist meistens verletzt, zum Beispiel eine Schildkröte. Wenn jetzt dort oben ein Schwimmer unterwegs ist, kann sich das auch wie ein verletztes Tier anhören, seine Bewegungen haben eine Frequenz — zwischen 200 und 800 Hz — die sich für einen Hai eben auch noch anhört wie die Geräusche von zappelnden Fischen. Jetzt kann es gut sein, dass der Hai hinschwimmt, um zu gucken, um was es sich da an der Oberfläche wirklich handelt. Ähnliches gilt natürlich für Schnorchler. Außerdem entstehen große Probleme durch Angler.

Inwiefern?

Ritter Hier in Amerika gibt es Stege, die bis zu 200 Meter ins Meer hinausreichen. Dort setzen sich Angler hin. Wenn ihnen dann ein Fisch an die Angel geht, setzt bei dem Tier eine Stressreaktion ein. Er verliert Schuppen, setzt Hormone frei und Kot. Das bildet einen Geruchskorridor im Wasser, der wiederum Haie anlockt, wenn sie sich in der Nähe befinden. Das Problem ist, dass die Stege zwar schon weit reichen, aber immer noch in einem Radius liegen, in dem Schwimmer unterwegs sind. Da kann schnell eines zum anderen kommen. Aber man muss auch wissen, dass Haie eigentlich nicht wirklich zubeißen.

Wie meinen Sie das?

Ritter Haie verstehen das Konzept Mensch nicht. Und schlussendlich können sie nur mit dem Maul entscheiden, ob es Beute ist oder nicht. Aber das ist meistens nur ein kurzer, oberflächlicher Biss, der eine kleine Fleischwunde nach sich ziehen würde. Keine dramatische Wunde. Ein Problem entsteht natürlich, wenn der Schwimmer seinen Arm oder sein Bein wegzieht. So kann es zu schlimmen Unfällen kommen.

Ja, aber wer ist schon in der Lage, in so einer Situation Arm oder Bein nicht wegzuziehen, das muss doch auch weh tun?

Ritter Ja, natürlich. Es ist kaum möglich, den Reflex zu unterdrücken. Ich bin selbst sogar schon mehrfach von Haien gebissen worden und lernte dies auch erst nach dem dritten Mal. Aber bis auf einmal, als mir ein Hai die Wade wegriss, waren es eigentlich keine schlimmen Situationen. Man muss sie aber aushalten können.

Nur mal kurz aus Interesse, wie viele Zähne hat ein Hai?

Ritter Zwischen 50 und 60, die aktiv sind, es kommt auf die Art an.

Und Sie sagen trotzdem, dass die Tiere quasi sanft zubeißen?

Ritter Ja, kein Haiunfall muss tödlich verlaufen. Aber viele gehen falsch mit den Tieren um. Es heißt zum Beispiel immer wieder, man soll den Hai schlagen, wenn er einen angreift. Aber das ist völliger Blödsinn. Denn Schlagen und Treten bedeuten für den Hai Verteidigung seiner selbst. Beides kann blitzschnell zu heftigen und unkontrollierbaren Situationen führen, die dann wirklich lebensgefährlich werden.

Was raten Sie Schwimmern, Schnorchlern und Surfern für ihre Sicherheit vor Haien?

Ritter Also, erstmal sollte man an keinem Strand schwimmen, der nicht gut kontrolliert ist. Denn wenn die Rettungskette schlecht ist, kann auch eine eigentlich kleine Wunde zu großen Problemen führen. Dann sollte man Sandbänke meiden. Dort lässt sich zwar schön im Wasser rumhängen, aber dort sind eben auch gerne Haie unterwegs. Ein besonderes Problem stellt sich bei Surfern, denn sie sind sozusagen das perfekte Opfer für den Hai.

Wieso?

Ritter Sie sind lange draußen, sehr viel an der Oberfläche und ebenso wie die Haie schwimmen sie in sich brechenden Wellen. So gibt es zwischen ihnen und Haien viele Kontaktmöglichkeiten.

Und was sollte man am besten tun, wenn man merkt, dass ein Hai in der Nähe ist?

Ritter Wenn man doch bemerkt, dass ein Hai in der Nähe ist, ist das Allerwichtigste, sofort in die Vertikale zu gehen, und sich nur mit Armbewegungen über Wasser zu halten, oder sich hinzustellen, sofern das möglich ist — aber man sollte sich nie vom Hai wegbewegen.

Warum?

Ritter Die Wasserbewegung und der Wasserdruck, den die Beine beim Schwimmen verursachen, ist für Haie interessant. Die Arme erzeugen das aber viel weniger. Also ist der Tipp: In die Vertikale gehen und mit den Armen paddeln, und sich ganz langsam mit der Richtung des Haies zu drehen. Auf gar keinen Fall sollte man wegschwimmen, das signalisiert dem Hai, dass es sich doch um Beute handeln könnte. Also auf der Stelle bleiben und sich mit dem Hai drehen, bis er weggeschwommen ist, und dann langsam — mit Betonung auf langsam — ans Ufer schwimmen, oder rückwärts gehen, sofern man im Untiefen ist.

Und wenn der Hai nicht abhaut?

Ritter Wenn der Hai einen beispielsweise umkreist und damit nicht aufhört, also nach drei oder vier Minuten immer noch da ist, dann hilft nur eines: direkt auf den Hai zuschwimmen.

Wie bitte?

Ritter Ich weiß, das ist schwer, aber das signalisiert dem Hai, dass ein Feind im Anmarsch ist. Ich habe das vom Weißen Hai über den Tigerhai und viele andere Arten ausprobiert. Wenn man es schafft, auf den Hai zuzuschwimmen, garantiere ich, dass er abhaut.

Das Gespräch führte Susanne Hamann.

(ham)
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