Geopark Tumbler Ridge Noch gibt es einsame Orte in den Rocky Mountains

Tumbler Ridge · Vielen Touristen sind die kanadischen Nationalparks im Sommer fast schon zu überlaufen. Aber es gibt noch ruhigere Ecken. Im Geopark Tumbler Ridge kann man noch echte Wildnis erleben - und dabei sogar Dinosaurier-Fußabdrücken hinterher laufen.

Geopark Tumbler Ridge - Wo die Rocky Mountains noch einsam sind
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Geopark Tumbler Ridge - Wo die Rocky Mountains noch einsam sind

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Foto: dpa-tmn/Mike Seehagel

Die Sensation ereignete sich an einem Herbsttag vor knapp 20 Jahren in der kleinen kanadischen Gemeinde Tumbler Ridge. Daniel Helm und ein Freund trieben mit einem aufgeblasenen Reifenschlauch einen Fluß hinunter, als einer der Jungen ins Wasser fiel und die beiden ans Ufer schwimmen mussten.

Erleichtert und neugierig gingen sie auf eine kleine Entdeckungstour und machten dabei in einigen Felsplatten am Ufer seltsame Einbuchtungen aus. Die Verformungen sahen zackig aus und wiederholten sich alle paar Schritte. Was nur konnte das sein?

Man zog Experten zu Rate. Danach war in Tumbler Ridge nichts mehr so, wie es einmal war. Was die Jungs in den nördlichen Rocky Mountains gefunden hatten, waren versteinerte Trittspuren von Dinosauriern.

„Wir hatten von Anfang an die Vorstellung, dass es sich um Dino-Fußabdrücke handeln könnte“, erinnert sich Helm, der heute 27 Jahre alt ist. „Allerdings hat es eine Weile gedauert, bis auch die Erwachsenen davon überzeugt waren.“

Mit dem Rocky Mountaineer durch Kanada
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Die Trittspuren stammen aus der Oberkreidezeit vor knapp 100 Millionen Jahren, als die Landschaften im Nordosten der Provinz British Columbia noch sumpfige Urwälder waren. Heute liegt die Region in den Bergen und gilt als Geheimtipp.

„Die Dino-Spuren haben Tumbler Ridge aus dem Dornröschenschlaf geweckt“, erzählt der Geologe Cameron Drever, während er mit seiner Hand vorsichtig Staub vom Felsgestein streicht. Als er mit einer Taschenlampe Licht auf die Verformungen wirft, werden die dreizackigen Fußabdrücke klar als solche erkennbar.

Drever arbeitet als Forscher in Tumbler Ridge und hat gerade Besucher über einen zwei Kilometer langen Wanderweg zum Flatbed Creek geführt, in die Nähe jenes Ortes, an dem die Kinder erstmals Spuren fanden. Seitdem hat man in der Region Dutzende weitere Spuren verschiedener Dinosaurierarten entdeckt, dazu mindestens 40 Knochenfelder.

Wegen ihrer geologischen Bedeutung haben die Vereinten Nationen die Region um Tumbler Ridge zu einem globalen Geopark erklärt, als einer von drei Orten in Kanada und 147 weltweit. Der Park ist der einzige Fleck der Erde, an dem man versteinerte Spuren von Tyrannosaurus Rex vorgefunden hat, die aus mehr als einem Fußabdruck bestehen.

Trotzdem ist Tumbler Ridge alles andere als überlaufen: Während sich eine Tagesreise weiter südlich im Sommer die Besuchermassen in Nationalparks wie Banff, Jasper oder Yoho drängeln und viele Campingplätze über Monate hinweg ausgebucht sind, stehen die Rocky Mountains rund um Tumbler Ridge noch für das einsame Kanada.

„Wir haben hier einige der spektakulärsten Gletscher, Bergseen, Wildwasserflüsse und Wasserfälle der Rockies zu bieten, aber garantiert ganz ohne Massentourismus“, sagt Randy Gulick, der im Ort ein Tourunternehmen führt.

Gulick steht unweit des Dorfes am Ufer des Murray River und wirft sein High-Speed-Boat vom Typ Invader an. Die Motoren heulen auf, und schon geht es los. Das Ziel ist eines der spektakulärsten Naturdenkmäler in British Columbia: Der Kinuseo-Wasserfall im Monkman Provincial Park ist einige Meter höher als die Niagarafälle und wird doch nur von wenigen Tausend Besuchern im Jahr gesehen. Erreichbar ist er über eine knapp 50 Kilometer lange Schotterstraße oder mit Booten.

Der Invader pflügt sich durch das flache Wasser. Erst geht es unter Brücken hindurch, dann mitten durch die Wildnis. An einer Flussbiegung kämpft sich Gulick durch einen Stau aus Holzstämmen, nach etwa einer Stunde taucht der rauschende Fall auf.

Das Rauschen der Gischt ist ohrenbetäubend, das Boot wippt auf und ab im aufgewühlten Wasser. Ein Regenbogen spiegelt sich in der Sonne, die es immer wieder durch die Wolken schafft.

Über den Fällen prangen S-förmige Gesteinsfalten, die aus der Trias-Epoche vor 250 Millionen Jahren stammen, als sich der Meeresboden nahe dem damaligen Superkontinent Pangea hob und so die Rocky Mountains formte, die heute von New Mexico in den USA bis ins nördliche British Columbia reichen.

Auf einen Gipfel dieser Bergkette geht es anderntags, nicht zu Fuß oder per Bergbahn wie in den meisten Nationalparks, sondern mit einem Allradwagen. Das ist rund um Tumbler Ridge erlaubt, auch Quadfahrzeuge oder Motorschlitten im Winter sind üblich.

Der Wagen kämpft sich im Schritttempo über alte Feldwege und Forststraßen, die einst von den Bergwerksunternehmen angelegt wurden. Es geht steil bergauf, über matschige Pisten, durch Eis- und Schneefelder, an schwindelerregenden Abhängen und Bergkämmen entlang. „Wir werden schon nicht abstürzen“, scherzt Gulick.

Nach einer Stunde Fahrt ist das Ziel erreicht: der Gipfel des Hermann Mountain auf knapp 1700 Metern. Der Blick auf die nördlichen Rocky Mountains ist umwerfend: Man erkennt ausladende Waldlandschaften, Seen, Schneefelder und Gletscher, ab und zu auch alte Minen. Auf dem Rückweg springen zwei Grizzlybären aus dem Straßengraben.

Weniger Action bieten die Hänge des Mount Babcock, eine Autostunde südlich von Tumbler Ridge gelegen. Hier beginnen einige der schönsten Wanderwege im Geopark, die sich auf eine Länge von insgesamt 300 Kilometer summieren und die zum Teil durch menschenleere Wildnis führen.

Das gilt auch für den Weg durch den Boulder Garden mit bizarren Felsformationen und Zinnen, die bei der Entstehung der Rocky Mountains geformt wurden. „Hier waren einst enorme urzeitliche Kräfte am Werk“, sagt Geologe Drever.

Nach einer guten Stunde erreicht Drever den sogenannten Shipyard, eine Serie markanter Felstürme, die optisch Schiffen ähneln sollen. Ein paar Felskletterer versuchen hier ihr Glück, an einem Abhang grast eine Herde zotteliger Bergziegen und blickt hinüber.

Der Shipyard ist ein rauer, abgelegener und vergessener Ort mitten in den unendlichen Weiten der Rocky Mountains, wo das Land heute noch so scheint, wie es einmal überall gewesen sein muss: einsam, ursprünglich und unentdeckt.

Man wäre nicht überrascht, wenn an diesem Ort jetzt auch noch Dinosaurier um die Ecke bögen.

(felt/dpa)
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