Highlands Die schottische Route 66

In den Highlands will eine Küstenstraße dem amerikanischen Vorbild Konkurrenz machen. Zu Recht? Eine Testfahrt zwischen Hügeln und Schafen und mit einem geplatzten Reifen.

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Foto: Shutterstock.com/ Adrian Pluskota

Als der Wagenheber im Gras versinkt, rümpft Tony die Nase. Man kann nur erahnen, was dem schottischen Pannenhelfer jetzt durch den Kopf geht. Diese Touristen! Können die nicht einfach mal geradeaus fahren? Oder besser noch: links? Was ist so schwer daran, einem Haufen Geröll auszuweichen? Statt all das laut auszusprechen, setzt der glatt rasierte Mittvierziger den Wagenheber neu an. Er wechselt den Reifen, kassiert 144 Pfund, und verliert ein paar Worte zur Landschaft. "Diese Straße", sagt Tony, "ist wahrscheinlich die verlassenste in ganz Großbritannien."

Es ist erst der zweite Tag in den Highlands, doch der Mietwagen hat schon ordentlich gelitten: Tank fast leer, Matsch von oben bis unten, und jetzt auch noch der zerfetzte Reifen. Es ist genau das, was die North Coast Road 500 (NC500) verspricht: einen legendären Roadtrip durch die wilde Natur. Die 516 Meilen (830 Kilometer) lange Strecke verläuft von Inverness bis in die hintersten Winkel der Highlands. Oder um es mit den Worten des Fremdenverkehrsamts zu sagen: Die NC500 ist die schottische Antwort auf die Route 66.

Die Route 66 war einer der ersten Highways, die die USA von Osten nach Westen durchquerten. Heute gilt die 1926 eröffnete Strecke als "Mutter aller Straßen". Es wimmelt dort vor Touristen, Oldtimern und Harley Davidsons. Auf der NC500 wimmelt es dagegen vor Schafen. Und Hirschen. Und Hochlandrindern. Völlig unbekümmert stolzieren sie über den Asphalt, als starrten sie nur alle paar Wochen in einen Autoscheinwerfer.

Die Highlands in Schottland
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Der südlichste Teil der Route verläuft durch beige-grüne Hügellandschaften, die an das Film-Epos "Herr der Ringe" erinnern. Kein Radioempfang, kein Gegenverkehr, keine Zivilisation. Von einer Minute auf die andere bricht ein Regenschauer los, gefolgt von einer halben Stunde schönsten Sonnenscheins. Hinter der nächsten Kurve plötzlich Nebel. Danach, wieder ohne Vorwarnung, heftiger Hagel. Einen Begrenzungsstreifen gibt's selten; wer nicht aufpasst, überfährt einen spitzen Stein - und macht Bekanntschaft mit Tony, dem schottischen Pannenhelfer.

Manche Pensionen haben sich schon auf den neuen Roadtrip-Tourismus eingestellt. Zwar gibt es an der Rezeption noch keine Straßenkarte der NC500. Dafür hängt vor der Parkbucht ein großer Gartenschlauch: Eine Dusche ist genau das Richtige für geschundene, matschige Mietwagen. Dass die Besucherzahlen tatsächlich steigen, bestätigt Lesley Crosfield (65), Betreiberin des Hotels "The Albannach" in Lochinver. "Früher kamen die Leute mit dem Wohnwagen zum Strand, um zu campen", erzählt Crosfield. "Heute wollen sie sich eher verwöhnen lassen."

Unterwegs ist der Streckenverlauf aber gar nicht so leicht zu finden. Wer nicht gerade eine Straßenkarte im Tourist Office abstaubt, muss sich auf sein Gefühl verlassen. Denn: Ausgeschildert ist die NC500 noch nicht. Die Werbekampagne hat sich bislang ausschließlich aufs Internet konzentriert - für mehr hat das Budget, das aus EU-Mitteln und privaten Spenden stammt, nicht gereicht. Im Laufe des Jahres sollen nun Straßenschilder und einige Souvenir-Artikel hinzukommen. Vielleicht ist das der größte Unterschied zur Route 66: Während die amerikanische Strecke ziemlich protzig daherkommt, glänzt die North Coast 500 durch britisches Understatement.

Der nächste Tag startet mit schlechtem Wetter. Agnes Oetting (24) und ihre Schwester Astrid (21) stehen mit durchweichten Rucksäcken am Straßenrand. Die beiden deutschen Studentinnen wollen per Anhalter nach Durness fahren, eine Kleinstadt an der schottischen Nordspitze. "Den ganzen Tag ist nur ein Auto vorbeigekommen", sagt Agnes und berichtet von Bushaltestellen, die nur alle paar Tage angefahren würden. "Es ist toll, dass man überall zelten darf", erzählt die Studentin. Nur das Wetter sei nicht das beste gewesen. "Tagsüber haben wir unser Zelt zum Trocknen am Lagerfeuer aufgehängt. Es wurde fast komplett trocken."

Während sich die Tankanzeige allmählich dem roten Bereich nähert, offenbart sich eine weitere Gemeinsamkeit zur Route 66: Hüben wie drüben sind Tankstellen spärlich gesät. Selbst dann, wenn das nächste Dorf nur noch ein paar Meilen entfernt ist, kann die Fahrt locker eine Stunde dauern. Steinen ausweichen, Abzweigungen finden, Schafe von der Straße hupen - all das dauert eben seine Zeit. Und so soll es auch sein.

Immer noch hält sich der Verkehr in Grenzen. Auch die einspurigen Abschnitte machen keine Probleme. Fast alle Fahrer winken beim Entgegenkommen, es wird rangiert und gewartet. Nur ein VW-Bus mit einem jungen Mann hinterm Steuer drängelt. Laut Nummernschild kommt er aus Frankfurt.

Die Redaktion wurde von Visit Britain zu der Reise eingeladen.

(RP)
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