Österreich/Oberbayern Radeln nach Noten
Der Mozart-Radweg führt durch die schönsten Seenlandschaften des Salzburger Landes und Bayerns. Unterwegs erfahren die Radler so einiges über den berühmten Musiker.
„Hodle-je-iii-dii“. Klar, der geschmetterte Bergsound klingt so gar nicht nach Mozart, gehört aber zum Repertoire von Andrea Wittmann. Die ist nämlich Jodel-Weltmeisterin und hat auch sonst musikalisch Einiges drauf. Als Tourguide begleitet sie Liebhaber klassischer Musik auf dem E-Bike rund um das 1000 Jahre alte Benediktinerkloster Seeon.
Nordwestlich des Chiemsees sind die „Musiksommer“ die klangvollste Zeit im Jahr. Dann folgen Urlauber der Kirchenmusikerin zwischen Inn und Salzach auf Spuren von Wolfgang Amadeus Mozart. Abends tauscht sie den Fahrraddress gegen das Kleine Schwarze, ist an Kirchenorgeln und am Dirigentenpult zu hören und zu sehen.
Presto. Mit ihrer Gruppe rollt Andrea von Note zu Note auf einer 25 Kilometer langen bayerischen Etappe des Mozartradwegs zwischen Obing und Chieming. Erster Halt ist eine schmale Straße am Klostersee. Vermutlich sei Mozarts Pferdegespann hier bei seinen Stippvisiten zwischen 1765 und 1780 immer angekommen. Der Wunderknabe habe das Kloster aber nicht nur besucht, sondern auch Musik hinterlassen. Zwar plagte dem „Wolferl“ nach ungemütlicher Fahrt auf harter Kutschbank von Salzburg bis Seeon meistens ein „feuerroter, schwieliger“ Popo. Das hinderte ihn aber nicht, zwei Offertorien an dem idyllischen Fleckchen Erde in Bayern zu komponieren. Für den Knaben waren es indessen ruhelose Zeiten. Nahezu zehn Jahre lang reiste er unermüdlich über rumplige Straßen bis Bayern, Wien, Mailand oder Paris. Ein Drittel seines nur 35-jährigen Lebens war der Musiker auf Achse, verbrachte seine Kindheit zwischen derbem Volk und gepuderten Hofdamen. Auf einem Hügel zieht eine prächtige Eiche die Blicke auf sich. Die „Mozarteiche“? Nach Spaziergängen durch das Grün sanfter Wiesen habe der Zehnjährige unter der alten Stieleiche auf einer Bank geruht – erzählt man sich.
Der Dreiklang von Landschaft, Musik und Architektur hatte auch den Chef des Klosterhotels, Gerald Schölzel, in die geschichtsträchtigen Mauern kommen lassen. Die zu schlicht-eleganten Zimmern umgebauten ehemaligen Mönchszellen ließ er 2021 modernisieren. Gebäudeflügel dienen als Bildungszentrum und Konzertsaal, der gotische Gewölbekeller beherbergt ein rustikales Restaurant. Bei einem Urdunkelbier wird nachvollziehbar, warum Vater Leopold sich über alle Maß auf gefüllte Krüge freute, während der Sohn in der Klosterkirche Orgel spielte. „Mozartorgel“, betont Andrea. Das Instrument dürfe sich so nennen, weil der Kirchenmusiker Max Keller Zeuge von Mozarts Spiel auf der heute restaurierten Klaviatur war.
An welcher Poststation genau die Familie Mozart einkehrte oder Station machen mussten, weil eine Achse streikte, das Wagenrad brach oder die Pferde gewechselt wurden, ist nur vage überliefert. Ganz sicher aber kehrten sie gleich um die Ecke der Pianowerkstatt ein, wo jetzt der „Gasthof zur Post“ steht.
Allegro. Vor der Silhouette der Chiemgauer Alpen rollen die Biker weiter. Noch schnell ein Fotostopp beim alten Pfarrhaus von Obing. Das morbide Haus sieht noch heute so aus wie vor 250 Jahren als es Poststation auf der Route Traunstein-Wasserburg war. Vater Leopold hatte hier oft gefeiert, getanzt und gezecht.
Allegretto. Auf einem Stolperweg an der Alz haben die Pedalritter einen steilen Abhang hinunter an den Fluss zu bewältigen. Konzentriert balancieren sie die Stahlrösser auf befestigten Holzplanken den Hang hinab und hieven sie in einen Kahn. Dann wird‘s zünftig. Am anderen Ufer im Gasthof Roiter werden schon die Weißbiere gezapft, Kartoffelknödel gefüllt und regionale Produkte wie Schweinswürstl oder Auerochsenfleisch gebraten.
Gediegener geht es am Abend in der Grassauer Villa Sawallisch zu. Wer sich in der Musikakademie der Wolfgang-Sawallisch-Stiftung in eine Ferienwohnung einquartiert, darf Meistern und Stipendiaten über die Schulter schauen und aus zahlreichen Villa-Konzerten im Jahr auswählen. Derweil eine Meisterklasse komplizierte Tonfolgen aus dem Fagott zaubert, berichtet die Hausherrin von einer himmlischen Expedition. Mit der Raumsonde Voyager sei 1977 als „menschliches Kulturgut“ Musik ins All geschickt worden. Darunter auch die Arie der Königin der Nacht aus Mozarts „Zauberflöte“. Wolfgang Sawallisch habe bei der Aufnahme das Bayerische Staatsorchester dirigiert.
Adagio. Als die Radlergruppe ihre Tour Roll over Mozart vor dem Kloster Seeon beendet, ist sie dem Mythos des Genies ein kleines Stück näher gekommen. Im Klostergarten schleppt die Bedienung behände Maßkrüge an die Tische. Aus Fenstern klingen Musikfetzten hinüber – ein Ensemble probt für ein abendliches Konzert.