"Always keep left" Mit dem Fahrrad durch Irlands Südosten

Waterford · Irland ist nicht groß, dafür aber abwechslungsreich. Schnell deutlich wird das für alle, die sich über mit dem Fahrrad über die Insel bewegen. Zwar gibt es kein ausgebautes Radwegenetz. Dafür aber schöne Routen und gepflegte Greenways wie den Waterford Greenway.

Mit dem Fahrrad durch den Südosten Irlands
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Auf dem kleinen gepflasterten Hof von O'Mahony's herrscht im Sommer Hochbetrieb: An schönen Tagen stürzen erschöpfte Radler mit roten Wangen dankbar ein helles Ale ihre ausgetrocknete Kehle hinunter. Die einzige Bedienung des Pubs schlängelt sich geschickt mit ihrem vollen Tablett durch die Menge, verteilt Getränke und nimmt gleichzeitig Bestellungen entgegen.

Andere Radfahrer sitzen mit ihren halb leeren Gläsern an den Holztischen und strecken ihre müden Beine in die Sonne. Oder sie beißen in ihren Flapjack, einen irischen Müsliriegel, um wieder zu Kräften zu kommen. Auf dem kleinen Rasen vor dem Pub drängeln sich die abgestellten Räder um die Straßenlaterne und warten darauf, dass es weitergeht. O'Mahony's ist für Radfahrer auf dem Waterford Greenway ein idealer Ort zum Auftanken. Der Pub liegt in Stradbally, etwa zehn Kilometer von dem Ort Dungarvan entfernt. Wer die Tour in Waterford begonnen hat und über den insgesamt 46 Kilometer langen, gut ausgebauten Radweg im Südosten Irlands gefahren ist, befindet sich hier fast am Ziel.

Mittendrin in dem Gewusel auf dem Hof des Pubs steckt Garvan Cummins. Der etwa 40-Jährige betreibt einen Fahrradverleih und sorgt mit seinen zwei Helfern dafür, dass die Räder funktionieren. In dem kleinen weiß getünchten Schuppen auf dem Hof des Pubs flickt Cummins platte Reifen, stellt Bremsen ein oder richtet die Gangschaltung. "Wenn es gar nicht mehr geht, hole ich liegengebliebene Radfahrer auch mit dem Auto ab."

Cummins ist aber nicht nur Fahrradmechaniker. Ohne ihn gäbe es den Waterford Greenway nicht. Vor etwa zehn Jahren machte es sich der Historiker mit ein paar Gleichgesinnten zur Aufgabe, die alte Bahnstrecke zwischen Dungarvan und Waterford wiederzubeleben. Die Deise Greenway Group, die dazu gegründet wurde, startete 2008 eine Kampagne. Diese führte letztlich zum Ausbau der Strecke als Radweg.
Seitdem trägt Cummins auch den Titel "The Greenway Man". Inzwischen heißt auch seine Firma so.

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Foto: shutterstock/Gail Johnson

Der Ausbau des Radweges in der untersten Ecke in "Irelands ancient east" (Irlands historischem Osten) hat die Gegend rund um Waterford verändert. "Vor zwei Jahren saß hier im Pub kaum jemand", erzählt Cummins. "Heute ist es voll." Trotz des Andrangs nimmt er sich Zeit für jeden Kunden. "Frei habe ich im Sommer nur, wenn es regnet", erzählt er mit einem breiten Lächeln. "Manchmal freue ich mich über schlechte Wettervorhersagen."

Doch selbst wenn es im O'Mahony's voll ist, verteilt sich der Verkehr meist gut auf dem flachen, langgestreckten Greenway. Radler aller Altersklassen teilen sich die gut asphaltierte Strecke mit ambitionierten Wanderern, gemächlichen Spaziergängern oder Inlineskatern. Mit ein wenig Glück fährt man selbst an sonnigen Tagen zumindest ein Stück allein durch die sattgrüne Landschaft. Dann hört man neben dem Rollen der Reifen stellenweise nur das Zwitschern der Vögel und das Rauschen des Fahrtwindes.

Auch wenn der Weg geübten Radtouristen kurz erscheint, der Waterford Greenway ist durchaus abwechslungsreich: Wer in Waterford startet, fährt erst ein Stück entlang des Flusses Suir, passiert in Kilmeaden eine Bahnstation, an der man eine Tour mit einer Schmalspurbahn machen kann. An Feldern und Wiesen geht es vorbei bis nach Kilmacthomas, wo der Weg über ein beeindruckendes Viadukt führt, dann kommen hohe Hecken bis zu O'Mahony's Pub in Stradbally. Im Anschluss folgt ein langer, schummriger Tunnel und schließlich ein Stück am Meer entlang bis zum Hafenstädtchen Dungarvan.

Gewöhnungsbedürftig für manche Radfahrer: Auch auf dem Radweg herrscht strikter Linksverkehr. Wer darauf nicht achtet, hört sofort: "Wrong side of the road!" - falsche Straßenseite. Der Ton ist dabei bestimmt, aber immer freundlich. Denn anders als auf den Straßen vieler deutscher Großstädte nehmen Radfahrer in Irland aufeinander tatsächlich Rücksicht.

"Radfahren erlebt auf der Insel seit Jahren einen Boom", hat Dan MacCarthy beobachtet. Der Journalist schreibt für die Zeitung "Irish Examiner" über Wirtschaftsthemen. Seine Leidenschaft gilt aber dem Radfahren. Deshalb hat er in seiner Freizeit einen Teil der irischen Routen erkundet und darüber ein Buch geschrieben.

Zum Beweis für seine These beruft sich der 52-Jährige auf die Statistik: "Allein im Jahr 2014 wurden in Irland 92 000 Autos verkauft, aber rund 94 000 Fahrräder", sagt der Rad-Enthusiast und fügt hinzu: "Irland hat mehr Straßenkilometer pro Einwohner als irgend eine anderes europäisches Land." Allein 2017 strampelten knapp 400 000 Radtouristen über Irlands Straßen. "Es gibt eine Menge toller Strecken auf der ganzen Insel", sagt MacCarthy.

Wer nicht auf einem der Greenways unterwegs ist, muss sich die Straße meist mit Autos teilen. "Always keep left" - immer links fahren, das ist der Rat, den Des Hayes allen mit auf den Weg gibt, die nicht aus Irland oder Großbritannien kommen. Der 67-Jährige, der in Wexford einen Fahrradladen in dritter Generation betreibt, erzählt: "Daran müssen sich die meisten tatsächlich gewöhnen." Unfälle hat er in den 36 Jahren, in denen er dort arbeitet, dennoch selten erlebt.

Das mag auch an der Fahrweise der irischen Autofahrer liegen. Denn wie die einheimischen Radfahrer fahren sie zwar oft zügig, aber meist rücksichtsvoll. Hupen, drängeln? Fehlanzeige. Auch an engen Stellen kommen Radfahrer und Autos sich selten gefährlich nah. Viele irische Countys haben inzwischen Routen für Radtouristen eingerichtet. Rund um Wexford zum Beispiel gibt es die "Slaney Route" mit einer Länge von 53 Kilometern, die kürzere "Coastal Route" mit 36 Kilometern oder die "South Wexford Route" mit 78 Kilometern.

Die Strecken führen meist über schmale Straßen durch wenig bewohntes Hinterland. Dort fährt das Rad leise vorbei an großzügigen Anwesen mit wohlklingenden Namen wie "Tudor House" oder "Summerset" sowie an alten Kirchen und noch älteren Burgen. Teils säumen hohe Hecken den Weg, deren Äste an manchen Stellen einen Tunnel aus dichten, sattgrünen Blättern bilden.

In der Regel sind die Wege gut ausgeschildert, allerdings müssen Radfahrer aufmerksam sein, um die blauen Wegweiser am Straßenrand auch wirklich zu entdecken. Wer einen verpasst, kommt schnell von der Route ab. In diesen Situationen hilft aber die irische Gastfreundschaft: Leute nach dem Weg zu fragen, klappt immer.
Mitunter wetteifern Einheimische sogar um den besten Tipp: Während der eine nach rechts weist, will einen der zweite nach links schicken. Egal, für welchen Weg man sich entscheidet, am Ende kommt man immer ans Ziel.

(dpa/ham)
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