Island Wale auf drei Uhr!

Insgesamt 15 Walarten tummeln sich von Mai bis Oktober in den Gewässern vor Island – nirgends in Europa ist die Vielfalt größer. Wer die Insel mit dem Schiff umrundet, kommt an den Giganten des Meeres ungesehen nicht vorbei.

 Wenn sich die kleinen Schweinswale zeigen, ist das für die Touristen ein ganz besonderes Erlebnis.

Wenn sich die kleinen Schweinswale zeigen, ist das für die Touristen ein ganz besonderes Erlebnis.

Foto: Christiane Neubauer

Schneewittchen ist heute ausgesprochen gut gelaunt. Mit einem kräftigen Flossenschlag katapultiert sie ihren etwa 30 Tonnen schweren Körper weit über die Wasserlinie und lässt sich dann laut klatschend zurück ins Meer fallen. Das Wasser spritzt so hoch, dass es aussieht, als wäre eine Seemine explodiert. Die Touristen im Schlauchboot ziehen prompt reflexartig die Köpfe ein, dabei ist die Buckelwaldame so weit vom Boot entfernt, dass ohnehin niemand nass geworden wäre – doch ein Wal, der springt, das ist nun mal beängstigend und faszinierend zugleich!

Schneewittchen dreht Pirouetten, Schneewittchen legt sich auf die Seite und winkt mit ihrer mächtigen Brustflosse oder sie präsentiert beim Abtauchen fast angeberisch ihre beeindruckend große Fluke. „Sie haben wirklich Glück. So hab’ ich sie noch nie erlebt!“, schwärmt die junge Frau am Außenborder, die bereits einige isländische Sommer lang Touristen von Húsavík aus mit Schlauchbooten durch die geschützte Bucht von Skjalfandi kutschiert, damit sie Wale beobachten und fotografieren können. Gerade die nordisländische Küste lockt eine Vielzahl unterschiedlicher Wal-Arten sowie Delfine an. Schneewittchen hat die Bootsführerin an den Mustern auf der Fluke erkannt: „Die sind bei jedem Wal einzigartig. Das ist wie ein Fingerabdruck“, erklärt sie.

Als die Gruppe wieder festen Boden unter den Füßen hat, ist jeder begeistert. Handys und Fotoapparate werden herumgereicht. Wer hat den besten Schnappschuss gemacht? Dabei ist der Ausflug in die Skjalfandi-Bucht nur der vorläufige Höhepunkt der Expeditionskreuzfahrt, die fünf Tage zuvor im Hafen der isländischen Hauptstadt Reykjavik gestartet war. In zehn Tagen werden die Passagiere an Bord der „Ocean Diamond“ die Insel aus Feuer und Eis einmal umrundet haben – wobei das Wort Expedition in Anführungszeichen geschrieben werden sollte. Passagiere, die erwarten, dass sie die eisigen Gletscher Islands in Reinhold-Messner-Manier erklimmen, die Lavawüsten zu Fuß durchstreifen und jeden Tag verwegenere Abenteuer erleben werden, sind fehl an Bord. Zwar führt die 124 Meter lange „Ocean Diamond“, die 1973 als Cargo-Schiff „Begonia“ vom Stapel gelassen wurde, am Heck ein gutes Dutzend Zodiacs – das sind Schlauchboote mit Außenbordmotor – mit sich. Doch Ausflüge in Fjorde, entlang von Steilküsten und Höhlen gibt es nur, wenn das Wetter gut ist. „Wir wollen nicht, dass unsere Passagiere sich nasse Füße holen“, sagt Arndís Halla Ásgeirsdóttir.

Die Opernsängerin, die in Berlin klassischen Gesang studierte und sich als Königin der Nacht in Mozarts „Zauberflöte“ und als Sängerin der Show „Apassionata“ einen Namen machte, ist die Perle in der Crew der „Ocean Diamond“. Als 2012 das Heimweh stärker war als die Glückgefühle, die der Applaus von tausenden von Zuschauern auslösen konnte, heuerte sie auf dem Kreuzfahrtschiff an – als Guide, als Sängerin, als Zodiac-Fahrerin und Geschichtenerzählerin. Ihre gute Laune ist so ansteckend, dass sie selbst Passagieren, die von der Seekrankheit geplagt werden, ein Lächeln auf die Wangen zaubern kann. Und wenn sie gemeinsam auf Deck spontan isländische Weisen anstimmt, was sie oft und gerne tut – ist Gänsehaut garantiert. Wie mehr als die Hälfte ihrer Landsleute glaubt auch Arndís an das Huldufólk, das versteckte Volk (zumindest gibt sie es vor). Gemeint sind Elfen und Trolle und andere Fabelwesen, die man keinesfalls stören oder anderweitig verärgern sollte. „Sie rächen sich“, sagt Arndís.

Die „Ocean Diamond“ umrundet die Insel im Uhrzeigersinn. Gefahren wird über Nacht, so kann jeden Tag ein anderer Hafen erreicht werden, von dem aus die Passagiere dann Europas Vorposten am Polarkreis erkunden können. Stykkisholmur ist Ausgangspunkt für einen Ausflug auf die Snaefellsnes-Halbinsel. Das Gebiet wird als Island im Miniaturformat bezeichnet, weil seine landschaftliche Vielfalt nahezu alle Charaktere Islands widerspiegelt. Die Stadt Siglufjördur war einst Zentrum einer florierenden Heringsindustrie. Beim Besuch des örtlichen Museums erleben die Passagiere das goldene Zeitalter des „Heringbooms“.

Am Nachmittag steht ein Besuch auf der Insel Grimsey an. Hier lassen sich die possierlichen Papageientaucher, aber auch Lummen und verschiedene Möwenarten beobachten. Von Akureyri aus führt ein Ausflug zu den mystischen Krater- und Mondlandschaften um den Myvatn-See, wo in Tümpeln und Löchern Wasser und Schlamm kocht, dampft, blubbert und stinkt. Während der Bus über die Hochebene kurvt, die den einen oder anderen an die kahle, mit Schlackehügeln und Asche bedeckte Wüste von Gorgoroth aus „Der Herr der Ringe“ denken lässt, erzählt Arndís Märchen und Legenden aus ihrer Heimat. Zum Beispiel von Bárður, einem der ersten Siedler auf Island, in dessen Adern Trollblut geflossen sein soll. Auch die Lavaformationen seien nichts anderes als versteinerte Trolle, sagt Arndís.

Bei der Ankunft im Fischerort Djupivogur, Ausgangsort für einen Ausflug zum Gletscherlagune Jökulsárlón, hat das Wetter umgeschlagen. Acht Grad zeigt das Thermometer. Böiger Wind treibt Schauer aus Wasser und Graupel waagrecht vor sich her. „Wir müssen etwas gemacht haben, was die Elfen beleidigt hat“, ulkt einer der Passagiere, ein Spaßvogel aus England, als das Amphibienfahrzeug ins Wasser gleitet, in dem Eisberge jeglicher Form und Größe treiben. „Dieses Eis ist 1000 Jahre alt“, sagt der Bootsführer. Er fischt einen Brocken des Eisbergs aus der Lagune und zerhackt ihn in kleine Stücke, damit jeder probieren kann. „Es ist das reinste Wasser, das ihr jemals gekostet habt!“. „Eine Tasse Tee wäre mir lieber“, ruft der Engländer dazwischen und hat die Lacher auf seiner Seite.

Zu verdanken haben die Isländer die Lagune mit ihren bizarren, vielfarbigen Eisformationen, der bereits in verschiedenen Filmproduktionen als Schauplatz diente – zum Beispiel in James Bond „Stirb an einem anderen Tag“ - übrigens nicht den Trollen, sondern der Klimaerwärmung. Hier kalbt eine der Gletscherzungen des Vatnajökull Eisberge in einen See, der in den vergangenen Jahrzehnten rasant gewachsen ist.

Als die „Ocean Diamond“ am Abend Kurs nimmt auf die letzte Station der Reise, die Westmännerinseln, reißt die graue Wolkendecke endlich auf. Wie eine Silbermünze schiebt sich die Sonne hervor und taucht das Meer rund um den Dampfer in gleißendes Licht. Obwohl im Speisesaal bereits das Abendessen serviert wird, versammeln sich viele Passagiere an Deck, um die Lichtreflexionen auf der Wasseroberfläche zu bestaunen. Und als wäre das allein nicht spektakulär genug, meldet sich auch noch der Kapitän über den Bordlautsprecher, um den Passagieren die Position einer Sichtung bekannt zu geben: „Wale auf drei Uhr!“ Tatsächlich! Am Horizont sind die Atemfontänen mehrerer Wale zu sehen. Ein Friedensangebot von den Elfen? Ein magischer Moment ist es allemal!

Die Recherche wurde von Iceland Pro Cruises unterstützt.

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