Griechenland Inspirationsinsel

1960 kam Leonard Cohen zum ersten Mal auf die griechische Insel Hydra – und danach immer wieder. Eine Spurensuche.

 Leonard Cohen fand in der Ruhe und der Künstlergemeinschaft auf der griechischen Insel Inspiration. Und traf dort auf seine Muse.

Leonard Cohen fand in der Ruhe und der Künstlergemeinschaft auf der griechischen Insel Inspiration. Und traf dort auf seine Muse.

Foto: Sascha Rettig

Stufe für Stufe für Stufe geht es die Treppe hinauf. Auf der Insel Hydra gibt es schließlich weder eine Straßenbahn, noch die Möglichkeit, einfach mit dem Auto vorzufahren. Um im Hauptort, der wie ein Amphitheater in die Bucht gebaut ist, nach oben zu kommen, besteht also keine andere Wahl. Laufen, auch wenn die Hitze des Sommers den Schweiß auf die Stirn treibt. Immer weiter geht es durch die Gasse, die einst die wenig glamouröse Bezeichnung „Eselmist-Gasse“ verpasst bekam. Und nachdem man noch ein paar Mal nach dem Weg gefragt hat, steht man schließlich vor dem Ziel, dem Haus des berühmten Teilzeit-Insulaners, der vor 50, 60 Jahren schon tagtäglich dieselben Stufen hochstieg: Leonard Cohen.

Es ist ein für die Insel typisches, ganz unscheinbares Haus in einer schmalen Nebengasse, weiß getüncht, mit grauen Tür- und Fensterrahmen, unter dem Türklopfer ein kleiner Davidstern und wenigen Fan-Kritzeleien an der Wand, die den einstigen Bewohner verraten. „Sein Sohn Adam wollte keine Plakette anbringen“, erklärt Lakis Christidis, Anfang 70, der Cohen wiederholt auf der Insel begegnete und seine Erinnerungen auf einem Spaziergang teilt.

Nach wie vor suchen Inselbesucher das Haus der Musiklegende auf, die am 7. November vor drei Jahren im Alter von 82 starb. Cohen kaufte es einst Mitte der 60er und auch nach seinem Tod soll es nach wie vor in Familienbesitz sein. Der Kanadier verbrachte viel Zeit auf der Insel, die im glasklaren Blau des Saronischen Golfs und nur eine kurze Überfahrt von Piräus entfernt liegt. 1960 kam er zum ersten Mal, kehrte die folgenden zehn Sommer immer wieder zurück und kam auch danach noch nach Hydra – allerdings nicht mehr so regelmäßig. Als er erstmals von Bord der Fähre ging und im kleinen Hafen voller Fischerboote und Tavernen ankam, war er gerade einmal Mitte 20 und noch nicht der Musiker, der mit Songklassikern wie „Suzanne“ oder „Famous Blue Raincoat“ berühmt werden sollte. Er war noch ein Dichter, der auf erste Erfolge hoffte und stieß auf Hydra auf ein Refugium: für Künstler, Schriftsteller und Musiker, die die Abgeschiedenheit, Ruhe und eine internationale Gemeinschaft Gleichgesinnter suchten.

Cohen fand in dieser Atmos­phäre die Inspiration für seine Lyrik und spätere Songs, die immer eigentlich auch unverkennbar in tiefe Schwermut gegossenen Gedichte waren – ausgerechnet hier, wo die griechische Sonne mit ihrem intensiven, hellen, harten Licht die Schatten messerscharf erscheinen lässt. Hier traf er auch die Norwegerin Marianne Ihlen. Bei ihrer ersten Begegnung war sie noch mit einem Schriftsteller verheiratet. Als die schließlich getrennte Wege gingen, begann die Beziehung mit Cohen: Ein paar Jahre waren sie zusammen, sie wurde zu seiner Muse und später machte er sie in seinem Werk mit dem Songklassiker „So Long Marianne“ unsterblich. Der Dokumentarfilm „Marianne & Leonard: Words of Love“ vertieft sich aktuell im Kino in die besondere Liebesgeschichte der beiden.

Verglichen mit den 60ern, die Cohen erlebte, ist auf Hydra natürlich einiges anders. Die Ruhe, Gemütlichkeit und den ursprünglichen Charme, all das ist am ehesten noch in der Nebensaison zu finden. Vor allem im Hafen und entlang des Wassers ist es touristischer geworden. Zwischen Mai und September wird die Insel überströmt von Besuchern. Und trotzdem erlebt man die Insel heutzutage immer noch in vielerlei Hinsicht wie einst der Musiker. Neue Häuser dürfen schließlich nicht gebaut werden. Schon gar keine Bettenburgen wie auf anderen Inseln. Es gibt keine großen, vielstöckigen Gebäude. Das größte Hotel hat kaum mehr als zwei Dutzend Zimmer.

Hydra hat zwar rund 2000 Einwohner, aber nach wie vor keine Autos – mit drei Ausnahmen: Müllabfuhr, Ambulanz und Feuerwehr. Das Gepäck der Touristen wird weiterhin mit Handwagen zum Hotel gebracht oder durch die Esel, die im Hafen auf ihren Einsatz warten und die Lasten durch die Gassen tragen. Von Immobilienpreisen wie früher kann man heute aber nur noch träumen. Gerade einmal 1500 Dollar zahlte Cohen für sein Haus. „Das Geld hatte er von seiner Großmutter geerbt“, berichtet Christidis. Damals war das Leben aber auch noch viel einfacher. Es gab es nicht mal Stromleitungen auf Hydra. „Tagsüber gab es Generatoren, abends nur Kerzen. Als in den späten 60er Jahren schließlich die Masten mit den Kabeln errichtet wurden, wurde er zu seinem Gedicht und dem späteren Lied ‚Bird on a Wire‘ inspiriert.“

Hier und da stößt man auf Hydra auf Hinweise, entdeckt alte Fotos und trifft Insulaner, die Cohen einst begegneten. Im kleinen Supermarkt nahe des Wohnhauses kramt das alte Besitzerpärchen Maria und Dimitri in seinen Erinnerungen – und einen alten Zeitungsartikel über den Musiker heraus. Vom Restaurant „Xeri Elia“ gibt es ein Foto, wie er umgeben von Freunden und Bekannten unter einem Baum sitzt und Gitarre spielt. Der Baum steht bis heute und bis heute werden an den Tischen darunter Klassiker der Griechenlandküche serviert. Auch die Live-Musik an diesem Abend ist melancholisch mit Liedern über vergangene Lieben.

 Esel statt Autos: Nur Müllabfuhr, Ambulanz und Feuerwehr sind auf Hydra motorisiert auf vier Rädern unterwegs.

Esel statt Autos: Nur Müllabfuhr, Ambulanz und Feuerwehr sind auf Hydra motorisiert auf vier Rädern unterwegs.

Foto: Sascha Rettig

Der Treffpunkt für die Tour mit Christidis war nicht weit von der Taverne entfernt, am Café Rolo am Hafen. „Früher war ein kleines Lebensmittelgeschäft darin und davor war ein Treffpunkt für die Ausländer auf der Insel“, erinnert sich der Grieche. Während er durch die labyrinthischen Gassen führt, erzählt er weiter: „Die Einheimischen haben damals die Mentalität der Ausländer nicht verstanden. Sie sprachen ja kein Englisch. Das waren Parallelwelten.“ Auf dem Spaziergang, der an einer Cohen gewidmeten Steinbank endet, kann Christidis einiges über dessen Zeit auf Hydra berichten. Wer sich auf eigene Faust auf Spurensuche begibt, muss etwas genauer schauen. Und doch braucht es letztlich keine Fotos und keine konkreten Orte, um der Inselzeit des Musikers nachzuspüren. Die größte Spur ist Hydra selbst.

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