Kuba Der alte Mann und der Mojito

Zwischen windschiefen Fensterläden, Schutthaufen und verrosteten Gittern liegt die verschlafene Schönheit Havanna. Die Patina der kubanischen Hauptstadt ist eine Schicht aus Nostalgie und Geduld. Die unerschöpfliche Ausdauer der Kubaner bemisst sich allein schon an der Länge der zahlreichen Warteschlangen.

Das US-Embargo und die jahrzehntelange Abschottung Kubas sind der Grund, dass auf Havannas Straßen noch immer amerikanische Straßenkreuzer der 40er- und 50er-Jahre fahren.

Das US-Embargo und die jahrzehntelange Abschottung Kubas sind der Grund, dass auf Havannas Straßen noch immer amerikanische Straßenkreuzer der 40er- und 50er-Jahre fahren.

Foto: Elfi Vomberg

Und wieder steht die Flaneurin in einer langen Reihe von Wartenden. Erneut war ihr Blick Richtung Himmel gewandert und an einer prächtig-ma­roden Häuserfassade hängen geblieben, als sie von einer Warteschlange ausgebremst wurde. In Havanna scheint der Bordstein inzwischen eher zu einem Wartebereich geworden zu sein. Einfach überall stehen Menschen an, die nur darauf warten, Fisch, Hühnchen, Brot, Pflanzenöl oder Toilettenpapier einkaufen zu können. „Das ist inzwischen unser Alltag. Wir stehen den ganzen Tag irgendwo an – unser Rhythmus lautet: schlafen und anstehen, schlafen und anstehen“, erklärt Danielle, der eine sogenannte „Casa Particular“ in Havannas Altstadt betreibt.

„Casa Particular“ heißt grob übersetzt „Privathaus“ und der Name ist Programm: Hier übernachten Touristen ganz authentisch in einer Privatunterkunft, bei der man ganz nebenbei in den kubanischen Alltag eintauchen kann. Als Gastgeber einer Casa muss Danielle daher besonders viel anstehen. Und so ist das Frühstück, das er jeden Morgen auftischt, nicht nur das Ergebnis seiner Kochkünste, sondern auch seiner Geduld und Ausdauer in den zahlreichen Warteschlangen zu verdanken – denn jedes Produkt hat seine eigene Schlange. „Ich habe mich schon zwei Monate hintereinander angestellt, um Hühnchen zu bekommen, aber immer wenn ich endlich dran war, gab es keins mehr. Also erstmal kein Fleisch für mich“, erklärt er lachend und rührt die Eier fürs Omelette. Beim morgendlichen Blick auf den Frühstückstisch wird der Tourist immer wieder daran erinnert, dass er in einem sozialistischen Staat Urlaub macht: Mal gibt es Käse, mal gibt es Butter, mal gibt es Brot vom Vortag. Selten alles.

Menschen warten, um Lebensmittel einkaufen zu können.

Menschen warten, um Lebensmittel einkaufen zu können.

Foto: Elfi Vomberg

Aber auch dann, wenn auf der Rundreise ein Umzug in eine andere Casa Particular ansteht, wird dem Reisenden für einen kurzen Moment des Karibik-Urlaubes klar, dass hier andere politische „Systeme“ wirken: Im Gästebuch neben der Unterschrift des Gastes gibt es eine Spalte, in der der Gastgeber eintragen kann, ob er während des Aufenthaltes „besondere Beobachtungen“ gemacht hat.

So stellt man sich vor, dass irgendwo eine Abteilung in einem Regierungsgebäude nur damit beschäftigt ist, über die Route der Reisenden zu wachen. Heute hätte die Abteilung besonders viel zu tun, denn an diesem Tag geht es kreuz und quer durch Havanna. Wir schauen uns die Orte an, an denen Ernest ­Hemingway sein kubanisches Leben in den 1930er-Jahren in vollen Zügen genossen hat – stilecht im giftgrünen Oldtimer.

Von Havanna geht es in den verlassenen Fischerort Cojimar, wo seine nobelpreisgekrönte Geschichte „Der alte Mann und das Meer“ spielt. Während im kleinen Örtchen nur noch eine kleine Bronzebüste an Hemingway erinnert, begibt man sich in seiner „Finca Vigia“ am Stadtrand Havannas in San Francisco de Paula auf eine spannende Spurensuche. Hier wirkt alles so, als wäre der Schriftsteller nur mal kurz raus aufs Meer zum Hochseefischen geschippert und würde gleich zurückkommen und sich wieder an seinen riesigen Schreibtisch setzen und seinen Stempel „I don’t answer letters“ leicht erbost und doch amüsiert auf seine Fanpost pressen.

 Als wäre er nur kurz zum Fischen rausgefahren – Ernest Hemingways „Finca Vigia“.

Als wäre er nur kurz zum Fischen rausgefahren – Ernest Hemingways „Finca Vigia“.

Foto: Elfi Vomberg

Die gesamte Einrichtung der Kolonialvilla stammt noch aus der Zeit, in der Hemingway hier lebte. Im Schlafzimmer findet man seine Schreibmaschine, an der er immer im Stehen schrieb („Autoren sollten stehend an einem Pult schreiben. Dann würden ihnen ganz von selbst kurze Sätze einfallen.“), im Badezimmer entziffert man neben der Waage an der Wand seine Aufzeichnungen über sein Gewicht, im Esszimmer hängen seine zahlreichen Jagdtrophäen und im Arbeitszimmer hängt angeblich auch noch ein echter Picasso. In und um Havanna fand Hemingway die Muße für seine größten Leidenschaften: das Schreiben, das Angeln und das Boxen.

Doch Hemingway war nicht nur bekannt für seine Prosa, sondern auch für seine Trinkfestigkeit. Kein Wunder, dass viele seiner bekanntesten Zitate so klingen, als seien sie direkt an der Theke entstanden: „Ich trinke, um andere Menschen interessanter zu machen“ oder „Ein intelligenter Mann ist manchmal dazu gezwungen, betrunken zu sein, um Zeit mit Idioten zu verbringen“. Zu einer Tour auf den Spuren des berühmten Schriftstellers gehören also in Havanna auch Stopps in seinen Lieblingsbars – und davon gibt es einige. Morgens um sechs stand Ernest Hemingway auf, um früh mit der Arbeit fertig zu sein – „done by noon, drunk by three“. Sein hochprozentiges Tagespensum startete er angeblich mittags mit sieben Mojitos in der „Bodeguita del Medio“ in der Nähe der Kathedrale von Havanna, bevor er in die „Bar Floridita“ für seine Nachmittags-Daiquiris wechselte. Vielleicht auch ein Geheimrezept, um heute den ein oder anderen Hindernislauf durch die maroden Häuserschluchten Havannas besser zu meistern.

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