Arnis an der dänischen Grenze Ein Tag in Deutschlands kleinster Stadt

Düsseldorf (RP). Arnis an der dänischen Grenze hat 341 Einwohner. 24 Stunden auf der Halbinsel zeigen, dass die Menschen dort eins nicht wollen: sich vereinnahmen lassen.

Bad Arnis - die kleinste Stadt Deutschlands
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Der einzige, der die Ruhe in Arnis stört, ist der Wind. Er lässt die Blätter rascheln und rauschen, die Fahnen klatschen, er trägt die schnatternden Möwen und Motorengeräusche von der Landstraße heran.

Der erste Mensch, der morgens in Arnis unterwegs ist, heißt Kurt Bauer. Der Liegenschaftsarbeiter hält am Ortseingang, schließt die Toiletten am Feuerwehrgerätehaus auf, kontrolliert in seinem kleinen Wasserwerk die Zählerstände und klettert in einen kleinen Trecker. Er rollt durch Arnis, vorbei am Bäcker, am Rathaus, der Fähre, den vier Gaststätten, dem Strand. Er leert die Mülleimer, hebt Dreck von den Wiesen auf, grüßt den ersten Jogger, den ersten Radfahrer, die erste Schwimmerin. Als er wieder den Ortseingang erreicht, kommt der Bus. Darin sitzt eine Person: der Fahrer.

Sieben Busse pro Woche

Arnis, die kleinste Stadt Deutschlands, liegt in einer Gegend, in der die Menschen zu jeder Tages- und Nachtzeit "Moin" (nette Begrüßung) und "Moin, Moin" (sehr nette Begrüßung) sagen, zwischen Flensburg und Kiel. Sieben Busse halten in Arnis an Wochentagen, samstags zwei, sonntags keiner. Die Stadt hat mehr Bootsanlegeplätze (400) als Einwohner (341). Im Telefonbuch der Region endet Arnis nach einmal Umblättern und zweieinhalb Seiten.

Der Wochenmarkt besteht aus einem Gemüsehändler, "das Stadion" der Stadt ist eine halbgemähte Wiese mit zwei Toren. Die andere Hälfte der Wiese ist Sumpfgebiet. Mit fünf Werften besitzt Arnis die höchste Dichte Deutschlands, denn auf 68 Einwohner kommt eine Werft. Das Büro der Stadtverwaltung öffnet zwei Mal in der Woche. Mittwochs von 17 bis 19 Uhr ist Bürgermeistersprechstunde, donnerstags zwischen 17 und 19 Uhr werden Angelscheine ausgestellt.

Als Marion Bauer zum Rathaus kommt, ist die erste Besucherin schon da. Sie möchte den Angelschein ihres Sohnes verlängern. Marion Bauer füllt die Karte aus, kassiert elf Euro, drückt den Stempel auf die Pappe und faltet sie in der Mitte. Ein Junge tritt ein, auch er möchte in Arnis angeln. "Welche Strecke darf's denn sein?", fragt Marion Bauer, erklärt Angelgebiete, Fristen und Preise. Kasse, Stempel, "viel Spaß". Der nächste Besucher ist Bürgermeister Bernd Kugler. Er steckt sich eine Pfeife an und nimmt einen Brief vom Schreibtisch.

Alle amtlichen Anliegen, die nicht Angelscheine betreffen, übernimmt die Verwaltung in der Nachbarstadt Kappeln. Bürgermeister Kugler fährt mit Anträgen, Rechnungen und einer Liste mit den Ständen der Wasserzähler ins Kappelner Rathaus, läuft dort von einem Zimmer zum nächsten, gibt die Zettel ab und holt aus seinem Postkästchen die neuen Schreiben. Die bearbeitet und verteilt er anschließend in Arnis. "Selbstbestimmung ist uns wichtig. Wir können mit allen in Kappeln gut um, aber wir wollen nicht als Randgemeinde von Kappeln vereinnahmt werden", sagt Kugler.

Die Arnisser Stadtrechte sind gut 75 Jahre alt. Seit seiner Gründung im 17. Jahrhundert hatte Arnis als Flecken gegolten. Diese Ortsbezeichnung verschwand mit der Gebietsreform 1934, fast alle Flecken wurden zu Städten ernannt. Für Arnis gab es diesen Plan mangels Größe zunächst nicht. Der damalige Bürgermeister Peter Holstein forderte dies aber immer und immer wieder, schließlich erhielt er Fakten per Post: ein Amtssiegel mit der Inschrift "Stadt Arnis".

Die Stadtrechte stellt seitdem niemand mehr infrage, wohl aber eine andere Bezeichnung. Auf dem Schreibtisch von Bürgermeister Kugler liegt ein Brief aus Kiel. Die Landesregierung will wissen, weshalb die Stadt sich Bad Arnis nennt, sie habe doch weder Heilbäder noch Kureinrichtungen. Kugler zuckt mit den Schultern: "Wir wollen das aus Gewohnheitsrecht beibehalten."

Streit um Kurort-Qualitäten

Das Gewohnheitsrecht entstand wie die Stadtrechte dank der Dickköpfigkeit der Einwohner. Um 1900 war Arnis ausschließlich klein und ruhig, als die Idee entstand, ein Bade- und Kurort zu werden. Der Theaterverein sammelte Geld, der Verkehrsverein gestaltete damit einen Werbeprospekt. Diesen zierte eine Zeichnung, auf der Arnis plötzlich einen Dom und venezianische Gondeln an seinen Ufern besaß.

In der norddeutschen Wirklichkeit bauten die Einwohner passend dazu an der Schlei ein Dutzend Umkleidekabinen und Strandkörbe auf und malten in großen Buchstaben Bad Arnis an den Zaun. In der Stadtchronik heißt es, dass einige wichtige Herren aus Schleswig "vom Wasser aus gesehen" einen guten Eindruck davon hatten und die Stadt sich seitdem "Bad Arnis" nennen durfte. Ob die Herren vom Strandbad oder der Aufschrift beeindruckt waren, verrät die Chronik nicht.

Der Donnerstag bleibt ein besonderer Tag, denn auf die Angelscheinstunden folgt der Stammtisch der Segler. "Wann kommen eigentlich die Politessen, Bernd?", fragt eine der Frauen den Bürgermeister. "Nächstes Jahr", sagt Kugler. Die Politessen sollen die Anwohnerparkausweise kontrollieren, die Arnis vor 15 Jahren eingeführt hat. Da bisher niemand darauf achtet und viele Besucher einfach so in der Stadt stehen statt auf dem Besucherparkplatz am Ortseingang, sehen die Bürger inzwischen nicht mehr ein, weshalb sie 30 Euro im Jahr für den Ausweis zahlen sollen. Für alle Fälle legen sie bunte Zettel hinter die Windschutzscheibe, die sie so abdecken, dass sie theoretisch Parkausweise sein könnten.

Charmante Eigenbrötler waren die Arnisser schon immer, so ist ihr Ort schließlich entstanden. Im 17. Jahrhundert weigerten sich 64 Kappelner Familien, dem Lehnsherrn den Treueid zu leisten. Sie durften deshalb nicht in Kappeln bleiben, erhielten aber die Erlaubnis, die Insel Arnis zu besiedeln. Erst mehr als 100 Jahre später bauten sie einen Damm und stellten den Anschluss zum Festland wieder her.

Drei Fraktionen für 341 Einwohner

So ungewöhnlich wie die Geschichte erscheint auch die politische Gegenwart. In der Stadtvertretung sitzen drei Fraktionen: die Arnisser Wählergemeinschaft, die Bürger für Arnis und der Südschleswigsche Wählerverband, die Vertretung der dänischen Minderheit. Die letzten Sozialdemokraten der Stadt sind zu "Bürger für Arnis" gewechselt. "Eine CDU gab es hier auch mal, das muss so vor 25 Jahren gewesen sein", sagt Bürgermeister Kugler (Bürger für Arnis).

Weit nach Mitternacht sitzen die Mitglieder des Segler-Stammtischs immer noch zusammen. Sie lachen viel und plaudern. Über Bioweine, E-Bikes, Schwiegersöhne. Holzplanken, Windstärken, Segelziele. Dänemark, Island, die Azoren. Bürgermeister Kugler beobachtet eine Entenfamilie, die im Mondlicht auf dem Wasser landet und sich treiben lässt. "Ganz schlecht leben wir hier nicht", sagt er zu den anderen. Dann bilden sie eine "Gehgemeinschaft" und bringen sich gegenseitig nach Hause. Autos stehen hintereinander am rechten Straßenrand, ab und zu schimmert orangenes Licht hinter einer Linde. Nichts außer dem eigenen Atem unterscheidet Arnis jetzt noch von einem Foto.

Internet: www.arnis.de

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