Griechenland Zufluchtsort für Mensch und Robbe

Alonissos gehört zu den Nördlichen Sporaden. Von Massentourismus gibt es auf der kleinen griechischen Insel keine Spur. Stattdessen hat die Mönchsrobbe hier Zuflucht gefunden.

 Mönchsrobben haben sich bei Alonissos angesiedelt.

Mönchsrobben haben sich bei Alonissos angesiedelt.

Foto: Anna Karolina Stock

Ankunft in Patitiri, dem kleinen Hafenstädtchen von Alonissos. Salzige Meeresluft mischt sich mit dem harzigen Duft von Aleppokiefern. Ein Pfad führt hinauf in das alte Berg­dorf, die Chora. Eigentlich ist es das neue Bergdorf, denn das alte wurde bei einem Erdbeben zerstört. Urig wirkt es trotzdem, als sei die Zeit stehengeblieben. Morgens krähen die Hähne, Katzen liegen faul in der Sonne, die Einheimischen trinken Ouzo und spielen Tavli, die griechische Variante von Backgammon. Dazu gibt es frittierten Filoteig mit Käse, eine Spezialität der Nördlichen Sporaden.

Alonissos hat sich den Zauber eines Aussteigerortes bewahrt. Jeder Tag scheint gleich zu sein. Im Sommer, vor allem im Juli und August, wird nur zwischen Wochentag und Wochenende unterschieden. Dann legen Ausflugsboote und Fähren regelmäßig in Patitiri an. Auf der gemütlichen Sporadeninsel kommt Leben auf. Touristen springen an Land, wild entschlossen, mit der Kamera einige Sehenswürdigkeiten einzufangen. Abends tummeln sie sich in einem der Restaurants der Chora. Die Stimmung ist ausgelassen fröhlich. Noch schöner ist nur der Ausblick auf die kleinen, unbewohnten Inseln rund um Alonissos. Zum Beispiel auf die Vulkaninsel Psathoura, auf der schwarze Lavasteine die Strände säumen und ein aktiver Leuchtturm fast 30 Meter in den Himmel ragt. Oder nach Gioura, wo der Legende nach Odysseus auf den Zyklopen Polyphemos getroffen sein soll.

 Im Städtchen Patitiri liegt der Hafen von Alonissos. Hier geht es auf der kleinen Insel ziemlich lebhaft zu.

Im Städtchen Patitiri liegt der Hafen von Alonissos. Hier geht es auf der kleinen Insel ziemlich lebhaft zu.

Foto: Anna Karolina Stock

Hier, wo sich die Nördlichen Sporaden in einer Gruppe verstreuter Felseninselchen verlieren, fanden auch viele Meeresbewohner ihren letzten Zufluchtsort – darunter Delfine und die verspielten Mittelmeer-Mönchsrobben Monachus Monachus. Für sie wurde das Archipel um Alonissos 1992 zur Schutzzone erklärt und ein 2200 Quadratkilometer großer Meeresnationalpark erschaffen – Griechenlands erster überhaupt. Mönchsrobben sind so etwas wie die Maskottchen der Insel. In Patitiri gibt es sogar ein kleines Robbenmuseum.

Einige Exemplare haben inselweite Bekanntheit erlangt. So auch Billy, der gerne faul am Strand, auf einem der ankernden Boote oder einem SUP liegt und sich die griechische Sonne auf den Bauch scheinen lässt. Billy ist eine von nur etwa 60 Mönchsrobben, die im Alonissos-Meeresnationalpark zu Hause sind. Er wurde als Findelkind in einer Aufzuchtstation großgezogen und zeigt vor Menschen nur wenig Scheu. Seine wilden Verwandten sind deutlich misstrauischer. Weil sie jahrhundertelang gejagt wurden, gehören die seehundähnlichen Robben heute zu den seltensten Säugetieren Europas. Die Gesamtzahl der noch lebenden Mittelmeer-Mönchsrobben beläuft sich auf wenige Hundert.

„Um Mönchsrobben zu
beobachten, muss man schon eine große Portion Glück mitbringen“, sagt Tauchlehrerin Nikoletta Efstathiou vom Triton Dive Center, als das Boot den Hafen von Patitiri verlässt und auf das offene Meer hinaussteuert. Schon bald erscheint am Horizont die Silhouette der Insel Piperi. „Die Insel der Robben“, präzisiert sie. Das Tauchboot darf sich dem Schutzgebiet nur auf drei Meilen nähern. Lediglich Naturschützer und Wissenschaftler sind befugt, die Robbeninsel zu betreten. „Piperi ist das Herzstück des Nationalparks“, erklärt Nikoletta, „hier können sie ungestört leben und sich fortpflanzen.“ Neben der Kolonie auf Piperi gibt es nur noch weit verstreute Restpopulationen auf Karpathos, den Kykladen, Zakynthos, den Ilhas Desertas bei Madeira, an den Küsten der Türkei und der Westsahara. Nur langsam steigt ihre Zahl im Mittelmeer wieder.

Statt Piperi steuert das Tauchboot nun Peristera an, eine Nachbarinsel von Alonissos. „Genau unter uns liegt eines der größten Schiffwracks, das in dieser Region jemals geborgen wurde“, verkündet Nikoletta stolz. Weil Alonissos bereits in der Antike an einer wichtigen Handelsroute lag, sind in der Gegend gleich mehrere Schiffe gesunken. Keines jedoch entzückte Unterwasser­archäologen so sehr wie das griechische Handelsschiff vor Peristera. Über 4000 Amphoren soll der gesunkene Frachter aus byzantinischer Zeit geladen haben.

 Bei Alonissos liegen Schiffswracks auf dem Meeresboden. Das ist ein reizvolles Ziel für Taucher.

Bei Alonissos liegen Schiffswracks auf dem Meeresboden. Das ist ein reizvolles Ziel für Taucher.

Foto: Ministry of Culture and Sports/G. Issaris

„Für Freizeittaucher ist das Erkunden der meisten historischen Wracks leider streng verboten“, berichtet die Tauchlehrerin. „Aber keine Sorge, ein Unterwasserausflug lohnt sich trotzdem.“ Ein erster Blick durch die Taucherbrille beweist, dass Alonissos zu den besten Tauchplätzen Europas zählt. Schwärme von schillernden Goldstriemenbrassen und Mönchsfischen begleiten die Tauchgruppe hinab ins natürliche Aquarium. Aufgrund des klaren Wassers und der enormen Sichtweiten lockte Alonissos in den vergangenen Jahren immer mehr Taucher an.

Auf dem Rückweg hält das Boot vor einer von weißem Kalkstein gerahmten Grotte an. „In solchen Meereshöhlen finden die Mönchsrobben Zuflucht“, erklärt Nikoletta. „Hier bringen sie auch ihre Jungen zur Welt.“ Vermutlich konnten sie nur deshalb in der Ägäis überleben, weil sie in den abgeschiedenen Grotten rund um Alonissos ein sicheres Versteck fanden.

Als hätte sie das Gespräch mitgehört, streckt plötzlich eine Mönchsrobbe ihren Kopf aus dem Wasser. Ihre dunklen Kulleraugen sind auf die menschlichen Eindringlinge gerichtet. Ein kurzer Schnauber, und genauso schnell wie das misstrauische Tier aufgetaucht ist, ist es auch schon wieder im kühlen Nass verschwunden.

Die Reise wurde von Discover Greece unterstützt.

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