Deutschland Waldseer Fasnet – ein Aha-Erlebnis

Bad Waldsee in Oberschwaben ist eine Hochburg der schwäbisch-alemannischen Fastnacht. Die heiße Phase beginnt am 27. Februar mit einem schaurigen Hexen-Tanz auf dem Rathausplatz.

 Beim Narrensprung am Gumpigen Donstig ziehen die Schrättele mit ihren gruseligen Masken durch Bad Waldsee.

Beim Narrensprung am Gumpigen Donstig ziehen die Schrättele mit ihren gruseligen Masken durch Bad Waldsee.

Foto: DAGMAR KRAPPE

Die Turmuhr der nahen Pfarrkirche St. Peter schlägt Mitternacht. Wind pfeift durch die Kopfsteinpflasterstraße. Schneeflocken wirbeln im Feuerschein. Ein, zwei, immer mehr Schrättele in langen grünen Röcken und rotweißen Ringelsocken an den Füßen in Strohschuhen schleichen über den Rathausplatz. Vor einer Feuerschale knien die Hexengestalten nieder, spitzen da­rin ihre Besenstiele an und stecken ihre neuen Reisigbesen auf. „Aha!“ schallt es durch die eisige Nacht, denn es ist Fasnet in Oberschwaben. Nicht „Alaaf“ oder „Helau“, sondern „Aha“ lautet der Narrenruf in Bad Waldsee. Vor wenigen Stunden haben Bürgermeister und Magistrat Narrenrecht und -freiheit ausgerufen und vom Gumpigen Donstig bis zum Aschermittwoch alle Gewalt dem Zunftmeister und seinen Räten übergeben. Die Hexen tanzen im Schneetreiben um die lodernden Flammen herum. Ihre Masken sind von einem üppigen roten Kopftuch umhüllt und haben zwei Gesichter: Ein Glupschauge flößt Schrecken ein, das andere grinst verschmitzt. Plötzlich springen die Weißnarren heran, die den Winter und die bösen Geister vertreiben sollen: die Narros mit blumigen Gewändern und bunten Straußenfedern auf dem Kopf. Unterstützt vom redseligen Faselhannes mit üppigem Geschell (Glocken) vor Brust und Bauch.

„Die Waldseer Fasnet hat schon eine Jahrhunderte lange Tradition“, sagt Hans Funk, der als Ehrenamtlicher durchs Fasnetmuseum in der alten Ölmühle führt. „Die Masken gibt es aber erst seit 1935.“ Die Ausstellung präsentiert die wichtigsten Abläufe der Fasnet und die sechs Waldseer Originalmasken: Da gibt es den Jägersmann, das Federle, mit Federn am Hut und grünem Umhang, unter dem er eine rote Strumpfhose trägt. Zurzeit der Hexenprozesse war es der Böse vom Waldsee. „Doch die Figur ist rückläufig, da sich die jungen Männer zieren, Strumpfhosen zu tragen“, verrät Funk. „Größeren Zulauf haben die beiden Weißnarren Narro und Faselhannes und ganz besonders das Schrättele.“ Wer im Alter nicht mehr hüpfen und springen kann, der wechselt zum humpelnden Schorrenweible, einem gutmütigen, runzeligen Waldgeist aus dem nahen Wald Schorren. Aus seinem Korb verschenkt er während des Narrensprungs, dem Fasnetumzug, Kräuter, Schnäpse und Säfte gegen diverse Zipperlein. Als sechste Maske kommt Werners Esel hinzu. Als Erinnerung an einen störrischen Esel eines früheren Waldseer Bürgers. „Alle Masken sind nummeriert, sodass man sie den jeweiligen Trägern zuordnen kann“, erklärt der Museumsführer. „Der Ausdruck ,Gumpiger Donstig’, der in anderen närrischen Regionen die Weiberfastnacht ist, geht übrigens auf das Wort ,gumpen’ zurück, was so viel wie ,springen’ bedeutet.“

 Am Morgen des Gumpigen Donstig verteilen die Schwellköpfe Leckereien an die Narren auf dem Gut-Betha-Platz vor dem ehemaligen Haus des Wachsziehers Alois Albrecht.

Am Morgen des Gumpigen Donstig verteilen die Schwellköpfe Leckereien an die Narren auf dem Gut-Betha-Platz vor dem ehemaligen Haus des Wachsziehers Alois Albrecht.

Foto: DAGMAR KRAPPE

Die Nacht nach dem Schrättele-Tanz ist kurz. Am frühen Morgen des Gumpigen stürmt die Narrenzunft die Schulen des Ortes, der seit 1956 den Zusatz „Bad“ trägt. Schüler werden aus den Klassenräumen befreit und ziehen Richtung Gut-Betha-Platz vor das ehemalige Haus des Wachsziehers Alois Albrecht. In den 1880er Jahren hatten seine Frau und er sich Schwellköpfe übergestülpt und Kindern und Jugendlichen Wecke (Brötchen), Äpfel und Süßigkeiten zugeworfen. So ist es heute noch. Mittlerweile erscheinen vier Narren mit riesigen Köpfen an den Fenstern. Sie horchen den Narrensprüchen, die ihnen von unten im Chor entgegenschallen: „Hoorig, hoorig, hoorig isch dr Bär, und wenn dr Bär id hoorig isch, dann war er beim Frisör!“ Dann prasseln Brezeln, Wecke und Landjäger-Würste auf die Menge herunter.

Einer, der die Waldseer Masken schnitzt, ist Ernst Bendel. In seiner Werkstatt im nahen Bad Wurzach sind die Wände mit Köpfen aller Art verziert. Rund 150 entstehen jedes Jahr für unterschiedliche Vereine, 35 davon für Bad Waldsee. „Vor der Saison ist nach der Saison“, sagt der Schreiner. Gerade hobelt er an einem Schrättele. Die Nase ist noch zu dick. Da müssen noch ein paar Späne fallen. „Ich fertige die Masken aus Lindenholz. Zwölf bis 14 Stunden benötige ich für ein Exemplar.“ Für die Bemalung ist Ehefrau Doris zuständig, eine gelernte Zahnarzthelferin mit Feingefühl. Heute tupft sie mit schmalem Pinsel an einer Gutsle-Dose. „Das ist eine Holzschatulle für den Faselhannes, in der sich der Narrenspiegel und Süßigkeiten für die Zuschauer am Rand des Umzugs befinden.“

 In seiner Werkstatt in Bad Wurzach schnitzt der Schreiner Ernst Bendel die Fasnet-Masken. Die Wände zieren verschiedene Köpfe.

In seiner Werkstatt in Bad Wurzach schnitzt der Schreiner Ernst Bendel die Fasnet-Masken. Die Wände zieren verschiedene Köpfe.

Foto: Dagmar Krappe/DAGMAR KRAPPE

Man muss schon eine echte Närrin sein, wenn man sich entschließt, am Rosenmontag zu heiraten. Mit Maske und im Häs (Kostüm). Sie als Faselhannes. Ihr Mann Stefan als Schrättele. So geschehen im Jahr 2007. „Auch alle Hochzeitsgäste waren verkleidet“, erzählt Uta Kessler, bevor sie sich wie damals die Faselhannes-Maske überstülpt und sich für den Narrensprung bereit macht. Das weiße Häs ist mit unterschiedlichen Blumen- und Vogelmotiven bestickt. Zwei Fuchsschwänze umrahmen das Gesicht. In der Hand hält sie eine lederne Narrenwurst. „Es ist ein verlängerter Zeigefinger, denn dem Faselhannes obliegt das Rügerecht“, sagt Uta Kessler. Das Geschell an ihrem Gürtel scheppert, als sie mit all den anderen kostümierten Narren fröhlich durch die Straßen springt und bunte Bonbons aus ihrer Gutsle-Dose an die Umstehenden verteilt. „Aha!“, tönt es durch die Gassen, denn es ist Fasnet in Bad Waldsee.

Die Reise wurde von der Tourist-Information Bad Waldsee unterstützt.

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