Saarbrücken Abenteuerweg durch die Völklinger Hütte

Saarbrücken · Nichts hat das Saarland und seine Menschen so sehr geprägt wie der Bergbau mit seiner 250-jährigen Geschichte. Viele Hinterlassenschaften aus der Kohle- und Stahl-Ära werden mittlerweile als touristische Anziehungspunkte gepflegt.

Saarland: Abenteuerweg durch die Völklinger Hütte
Foto: www.voelklinger-huette.org

Es war einmal. Bräunlicher Staub brannte sich noch in den 1970er Jahren in die zum Trocknen aufgehängte Wäsche. Damals blies das Völklinger Eisenwerk täglich 32 Tonnen Staub in die Luft. Das Donnern der Stampfmaschinen und das Quietschen der Erz-Loren komponierten den Sound der Innenstadt. Lief im Fernsehen ein Beitrag über das Saarland, überwogen Betroffenheitsmienen ob der schaurig qualmenden Dreckschleuder.

Doch der rostige, von der Rezession Ende der 1970er Jahre in die Agonie gerissene Industriekoloss hat mittlerweile eine bemerkenswerte Metamorphose hinter sich. Zum Durchschnitts-Touristen-Ziel taugt diese gigantische, sechs Hektar umspannende Großmaschine aus Hallen, Türmen, Schächten, Schloten und Gleisen nicht. Aber als "Kathedrale der Arbeit" und "Dinosaurier der Industriekultur" hielt die Hütte Eingang in Reiseführer und Reportagen, und bei den Saarländern selbst hat sich die Hochofen-Silhouette längst vom Stigma des Niedergangs emanzipiert, hat sich sogar als stolzes neues Saarland-Wahrzeichen durchgesetzt.

Wenn die Hütte heute Gegenstand der TV-Berichterstattung wird, was nicht selten passiert, dann im Ressort Kultur. Dann blinkt und blitzt es golden wie bei der kulturhistorischen Ausstellung zu "Inka Gold", oder es geht poppig-quietschbunt zu. Denn "Electricity", ein Festival für Techno-Jünger, lässt die Werks-Silhouette nächtens in allen Spektral- und Neonfarben fluoreszieren, als lande ein Ufo. Auch hat die UrbanArt Furore gemacht, als europaweit wohl größte Graffiti-Schau.

Welch eine Karriere für eine "hässliche Ruine". So titulierten nicht wenige Politiker und Saarländer die Hütte nach ihrer Stilllegung im Jahr 1986 und schrien: "Plattmachen!" Den rettenden Deus ex machina spielte 1994 die Unesco. Als erstes Denkmal des Industriezeitalters weltweit setzte sie das Völklinger Eisenwerk auf ihre Welterbe-Liste - noch vor der Zeche Zollverein in Essen. Der Grund war die "ungewöhnlich vollständige Erhaltung" des Eisenerzeugungs-Organismus. Tatsächlich wurde seit Gründung der Hütte im Jahr 1873 kaum etwas abgerissen, sondern man hatte stetig erweitert, an- und umgebaut. Aus diesem Grund besticht die gesamte Anlage noch heute durch eine außergewöhnliche Authentizität.

Und deshalb adelt seit über 20 Jahren der strahlkräftige Unesco-Weltkulturerbe-Titel die Anlage. Was ist sie heute? Für Touristen der Anlaufpunkt Nummer eins, denn das besucherfreundlich erschlossene Denkmal-Areal braucht keinen internationalen Vergleich zu scheuen. Zugleich lebt die alte Hütte mit den Bürgern vor Ort, ist ein vitaler Veranstaltungsort geworden für Jazz und Klassik, Autokino und Lesungen, vor allem aber der Ausstellungs-Hotspot der Großregion. Das gelingt durch massenwirksame Präsentationen, die Bildungsinhalte mit Unterhaltungselementen verbinden. Vom Playboy bis zu den Kelten, von Asterix bis Ägypten spannt sich diese Themenpalette, die mancher Industriekultur-Fan als zu wenig Hütten-bezogen kritisiert. Doch das beste Ausstellungsstück bleibt sowieso die Hütte selbst.

Sieben Kilometer lang ist der Besucherrundweg, der in Höhen und Tiefen führt. Etwa ins Dunkel der Möllerhalle, wo das Erz mit anderen, zur Verhüttung nötigen Rohstoffen gemixt wurde. Oder auf das Dach der Erzhalle. Rund 240 Meter lang ist allein die sogenannte Gichtbühne, von der aus die Rohstoffe in die Hochöfen gefüllt wurden. Aus 27 Metern Höhe vermittelt sich ein für Unkundige zunächst schwer entzifferbares Panorama. Der Besucher sieht den Schrägaufzug für Eisenerz und Koks, die Trockengasanlage und die Benzolhäuser, die Sinterhalle, in der Abfallstoffe und Gichtstaub recycelt wurden, den Wasserturm, die Handwerkergasse. Und natürlich die Postkarten-Schönheit, das Prunkstück Gebläsehalle, in der mit riesigen Schwungrädern Wind für die sechs Hochöfen erzeugt wurde. Die Funktionsbezüge, die Produktions- und Arbeitsabläufe, werden im spektakulären Unesco-Besucherzentrum durch Simulationen nachvollziehbar.

Auch das Science-Center (Ferrodrom) zum Thema Eisen bringt viel Wissensstoff. Als das Eisenwerk noch brummte, war dies alles eine verbotene Stadt hinter Werkstoren. Heute stehen sie weit offen. Am besten nimmt man sich einen ganzen Tag für einen Besuch, legt Pausen ein. Etwa im ruppig-urigen Café Umwalzer mit seinem Industrie-Charme oder im Alten Bahnhof Völklingen, einem stilvoll renovierten Lokal mit viel Atmosphäre. Samt Attraktion: Die Außentische stehen direkt an den Gleisen mit Blick auf das Weltkulturerbe. Die Gläser klirren, die Stimmen ersticken im Lärm der vorbeifahrenden Züge. Phantasiebegabte brauchen kaum mehr, um sich zurückzubeamen in diese vibrierende Epoche, als zu Schichtwechsel-Zeiten der Bahnsteig und die Völklinger Innenstadt schwarz waren vor Menschen.

Ähnliche Momente der "Rückführung" ermöglicht auch ein spezielles Happening-Projekt der Volkshochschule. Die "Mythenjäger" spielen an Originalorten historische Szenen nach, beispielsweise ein Firmenjubiläum von 1894, als die Hütte noch der Gründerfamilie Röchling gehörte. Die gute alte Zeit? Dass das Geschichtskitsch ist, darüber wird man im Weltkulturerbe nicht dröge belehrt, man erlebt es als Abenteuer.

(RP)
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