Wo die Libellen sich am liebsten laben

Die Eggstätt-Hemhofer Seenplatte ist ein kaum bekanntes Juwel nordwestlich vom Chiemsee und das älteste Naturschutzgebiet Bayerns. Biologin Ursula Grießer führt Besucher dort ins Reich der Libellen.

Naturschutzgebiet Eggstätt-Hemhofer Seenplatte: Wo Libellen sich laben
Foto: shutterstock/ FooTToo

Für Uneingeweihte muss es merkwürdig aussehen, wie Ursula Grießer in den Himmel schaut, zwischen Schilf und Wolken mit dem Finger eine Linie in die Luft malt, plötzlich eine Kehrtwende macht und auf das Gebüsch zeigt. Sie folgt der Becher-Azurjungfer — einer Libellenart mit türkisfarbenem Körper. Deren filigrane Flügel knistern. Noch bevor jeder sie entdeckt hat, fliegt sie davon. "Man muss sich erstmal einschauen, sonst sieht man sie nicht" sagt Ursula Grießer und lacht, als ihr ein Grashüpfer aufs grüne T-Shirt springt. Die 36-jährige Biologin und Naturpädagogin führt an der Eggstätt-Hemhofer Seenplatte Besucher in den Mikrokosmos der Libellen ein.

Der größte der zehn Seen hat eine Fläche von einem Quadratkilometer. Andere sind so klein, dass man sie in keiner Karte findet. Sie liegen ganz versteckt im Wald, nordwestlich vom Chiemsee zwischen Bad Endorf und Eggstätt und gehören zu den wertvollsten Biotopen Bayerns. Die Landschaft mit einer Vielzahl kleiner Hügel und Tümpel entstand vor 10 000 Jahren, als sich Eisblöcke von den sich zurückziehenden Gletschern trennten und unter Schotter begraben wurden. In einer späteren Warmzeit schmolzen die "Toteisblöcke" und formten so Kessel und Mulden.

Hier sind ein Drittel der etwa 80 mitteleuropäischen Libellenarten heimisch. Sie tragen poetische Namen wie Adonislibelle, Teichjungfer, gebänderte Prachtlibelle oder gefleckte Smaragdlibelle. Eine der seltensten ist die zierliche Moosjungfer. Sie hat durchsichtige Flügel, an deren Rändern weiße Male kleben wie Wäschezeichen.

Am Kesselsee beugen sich die Äste tief über die Wasseroberfläche. Darauf dümpelt ein altes Holzboot. Es ist mucksmäuschenstill. Nur manchmal gluckst es leise, wenn Fische nach Fliegen schnappen. An einem Schilfhalm dockt eine Pechlibelle an. Der grazile Körper schimmert bläulich. Trotz ihrer zarten Statur sind Libellen räuberische Fleischfresser. Ihre Larven ernähren sich sogar von den eigenen Artgenossen.

"Leider sind die Verhaltensweisen bisher sehr wenig erforscht. Die meisten Wissenschaftler spießen sie nur auf und stellen sie ins Museum", bedauert Ursula Grießer. Dabei ist das Tier ein richtiger Verwandlungskünstler. Wie im Märchen vom hässlichen Entlein entpuppt sich aus einer Larve ein bildhübsches Geschöpf mit hauchzarten Chitin-Flügeln, das nach dem Schlüpfen allerdings nur ein paar Wochen lang lebt. Ursula Grießer hat das Hautkleid einer Larve mitgebracht. Es fühlt sich an wie Pergament.

"Besonders schön sieht es aus, wenn sich Männchen und Weibchen in einem herzförmigen Paarungsrad vereinen", schwärmt sie und wedelt mit dem Arm, um ein paar Mücken zu verscheuchen. Doch wer näher hinsieht, kann in der schönen Libelle auch ein Monster entdecken. Mit ihren spinnenhaften Fangarmen und den 3000 Facettenaugen diente sie schon als Vorlage für Aliens in Horrorfilmen.

Ursula Grießers Herz schlägt nicht nur für die schönen Libellen, sondern auch für Blutegel, Käfer und Eintagsfliegen. Mit einem Kescher fängt sie die Insekten aus dem Wasser und zeigt sie in einer Becherlupe herum, als wären sie wertvolle Juwelen: eine Wanze, die auf dem Rücken schwimmt, eine Köcherfliege — das Zeichen für absolut sauberes Wasser.

Auf dem Rückweg raschelt ein leichter Wind in den Bäumen. An den Lemberger Gumpen summt und surrt es. Doch sobald die Sonne untergeht, wird es ganz still im Paradies der Libellen.

(RP)
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