Münster Mit Kommissar Thiel am Tatort

Kopfsteinpflaster, Kirchen und ein Kiepenkerl: Am 2. Mai läuft ein neuer Münster-Krimi im Ersten. Höchste Zeit für einen Lokaltermin mit Schauspieler Axel Prahl an den TV-Schauplätzen der westfälischen Bilderbuchstadt.

 Axel Prahl spielt den Münsteraner Tatort-Kommissar Frank Thiel.

Axel Prahl spielt den Münsteraner Tatort-Kommissar Frank Thiel.

Foto: Stephan Brünjes

„Münster hat was von Lübeck“, nuschelt er zwischen Zigarette und Rauchwolke hervor – mit Blick auf die Treppengiebel der beigefarbenen Kaufmannshäuser. „Fühl‘ mich sehr wohl seit dem ersten „Tatort“, aber leben könnt‘ ich hier nicht – zu wenig Wasser“, sagt Prahl knapp und entschieden. Der Aa-See ist ihm „zu lütt“, Res-
taurants und Bars am wiederbelebten Binnenhafen beeindrucken den Ostholsteiner Küstenjung nicht recht. Die Münsteraner dafür umso mehr: Prahl zeigt ein selbstgedrehtes Handy-Video: „Guck, Tausende bei unserem Dreh, trotzdem hörste ne Stecknadel fallen, so still sind die Leute auf’m Prinzipalmarkt!“ Münsters Kopfsteinpflaster-Boulevard, einst Schauplatz des Westfälischen Friedens, ist heute vor allem Schaufenster – von alteingesessenen Kaufleuten: Osthues, Zumnorde, Oeding-Erdel prangt golden an den Arkaden-Fassaden. Ideale Lokalkolorit-Vorbeifahr-Kulisse im ARD-Krimi. Heute aber, beim Rundgang – absolviert noch vorm Lockdown – gibt Axel Prahl hier nicht seinen Thiel, sondern eher einen Bonsai-Bogart: Jackenkragen hoch, Hut tief in die Stirn gezogen. Noch ein wenig zerknautscht morgens um neun, möchte der untersetzte Mann mit Günther-Netzer-Scheitel und Kugelbäuchlein nicht gleich erkannt werden.

Seine Tarnung hält keine fünf Minuten. „Moinsen, Herr Thiel“, ruft ein Mann ihm zu. Aha, das war er schon, der vom St. Pauli-Fan Thiel im Münster-„Tatort“ eingeführte, norddeutsche Gruß – mitten im Herzen Westfalens, wo die Leute üblicherweise „Tach“ sagen oder „Wohlsein“. Ein paar Meter weiter, an der Lamberti-Kirche richten sich Prahls himmelblaue Augen nach oben, zu drei Käfigen am Turm: „Da drin möcht‘ ich mal aufwachen nach durchzechter Nacht – natürlich nur im Tatort“, schiebt er mit Schelm-Grinsen hinterher. Das gerinnt ihm in den Mundwinkeln, als er vom Zweck der Käfige hört: Fürstbischof Franz ließ darin die Leichen von drei radikalen Predigern verwesen. Sie hatten Vielweiberei und Straßen-Taufe per Wassereimer propagiert, im zweijährigen Wiedertäufer-Regime. Ein Mittelalter-„Tatort“, Jahrgang 1536. Erst kürzlich, in der Folge „Limbus“ Ende 2020, griffen die Drehbuchschreiber das gruselige Wiedertäufer-Thema auf, ließen Thiel und Börne den Mord an einem getöteten Burgbesitzer mit Ritter-Fimmel aufklären.

Ein paar Schritte weiter, vorm wuchtigen Dom mit dem gerade neu aufgesattelten Kupferdach bummelt Axel Prahl gerne über den Wochenmarkt zwischen erdig-westfälischen Gemüsebauern und henna-haarigen Bio-Wolle-Verkäuferinnen. Solche Alt-Aussteiger gehören zu Münster wie Thiels kiffender „Vadder“ zum „Tatort“. Kein Wunder bei 50.000 Studenten. Doch prägend für die 300.000-Einwohner-Stadt sind sie nicht. Auf der Suche nach passenden Etiketten landet man vielmehr immer wieder in der bürgerlichen Mitte: „Besenrein“ wirkt die Stadt (Tauben und Hunde gibt’s, aber partout keinen Dreck). „Geordnete Verhältnisse“ scheinen hier zu herrschen, denn sogar die Aa plätschert im betonierten Flussbett. Eine ideale TV-Kulisse, in der ein „Tatort“-
Mord jedes Mal für gehörig Aufruhr sorgt im – übrigens auch real existierenden – Milieu hornbebrillter Tweedjacken-Honoratioren mit Einstecktuch und Schmiss. Das hat man nicht im Ersten, sondern im Zweiten Deutschen Fernsehen zuerst erkannt: Dort ermittelt Thiels ZDF-Kollege Wilsberg schon länger in seinem kleinen Buchladen – in der Realität das „Antiquariat Solder“, gut 100 Meter unterhalb des Domplatzes. Solange es vor Corona noch ging, erklärte Dagmar Brandt im Rahmen ihrer Führung „Krimistadt Münster“ hier, wie mit Privatdetektiv Wilsberg alles begann und dass Prof. Bernd Brinkmann, der längjährige, charismatische Leiter der münsterschen Rechtsmedizin Pate stand für Thiels Partner, den „Tatort“-Pathologen Boerne, stets wunderbar blasiert und besserwisserisch gespielt von Jan Josef Liefers. Viele Interessierte hoffen, dass diese spannenden Krimi-Führungen bald wieder möglich sein werden.

Axel Prahl hat jetzt Durst und ein Ziel – das „Pinkulus“ am Rosenplatz. Nein, nicht „Pinkus Müller“, die Altbier-Legende unter Münsters Studenten-Lokalen, sondern die winzige Eckkneipe gegenüber – wie gemalt für Kommissar Thiel: St. Pauli-Wimpel und Totenkopf-Schal hängen an der Wand als Tresen-Deko. Prahl fläzt sich hin zum munteren Pointen-Pingpong mit Vladi, dem Hamburger Wirt im Westfalen-Exil, und lacht nach sieben weiteren Zigaretten so rasselnd wie Thiels „Tatort“-Staatsanwältin Wilhelmine Klemm. Weiter geht’s auf dem Rundgang, vorbei an überdimensionalen Kirschen auf einer Säule, einem quietschbunten Kronleuchter im öffentlichen WC und durch ein rot-weiß gestreiftes Tor: drei von mehr als 60 öffentlichen Installationen, entstanden im Rahmen des seit 1977 alle zehn Jahre stattfindenden Festivals „Skulptur Projekte“. Axel Prahl zeigt „seine“ Skulptur am Servatiiplatz – einen 3,50 Meter großen, grauen Mann, in einer Litfaß-Säule steckend. Paul Wulf, ein von den Nazis verfolgter Münsteraner. „Nach der Errichtung 2007 sollte das Mahnmal eingemottet werden – aus Geldmangel“, erzählt Prahl – „da hab ich gespendet und auch Kollegen dazu animiert.“

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