Auf den Spuren des Dichters Ganz „lessig“ durch Wolfenbüttel

In der ehemaligen Residenzstadt Wolfenbüttel schuf Dichter Gotthold Ephraim Lessing seine bekanntesten Werke. Noch heute trifft man in der Stadt auf den berühmten Deutschen.

 Gästeführer Bernd Bethke als Lessing verkleidet

Gästeführer Bernd Bethke als Lessing verkleidet

Foto: Dagmar Krappe/DAGMAR KRAPPE

Wenn es Gotthold Ephraim Lessing mal wieder langweilig war, dann machte er sich in die Krumme Straße auf. Dort wohnte sein Kutscher, der ihn ins nahe Braunschweig brachte. Über 300 Jahre tobte in der Kleinstadt Wolfenbüttel an der Oker das höfische Leben. „Durch Erbteilung bildete sich im 14. Jahrhundert das Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel, zu dem zunächst auch die Stadt Braunschweig gehörte“, erzählt Gästeführer Bernd Bethge: „1430 wurde sie unabhängig. Deshalb verlegten die welfischen Landesherren ihre Residenz nach Wolfenbüttel.“ Als der Dichter 1770 in den Ort kam, waren die rauschenden Jahrhunderte vorbei. Die Welfen waren nach Braunschweig zurückgekehrt. Mit ihnen zogen 4000 Angehörige des Hofstaates um. In Wolfenbüttel herrschte Tristesse. Das prächtige Schloss stand verwaist. Hier quartierte man den schon recht bekannten Schriftsteller ein. „In dem riesigen Bauwerk bezog Lessing fünf Zimmer im zweiten Stock. Er war froh, dass er eine feste Anstellung als Hofbibliothekar bekam, denn er war häufig knapp bei Kasse. Liebte Glücksspiele, Wein und kaufte zu teure Bücher“, informiert Bethge, der als „Lessing“ verkleidet Besucher durch die Fachwerkstadt führt.

Herzog Julius war der große Bauherr der Stadt und gründete 1572 die Bibliothek. Ihren heutigen Namen „Herzog August Bibliothek (HAB)“ erhielt sie nach einem späteren Herzog namens August dem Jüngeren. Ein echter Bücherwurm. Als er starb, umfasste die „Bibliotheca Augusta“ bereits 35.000 Bände. Das jetzige palastartige Haus entstand Ende des 19. Jahrhunderts. Es ersetzte die baufällige Rotunde, in der Lessing wirkte. Inzwischen befindet sich in dem Gebäude eine moderne, internationale Forschungsbibliothek. Trotz des immensen Bücherbestands, den Lessing zu verwalten hatte, fand er noch Zeit für die Schriftstellerei und schuf das Trauerspiel „Emilia Galotti“. Neben einem Museum zur welfischen Residenzgeschichte und barocken Hofkultur gibt es ein Gymnasium im Schloss. Lessings Werke sind immer noch aktuell und stehen in den Lehrplänen. „Welche Schüler haben schon das Glück, ein Stück genau an dem Ort zu lesen, wo es geschrieben wurde“, sagt Bethge.

Bevor Lessing nach Wolfenbüttel kam, lebte er in Leipzig, Berlin, Breslau und Hamburg. Angesichts der neuen Festanstellung meinte Lessing: „Ich habe alle Gründe zu hoffen, dass ich hier recht glücklich leben werde.“ Doch er vermisste bald die geistreiche Gesellschaft, die er in den anderen Städten hatte. Deshalb suchte er Freundschaften unter Braunschweiger Gelehrten. In Hamburg hatte er die verwitwete Kauffrau Eva König kennengelernt. 1776 heirateten sie und wohnten zusammen mit Evas drei Kindern im Meißnerhaus gegenüber vom Schloss. In diesem Gebäude verlebte Lessing das glücklichste Jahr seines Lebens. Dann zog die Familie ins Schäffersche Haus, dem heutigen Museum „Lessinghaus“. Kurz nach dem Umzug wird Sohn Traugott geboren. Er verstirbt nach einem Tag und auch seine Mutter zwei Wochen später an Kindbettfieber. Im Sterbezimmer richtet sich der Autor sein Arbeitszimmer ein und bringt dort sein bekanntestes Werk, das Toleranzdrama „Nathan der Weise“, zu Papier. Zwischen dem ehemaligen Wohnhaus und der Bibliothek steht „Nathan“ als über drei Meter hohe Bronzeskulptur.

 Das Lessinghaus: Hier lebte der berühmte Dichter von 1777 bis 1781. Heute beherbergt es ein Museum.

Das Lessinghaus: Hier lebte der berühmte Dichter von 1777 bis 1781. Heute beherbergt es ein Museum.

Foto: Dagmar Krappe/DAGMAR KRAPPE

Würde der echte Lessing noch einmal durch Wolfenbüttel schlendern, würde er bis auf die Bibliothek noch vieles wiedererkennen. Die gesamte Altstadt ist nahezu auf dem baulichen Stand des 18. Jahrhunderts. Von den dicht aufeinander folgenden Hauptplätzen könnte Lessing die Pracht der 600 renovierten Fachwerkhäuser genießen. Vom Schlossplatz führt die Route zum Stadtmarkt mit dem schmucken Rathaus. In der Nähe des Kornmarkts dominiert die Hauptkirche „Beatae Mariae Virginis“. Es ist der weltweit erste protestantische Großkirchenbau nach der Reformation.

Um auf Lessings Spuren nach Braunschweig zu gelangen, nimmt man natürlich nicht mehr die Kutsche, sondern das Fahrrad. Am Lessingplatz wartet Gästeführerin Gabriele Herzig mit ihrem Drahtesel. Als der Dichter hier unterwegs war, erstreckten sich links und rechts des Pfads Gemüsefelder. „Noch im 19. Jahrhundert war die Gegend eines der größten Gemüseanbaugebiete Norddeutschlands. Aus den meisten Anbauflächen wurde Bauland“, berichtet Herzig. Ein kleines Museum und ein Denkmal vor der auf den Resten eines Stadttors errichteten Sankt Trinitatis Kirche am Holzmarkt erinnern an diese Zeit.

Die 16 Kilometer lange Tour nach Braunschweig ist Teil des Weser-Harz-Heide-Radfernweges. „Manchmal kam Lessing nur bis zum ‚Weghaus“ in Stöckheim. Dort stärkte er sich, diskutierte mit einigen Bekannten und trat den Rückweg an“, sagt Gabriele Herzig. Inzwischen ist das Lokal ein türkisches Restaurant. Entlang der Oker gelangt man zum Südsee und schließlich durch den Braunschweiger Bürgerpark zum Lessing-Denkmal. „Dass es hier und nicht in Wolfenbüttel aufgestellt wurde, hat damit zu tun, dass die Wolfenbütteler sich lange Zeit sehr schwer taten mit ihrem Freigeist, der sich mit Theologen über religiöse Schriften zankte“, erklärt Herzig.

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