Mecklenburg-Vorpommern Heringskönig und Piratenskat

Von Meeres-Museum bis hin zur Spielkartenfabrik: Wie die Hansestadt Stralsund in Mecklenburg-Vorpommern beständig an Attraktivität gewinnt.

 Stralsunds weltberühmtes Backstein-Ensemble aus Rathaus und Nikolaikirche sieht zur Blauen Stunde fast noch schöner aus als am Tage.

Stralsunds weltberühmtes Backstein-Ensemble aus Rathaus und Nikolaikirche sieht zur Blauen Stunde fast noch schöner aus als am Tage.

Foto: Ekkehart Eichler

Ein seltsames Monstrum baumelt von der gläsernen Decke des Foyers im Ozeaneum. Sieben Meter fünfzig lang und einhundert Kilo schwer. Mit leuchtend roter Rückenflosse, die einer Pferdemähne ähnelt. Und übersät mit sage und schreibe 550.000 Warzen, die Präparatoren und Modellbauer per Hand auf die blau-silbrige Haut aufgetragen haben.

Dieses eigenartige Wesen ist ein Riemenfisch. Äußerst selten in der Natur zu beobachten und aufgrund seiner Gestalt schon vor Jahrhunderten fabelhaft geeignet für allerlei grauslige Legenden rund um Seeschlangen und Meerungeheuer. Die imposante 1:1-Nachbildung des Meeresriesen können Ozeaneum-Besucher seit einem Jahr ehrfürchtig bestaunen.

In Europas Museum des Jahres 2010 ist das aber beileibe nicht die einzige Novität. Gerade zogen neue anspruchsvolle Nordsee-Exoten in eigens für sie gebaute Aquarien: der rare Heringskönig, der seine Rückenflosse zu einer Zackenkrone aufstellen kann. Die See­pferdchen aus den Graswiesen, für die sogar Jahreszeiten simuliert werden müssen. Oder die Kaltwasserkorallen aus 350 Meter Tiefe, die mundgerecht gezüchtetes Plankton bekommen und ultraviolettes Licht zum Leben brauchen.

 Christian Klette von der Spielkartenfabrik mit dem Piratenskat

Christian Klette von der Spielkartenfabrik mit dem Piratenskat

Foto: Ekkehart Eichler

In Europas Museum des Jahres 2010 gibt es 45 Aquarien. Herzstück mit 2,6 Millionen Litern und einem elf Meter langen Schiffswrack als Blickfang ist das Becken „Offener Atlantik“. Hier schweben Rochen majestätisch durchs Wasser, tanzen Makrelen synchron im wogenden Schwarm, hängen die großen Ammenhaie „Anna“ und „Anton“ gern am Beckengrund ab. Eines der vier Gebäude ist den Riesen der Meere gewidmet: Modelle von Walen in Originalgröße hängen im Raum, Klanginstallationen simulieren den Gesang der Meeressäuger. Und auf dem Dach tollen putzmunter quirlige Frackträger herum – zehn Humboldtpinguine sind die Stars im Revier und beliebt bei jedermann.

 Das Atlantikbecken im Ozeanum fasst 2,6 Millionen Liter.

Das Atlantikbecken im Ozeanum fasst 2,6 Millionen Liter.

Foto: Ekkehart Eichler

Von ihrem exklusiven Logenplatz schweift der Blick auf Stralsunds größten Schatz: die historische Altstadt, die gemeinsam mit ihrer Schwester in Wismar als Musterbeispiele für mittelalterliche Hansestädte vor exakt 20 Jahren zum Unesco-Welterbe erhoben wurde. Fast vollständig von Wasser umgeben, was einst effektiv gegen Angreifer schützte. Heute ein blauer, von Grünflächen gesäumter Gürtel um den altehrwürdigen Stadtkern aus Hanse- und Schwedenzeit. Auf der Landseite spiegeln Knieper- und Frankenteich die Kirchen, Türme, Bastionen und Mauern. Zum Strelasund hin öffnet sich der von Kanälen durchzogene Hafen. Und im Stadtkern stehen bedeutende Bauten der Norddeutschen Backsteingotik auf engstem Raum.

Da glänzt zuallererst die Schritt für Schritt liebevoll aufpolierte Welterbe-Altstadt rund um das einmalige Sechsgiebel-Rathaus jeden Tag ein bisschen heller. Da überragen mit St. Nikolai, St. Marien und St. Jakobi gleich drei „Rote Hünen“ die Kulisse aus Stadtmauern und Giebelhäusern und verführen zu staunender Einkehr in ihre restaurierten kreuzrippengewölbten Schiffe oder – dank herausragender Orgeln in Nikolai- und Marienkirche – zu umwerfenden Klang­erlebnissen. Da überrascht eine für die vergleichsweise kleine Stadt durchaus reichhaltige Museumslandschaft mit Meeresmuseum und Ozeaneum als Flaggschiffen. Aber auch etliche kleine Farbtupfer haben Stralsund in jüngster Zeit bunter und attraktiver gemacht: die sehenswerte Ausstellung zum Kultur- und Naturerbe der Menschheit in einem Palais direkt am Rathaus. Gleich darüber der Hackertsche Tapetensaal mit sechs penibel restaurierten wunderbaren Wandgemälden von 1762. Die erstklassige Hundertwasser-Dauerausstellung in der Kulturkirche St. Jakobi. Und das Jugendstil-Theater, das außen wie innen wieder so strahlt wie vor über 90 Jahren zur Eröffnung.

Etwas fürs Auge, aber auch für Kopf und Hände gibt es in der Spielkartenfabrik am Katharinenberg. An historischem Standort – immerhin war Stralsund bis 1931 eine Hochburg deutscher Spielkartenproduktion – stehen heute in einer Museums-Werkstatt sechs funktionierende alte Druckereimaschinen, die nicht nur Technikfans begeistern.

An den historischen Maschinen werden nach wie vor Spielkarten produziert. Nach historischem Vorbild und auf handgeschöpftem Papier etwa ein Blatt aus Wallensteins Zeiten, aber auch originelle Eigenkreationen wie der Piraten­skat mit seinen unheimlichen Typen. An vielen Wochenenden finden zudem zweitägige Workshops und Intensivkurse statt: für Typographie und Buchdruck, für Druckgraphik und Buchbinden, für Papierschöpfen und selbstverständlich für Gestaltung und Produktion eigener Skatblätter.

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