Urlaub in Deutschland Die Breitachklamm in Oberstdorf

Oberstdorf · Oberstdorf kennt man wegen des Skispringens und wegen der Pisten auf Fell- und Nebelhorn. Aber auch für weniger Sportliche gibt es hier im Winter einen der spektakulärsten Orte der bayerischen Alpen: die Breitachklamm.

Durch die Breitachklamm in Oberstdorf
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Durch die Breitachklamm in Oberstdorf

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Wie ein Flammenschwert strecken die Kinder ihre Fackel dem Eisvorhang entgegen. Dahinter starren ihre Eltern ebenso ehrfürchtig auf die umgedrehten Orgelpfeifen aus Eis, die in Feuerfarben leuchten. Lichtkegel von Stirnlampen tanzen auf den überhängenden Felswänden, werfen Schlaglichter in den Abgrund, wo man gedämpft den Fluss rauschen hört. Es ist Freitagabend, Zeit für eines der beeindruckendsten Schauspiele in den bayerischen Alpen: die Fackelwanderung in der Breitachklamm.

In vielen Skigebieten werden mittlerweile Spaziergänge im Feuerschein angeboten, gerne mit anschließender Brotzeit und Schnapserl auf der Alm. Aber selten bekommt man eine solche Kulisse. Das hat sich offenbar herumgesprochen. Vor dem Glashaus am Parkplatz drängeln sich Wartende wie bei einem Konzert. Familien, Paare, Freunde, alle in dicken Jacken und Mützen. Es ist eine sternenklare Winternacht.

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Foto: dpa, lea

Eine Kette von Lichtern zieht sich durch die Schlucht, die Karawane der Fackelträger reißt nicht ab. 180 Besucher wird der Bärtige am Eingang bis zum Ende des Abends gezählt haben. An Spitzentagen kommen 600 Leute. Aber auch so wird es an manchen Stellen ungemütlich eng im Gegenverkehr der Zurückkommenden. Man möchte nicht wissen, in wie viele Funktionsjacken hier schon Löcher gebrannt wurden. Besinnlich ist erst der Rückweg. Keiner drängelt mehr, für eine Minute verstummt das Geschnatter. Endlich Muße, die verschneiten Bäume zu betrachten, den Fluss zwischen makellosen Schneehauben. Und, als die Fackel abgebrannt ist, den Sternenhimmel über der Schlucht.

Wer sich genauer ansehen will, wo er im Halbdunkel herumgetapst ist, kommt am Tag wieder. Eine typische Halbtagesalternative bei eher unbeständigem Wetter sei die Klamm, sagt Oskar Fischer. Blick aus dem Fenster: Die Wintersonne strahlt vom blauen Himmel. Offenbar ziehen auch bei beständigem Kaiserwetter viele den Spaziergang in der Schlucht einem Skitag auf überfüllten Pisten vor.

Fischer ist der Guide auf der Runde durch die Klamm und zurück über die Alpe Dornach. Er ist 78, aber um seine Fitness muss man sich nicht sorgen. Der Bergführer wandert das ganze Jahr über mit Gruppen durch die Allgäuer Berge. 30 Jahre lang leitete Fischer eine Skischule in Oberstdorf, in den 1970er Jahren war er alpiner Sportchef des Deutschen Skiverbands, bis 2010 arbeitete er für den internationalen Skiverband. Zehnmal reiste er zu Olympischen Spielen. Ach ja, Lehrer war er nebenbei auch noch.

Fischer stapft voran bis zur Tür eines Tunnels. Wenn er im Sommer eine Gruppe führt, bleibt er hier am Anfang der Klamm stehen, um kurz die Geologie zu erklären. Denn in der inneren Klamm tost das Wasser so laut, dass man kaum die Worte des anderen versteht. "Ich halte den Werbebegriff Naturdenkmal für falsch", hebt Fischer an. "Ich sage lieber Naturereignis." Denn Wasser, Sand und Kies fressen sich weiter in den weichen Kalkstein, jedes Jahr einen Zentimeter. "An diesen Gletschertöpfen sieht man das besonders schön", sagt er und zeigt auf eine blank polierte Auswaschung.

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Foto: dpa, pla

Erdgeschichtlich ist die Klamm blutjung, rund 15 000 Jahre, ein Relikt aus der letzten Eiszeit. Nach dem Abtauen des 700 Meter dicken Gletschers im Kleinwalsertal suchte sich das Schmelzwasser einen Weg durch den harten Schrattenkalk hinunter ins Illertal. Es fand einen Riss und begann, in ihm zu arbeiten. Bis heute.

Über der Tür des Tunnels hängt eine Plakette mit dem Porträt von Johann Schiebel. Er war zu Beginn des 20. Jahrhunderts Pfarrer in Tiefenbach und hatte die Idee, den Zwing durch einen Weg zu erschließen. "Damals nannten es alle den Zwing", klärt Fischer auf. Das bedeutet eingezwängtes Wasser. "Der Name Breitachklamm wurde erst später aus touristischen Gründen eingeführt." Schiebel hatte den aufkommenden Tourismus in Oberstdorf gesehen, er wollte, dass seine neue Gemeinde daran verdient. Zuvor war die Schlucht wild und unzugänglich. Die Bewohner Tiefenbachs erzählten sich von den schrecklichen Muetes. Die Zwinggeister flögen nachts mit Hexen durch die Schlucht und rissen jeden in die Tiefe, der nicht schnell genug flieht.

Der Pfarrer musste die armen Bauern der Gegend überreden, ihm Land zu überlassen, und über eine Genossenschaft Geld einsammeln. Schließlich hatte er die 16 302 Mark zusammen, die ein Mineur aus Südtirol forderte. Den ganzen Herbst und Winter sprengten die Arbeiter in der Klamm, sie hackten Treppen in den Fels, bauten Brücken und Geländer. Am 5. Juni 1905 wurde die Eröffnung gefeiert. Und schon bald zeigte sich, was für einen Hit Schiebel gelandet hatte. Im ersten Jahr kamen bereits 25 000 Besucher. Heute zählt der Betreiberverein Jahr für Jahr rund 300 000 Besucher.

"Ich bin schon Hunderte Male durch gegangen und entdecke immer wieder neue Details", sagt Fischer. Als Neuling weiß man nicht, wo man zuerst hinschauen soll. Fasziniert befühlen Kinder Eiszapfen. "Manche sehen sie hier zum ersten Mal in der Natur." Beinahe wäre es mit dem Erlebnis Ende der 1950er Jahren vorbei gewesen. Der Alpenplan sah damals vor, weit oben in der Klamm eine Staumauer zu bauen. Die Allgäuer protestierten. Alpenverein, Bergwacht, Verbände und Prominente schlossen sich an. Am Ende wurde das Projekt gestoppt. "Zum Glück", sagt Fischer. "Das Wildwasser macht die Schlucht erst zu dem, was sie ist."

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Foto: dpa, pla

Die Gewalt dieses Wassers zeigt sich am dramatischsten in der inneren Klamm. An der engsten Stelle ist die Schlucht nur zwei Meter breit, auf einer Brücke drängeln sich die Besucher. "Im Sommer laufen die Leute hier schnell durch, weil der Wasserfall sie nass spritzt", sagt Fischer. "Aber im Winter ist hier immer Stau." Denn der Wasserfall ist nun zu einem fantastischen Vorhang aus Eis erstarrt.

Wenn es taut, können diese Eiszapfen abbrechen. Die Wanderung wäre dann lebensgefährlich, sagt der Guide. Ebenso wie nach starkem Schneefall, wenn Lawinen in die Schlucht stürzen können. Deshalb bleibt die Klamm an rund einem Drittel der Wintertage geschlossen. Wie wild die Breitach immer noch ist, kann man an einer grünen Leiste in der Felswand ablesen. Ganz oben der Rekord vom 23. August 2005: Damals donnerte das Wasser 6,60 Meter über der Brücke durch die Klamm und verwüstete den Weg. Aber auch die autogroßen Felsen, die sich zu einer Naturbrücke verkeilt haben, lassen die Gewalt ahnen.

Fischer wandert weiter. Von den Bäumen in der Höhe wehen Schneeschleier herab, die im Gegenlicht wie Diamantenstaub glitzern. Und ein Schneeball, den jemand von dem Brücklein weit oben geworfen hat. "Das ist der Zwingsteg", sagt Fischer. Jahrhunderte lang überquerten Schmuggler auf ihm die Grenze zwischen dem Bistum Konstanz und dem Bistum Augsburg. Schon 1632 bauten die Walser die erste Brücke, als von den Schanzen gegen die Schweden im Dreißigjährigen Krieg Holz übrig blieb. Die neueste Version aus Stahl flog vor vier Jahren ein Helikopter ein.

Unterhalb erkennt man ohne viel Fantasie eine Nase in der Felswand. "Das Indianergesicht", sagt Fischer. Oder, wie es sein humanistisch gebildeter Lehrer nannte, das Dante-Gesicht. Die innere Klamm endet hier, bald führt eine Metalltreppe hinauf zum Kassenhäuschen am Nordeingang. Hier muss man sich entscheiden: entweder weiter durch die obere Klamm wandern, vorbei am Felssturz von 1995 und über die Grenze ins Kleinwalsertal. Oder links die Serpentinen bergauf steigen, die zum Zwingsteg führen.

Die meisten Besucher entscheiden sich für die zweite Variante. Der Weg ist steil, aber Fischer bleibt ohnehin gleich wieder stehen. Ein alter Freund hat ihn gerufen: Franz Hieble, 78, ebenfalls Bergführer. Hieble trägt eine Kamera mit armlangem Teleobjektiv, er ist wie fast jeden Tag in den vergangenen drei Jahren auf der Jagd nach schönen Bildern für seinen Bildband über die Klamm. "Ich habe ein Foto, wie der Schnee runterkommt, als würde ein riesiger Geist aus dem Wasser aufsteigen", sagt er. "Und ein Bild, als die komplette Schlucht weiß vom Raureif war. Das kann man nie wiederholen." Für manche Bilder seilte sich Hieble in die Klamm ab. "Saugefährlich", sagt er.

Für normale Gäste ist es schon eine Herausforderung, auf dem Schneeweg nicht auszurutschen. Stöcke helfen. Nach 20 Minuten ist das Ende des Waldwegs erreicht. Auf der Forststraße sieht man bald die ersehnte Wärmestube - die Alpe Dornach. "Da drüben bin ich aufgewachsen", sagt Fischer und zeigt auf einen Hof auf einem Hügel. "Im Winter war es das Ende der Welt. Und schau, heute hast du hier eine Völkerwanderung." Das ist ein bisschen übertrieben, aber die Alpe ist tatsächlich voll. Vor dem Fenster glühen die Gipfel von Höfats, Schattenberg und Nebelhorn in der Nachmittagssonne. Der Weg ist fast geschafft. Bleibt nur noch eine Gefahr - hier bis zum Abend hängenzubleiben.

(dpa)
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