Von Franken bis nach Holstein Deutschland, deine Schweizen!

Pirna/Buckow · In Deutschland gibt es weit mehr als 100 Regionen, die sich Schweiz nennen. Der Urlauber denkt an Berge und sorgenfreie Idylle - auch wenn der Vergleich oft gewagt ist.

Einblicke von Franken bis nach Holstein
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Foto: dpa, pla gab

Viele Urlauber sind in der Schweiz unterwegs. Wanderer in Sachsen zum Beispiel oder in Brandenburg, Franken und Schleswig-Holstein. Zugegeben, sie besuchen nicht wirklich die Schweiz, sondern einen ihrer kleinen Verwandten: Sächsische Schweiz, Fränkische Schweiz, Märkische Schweiz oder Holsteinische Schweiz.

Wer mit dem Auto durch Deutschland reist, dem fällt es beinahe schwer, nicht durch eine Schweiz zu kommen - so oft gibt es die Bezeichnung hierzulande. Die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) hat die Schweizen in Deutschland nicht gezählt. Sie verweist aber auf eine Erhebung der Marketingorganisation Schweiz Tourismus. Die Kollegen haben den Begriff Schweiz insgesamt 105 Mal in Deutschland entdeckt - weltweit sogar 191 Mal. So viele Schweizen wie in Deutschland gibt es also sonst nirgendwo auf der Welt.

In der Bundesrepublik finden sich Exoten wie Kollesleuker Schweiz, Ischenröder Schweiz oder Stormarnsche Schweiz. Aber natürlich auch einige bekannte Urlaubsregionen: "Touristisch gehören die Sächsische Schweiz, die Fränkische Schweiz, die Mecklenburgische Schweiz oder auch die Holsteinische Schweiz sicher zu den bekanntesten Schweizen in Deutschland", sagt Martina Binhack von der DZT.

Wie ist es möglich, dass so viel Schweiz in Deutschland steckt? In den meisten Regionen ist die Bezeichnung historisch gewachsen und keine Erfindung einfältiger Marketingleute. So ist es zum Beispiel bei der berühmten Sächsischen Schweiz, die zum Elbsandsteingebirge gehört, das sich bis nach Tschechien erstreckt.

Die Schweizer Künstler Adrian Zingg und Anton Graf kamen ab dem Jahr 1766 häufig in die Region um Dresden, um zu malen. "Sie sollen den Begriff Sächsische Schweiz geprägt haben, da sie sich an ihre Heimat erinnert fühlten", heißt es beim Tourismusverband Sächsische Schweiz. Weitere Künstler wie Caspar David Friedrich folgten. Heute gibt es dort den 112 Kilometer langen Malerweg.

Die Sächsische Schweiz wurde also tatsächlich von Menschen als solche geadelt, die wussten, wovon sie sprachen. Der Theologe und Autor Wilhelm Leberecht Götzinger schrieb 1786: "Alle Schweizer, welche die hiesige Gegend besucht haben, versichern, dass sie mit den schweizer Gegenden sehr viel Ähnlichkeit habe." Ein Prädikat.

Auch in der Märkischen Schweiz im Osten Brandenburgs geht man davon aus, dass Schweizer Kunststudenten der Dresdner Akademie Anfang des 19. Jahrhunderts die Umgebung erwanderten. Dabei kamen sie auf den Vergleich mit ihrer Heimat. Die ersten Ansichtskarten mit dem offiziellen Namen "Buckow - Märkische Schweiz" wurden um 1900 herausgegeben. Der Beiname Schweiz sei "ein Markenzeichen für Frieden und Verständigung, für regionale Identität wie auch für globale Vernetzung", findet Riamara Sommerschuh vom Kultur- und Tourismusamt.

Die Namensgeber von Deutschlands Schweizen waren teils von der Epoche der Romantik geprägt. Das erklärt den großzügigen Vergleich und die Schwärmerei. Das gilt auch für die Fränkische Schweiz, über die der deutsche Kunstforscher Joseph Heller 1829 das Buch "Muggendorf und seine Umgebung oder die Fränkische Schweiz" schrieb. Ab da war der Beiname etabliert. "Es geht natürlich um die Optik der Landschaft: Durch die Felsformationen, Flusstäler und Flora erinnert die Region an eine Schweiz im Kleinen", sagt Sandra Schneider, Leiterin der Tourismuszentrale Fränkische Schweiz.

Der kleinste gemeinsame Nenner der Schweizen in Deutschland ist wohl im weitesten Sinne eine schöne Natur. Der Urlauber kann dort wandern, spazieren und radeln. Ein bisschen hügelig sollte es auch sein. "Die Schweiz ist als Land klar positioniert: Dort gibt es Berge", sagt Prof. Martin Lohmann, Leiter des Instituts für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa. "Und wenn man einen Vergleich sucht, nimmt man etwas, das jeder versteht." Hochgebirge hin oder her.

Ist Schweiz denn trotzdem ein guter Slogan? "Ja, denn was wäre die Alternative zum Beispiel zur Fränkischen Schweiz? Fränkisches Mittelgebirge? So richtig sexy klingt das nicht", sagt Lohmann. "Mir fällt wenig ein, was schönere Assoziationen weckt als die Schweiz." Es gehe um Emotionen: "Die Landschaft, die Berge. Das ist schön, ganz einfach." Für diesen Eindruck brauche es manchmal ein Wort - eines wie Schweiz. "Das erleichtert es, die Schönheit auch zu erleben."

Gibt es auch negative Assoziationen? "Vielleicht eine gewisse Gemächlichkeit, etwas Betuliches", sagt Lohmann. Das haben manche Mittelgebirge in Deutschland so an sich. Angesichts der Vielzahl an Schweizen muss man konstatieren: Noch das unspektakulärste Fleckchen Wald-Wiesen-Hügel kann sich mit dem Attribut Schweiz brüsten.

Die Eidgenossen haben weder den Euro eingeführt noch sind sie in der Europäischen Union. Selbst im Zweiten Weltkrieg war die Schweiz neutral. Das überschaubare Land mit den unüberschaubaren Bankkonten wirkt wie abgeschirmt, ein Stück heile Welt mitten in Europa. "Das Bild von der Schweiz ist in gewisser Weise sorgenfrei", sagt Lohmann. Und Sorglosigkeit, weiß der Experte, passt bestens zu Urlaub.

(dpa)
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