Tirol statt Tropen Der Umwelt zuliebe aufs Fliegen verzichten?

Valletta/Tübingen · Zehn Tage nach Thailand und übers Wochenende nach Rom? Wer es mit dem Klimaschutz ernst meint, sollte darauf verzichten. Eigentlich müssten wir alle viel weniger fliegen, CO2-Kompensationen sind nicht die Antwort. Doch das Reisen ist uns einfach zu wichtig. Ein Dilemma.

 Für viele bedeutet Fliegen auch Urlaub, aber es bedeutet auch eine große Belastung für die Umwelt (Symbolbild).

Für viele bedeutet Fliegen auch Urlaub, aber es bedeutet auch eine große Belastung für die Umwelt (Symbolbild).

Foto: dpa, pla

Als Thomas Cook in diesem Herbst auf Malta sein Urlaubsprogramm für den Sommer 2018 präsentiert hat, flog der Reiseveranstalter auch die Presse ein. Für drei Tage. Das ist so üblich. Insgesamt etwa 0,8 Tonnen CO2-Ausstoß entfielen dabei auf jeden Flugpassagier. Auf dem Podium erklärte Thomas Cook dann das Thema Nachhaltigkeit zu einem wichtigen Reisetrend. "Grün kommt groß raus", lautete die Botschaft. Wenn dies tatsächlich so wäre, würde allerdings kaum ein Urlauber noch fliegen.

Es ist das erklärte Ziel der Weltgemeinschaft, den Temperaturanstieg in diesem Jahrhundert auf 2 Grad zu begrenzen. Damit dies gelingt, dürfte jeder Mensch im Jahr 2050 nur noch etwa 2 Tonnen CO2 jährlich ausstoßen. Tatsächlich sind es in Deutschland derzeit 9,6 Tonnen pro Kopf und 10,9 Tonnen, wenn man alle Treibhausgase einrechnet. Das sind Zahlen des Umweltbundesamtes. Für einen Flug von Düsseldorf nach New York und zurück fallen aber schon 3,65 Tonnen CO2 an.

Mit nichts schadet der einzelne Mensch dem Klima so sehr wie mit dem Fliegen. Wem wirklich an der Umwelt gelegen ist, der sollte auf eine zweiwöchige Thailand-Reise oder den Städtetrip nach New York besser verzichten. Tirol statt Tropen, Wangerooge statt weite Welt. Es wäre das Ende des Reisens, wie wir es kennen. Muss das sein?

Der Urlauber hat auch die Möglichkeit, das ausgestoßene CO2 einer Flugreise zu kompensieren. Das geht so: Man zahlt einen Beitrag an eine Organisation wie zum Beispiel Atmosfair, die das Geld in zertifizierte treibhausgasmindernde Investitionen vor allem in Entwicklungsländern steckt. Was der Verbraucher ausstößt, wird anderswo eingespart. Das klingt erst einmal gut, nach Fliegen ohne schlechtem Gewissen. Doch es reicht nicht. "Verzicht ist immer die erste Wahl", betont Sabine Minninger, die beim Evangelischen Entwicklungsdienst Brot für die Welt Referentin für Klimapolitik ist. "Wenn das nicht geht, ist eine CO2-Kompensation durchaus sinnvoll und besser, als nichts zu tun." Also doch weniger fliegen: Das klingt so leicht und ist doch so schwierig.

"Privat bin ich immer viel geflogen in meinem Leben, aber ich habe das wahnsinnig reduziert. Innerhalb Deutschlands kann ich nicht mehr guten Gewissens fliegen", sagt Odette Deuber von der gemeinnützigen Gesellschaft Klimaktiv. Auch für ein langes Wochenende durch Europa zu fliegen, sei für sie nur schwer moralisch vertretbar. Doch die Expertin weiß um das Dilemma: "Ich kann und will niemanden etwas verbieten", sagt Deuber. Die Globalisierung und Vernetzung der Menschen habe etwas absolut Positives. "Man reist in andere Länder, blickt über den Tellerrand. Jetzt zu sagen, Fliegen geht nicht mehr, das halte ich auch nicht für sinnvoll."

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Foto: David Grzeschik

Wenig steht so für die persönliche Freiheit wie das Fliegen, der alte Menschheitstraum. Und die Urlaubsreise ist für den Einzelnen in den vergangenen Jahren noch wichtiger geworden, glaubt Peter Wippermann vom Trendbüro Hamburg. "Wir beobachten einen Wertewandel, weg von der Produktwelt hin zur Erlebniswelt." Heißt: Die Fernreise ist für viele heute ein wichtigeres Statussymbol als das Auto.

Aber gibt es nicht einen Öko-Trend? Ist Umweltschutz nicht Konsens? Der Deutsche trennt doch auch den Müll und kauft Bio-Lebensmittel. Deuber relativiert: "Ernährung hat viel mit der eigenen Gesundheit zu tun. Das sind eher egoistische Gründe. Außerdem ist Ernährung zum Lifestyle geworden." Vegan ist hip. Der Verzicht aufs Fliegen dagegen nicht. "Viele umweltbewusste Menschen schränken sich im Alltag ein, aber beim Fliegen wird ein Auge zugedrückt."

Ausreden fallen einem sofort ein. Man kann bequem auf alle anderen verweisen, die auch fliegen. Nach dem Motto: Die Flugzeuge heben ja sowieso ab. Und anders als im Supermarkt hat der Verbraucher beim Fliegen keine Wahl: Die Emissionen lassen sich nicht vermeiden.
Technische Innovationen müssen von den Flugzeugherstellern kommen.

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Die allermeisten Reisenden sind nicht einmal zu einer Umweltabgabe bereit. Weniger als jeder Hundertste Passagier kompensiert seine Flugreise, weiß Minninger. Auch die großen Reiseveranstalter sagen, der Kunde habe an einer Kompensation kein Interesse. Das Geld wird doch lieber gespart oder im Urlaub vor Ort ausgegeben.

Peter Wippermann geht davon aus, dass die Menschen in Zukunft eher noch häufiger fliegen werden. Der Luftverkehr wächst und wächst. Echter Verzicht? Nicht in Sicht. "Sie können nur einen Ablasshandel machen", sagt der Trendforscher zum Thema Kompensation. Klimaexpertin Minninger sieht das anders: "CO2-Kompensation ist kein Ablasshandel, sondern wichtiger Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung." An der Metapher "Tropfen auf den heißen Stein" kommt allerdings auch sie nicht vorbei. Und es gebe auf der Welt gar nicht so viele Klimaprojekte, dass sich alle Flüge kompensieren ließen.

Dass der Mitarbeiter im Reisebüro dem Urlauber aus Umweltgründen von einer Fernreise abrät, ist unwahrscheinlich. Müsste aber nicht genau dies der Ratschlag sein? Der Deutsche Reiseverband (DRV) kann dies nicht unterschreiben. Die Branche lege den Fokus auf "den Dreiklang aus ökologischer, ökonomischer und sozialer Verantwortung". Man dürfe sich nicht nur auf den Klimaschutz konzentrieren. Der Tourismus sorge in den Zielgebieten für einen wirtschaftlichen Aufschwung, das bringe Wohlstand und Bildungschancen für die Bevölkerung.

Als Urlauber auf die Innovationen im Flugzeugbau zu setzen, ist indes ebenso optimistisch. Am emissionsfreien Fliegen mit Biomasse, Wasserstoff oder Sonnenenergie wird zwar geforscht. Doch diese Art des Fliegens werde noch einige Zeit auf sich warten lassen, erfährt man beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Prof. Andreas Strohmayer vom Institut für Flugzeugbau der Universität Stuttgart kann darüber referieren, welche Möglichkeiten es in nicht allzu ferner Zukunft theoretisch geben könnte. "Aber der politische Wille muss da sein", sagt der Experte. "Investitionen kosten Geld und bringen keinen Gewinn." Das heißt: Von sich aus werden die großen Flugzeugbauer Airbus und Boeing nichts umstellen. Klimaschützer sehen die Politik am Zug. "Bahnreisen müssen günstiger werden, das Fliegen teurer", sagt Deuber. Denkbar sei eine CO2-Steuer für Airlines. Dass so etwas kommt, ist aber sehr unwahrscheinlich.

Was kann der einzelne Urlauber tun? Die Experten sind sich einig: Auf Kurzstrecken innerhalb Deutschlands die Bahn statt des Flugzeugs nehmen. Und schlichtweg weniger fliegen: Wenn es doch Mallorca sein soll, dann lieber einmal und dafür länger verreisen. "Ich will niemandem seinen Urlaub klauen", sagt Minninger.

(dpa)
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