Schleswig-Holstein Das Gelbe von der Schlei

Praller, farbenfroher Frühling im Norden: Ringsherum blüht der Raps. Die Wikinger sind los, und in Deutschlands kleinster Stadt steppt der Schnäpel. Das schönste Radwander- und Segel-Revier zwischen Ostsee und Schleswig hat wieder geöffnet.

 Schlei mit Rapsfeldern und Segelboot

Schlei mit Rapsfeldern und Segelboot

Foto: Bernd Schiller

Der Norden leuchtet. Eben hat die Morgensonne den Nebel über beiden Ufern aufgesogen. Üppiges Goldgelb lässt die Felder rechts und links der Schlei – kein Fluss, sondern Deutschlands längste Förde – wie ein breites Armband funkeln. Die Rapssaison gilt im Herzen Schleswig-Holsteins als fünfte Jahreszeit. Für zwei Monate, bis Anfang Juni, verwandelt sie das Land hinterm Strand in ein gelbes Meer.

An der Westseite heißt diese Region Angeln, in uralten Zeiten war es die Heimat eines Teils der Angelsachsen. Gegenüber, am östlichen Ufer, breitet sich Schwansen aus. Obwohl es bei Missunde seit 550 Jahren eine Fährverbindung zwischen beiden Seiten gibt, waren sich die Leute von hüben und drüben nicht immer grün. Bis heute kommt es selten vor, dass jemand auf die andere Seite heiratet. Immerhin erinnern vor allem in Schwansen die Namen vieler kuscheliger Dörfer an die gemeinsame dänische Vergangenheit: Brodersby, Sieseby, Rieseby, Gammelby ...

 Reinhard Erichsen im Wikingerdorf Haithabu

Reinhard Erichsen im Wikingerdorf Haithabu

Foto: Bernd Schiller

Die Schlei und der „Landarzt“, das gehörte fast 300 Fernseh-Episoden lang dazu, von 1987 bis 2013, ein Teil von Norddeutschland wie das ganztägig gebrauchte „Moin, moin“. Erst diese Serie machte die bis dahin weitgehend unbekannte Landschaft auch im Rest der Republik populär. Wie einst im Glottertal nach der Schwarzwald-Klinik, fragen bis heute Ausflügler vom Ostseestrand nach Deekelsen, das einst als fiktiver Ort des Praxis-Geschehens berühmt war.

 Die Hafenmeisterei in der Marina Schleimünde

Die Hafenmeisterei in der Marina Schleimünde

Foto: Bernd Schiller

Über Legendäres und Wahrhaftiges schnacken gern auch die Kapitäne des Raddampfers „Schlei Princess“ oder der „Stadt Kappeln“, auf der Juliane Sebode, die einzige Kapitänin der Region, das Kommando hat. Diese gemütlichen Schiffe prägen den Fjord wie der Raps an seinen Rädern und die Stockrosen an den alten Bauernkaten die Region. Wer die Idylle an Land, aber mit Blick aufs Wasser erleben will, wandert von Kappeln nach Arnis, das sich mit dem Etikett „Deutschlands kleinste Stadt“ schmückt – 320 Einwohner, acht Straßen, sechs Vereine, zwei Werften, zwei Segelmacher. In den rustikalen Gasthöfen rund um die Förde hat jetzt der Schnäpel Hochsaison, eine Maränenart aus dem Gewässer vor der Haustür.

 Schloss Gottorf steht in Schleswig.

Schloss Gottorf steht in Schleswig.

Foto: Bernd Schiller

Der frische Frühlingswind weht auch wieder Gäste auf die Lotseninsel bei Schleimünde, ein Hektar groß und nur übers Wasser erreichbar. Herr der Marina dort ist Hafenmeister Harald Schacht, ebenso ein Original wie Ralf Huwe, Chef der „Giftbude“, der urigsten Hafenkneipe zwischen Hamburg und der dänischen Grenze. Currywurst vom Feinsten und Bratkartoffeln, beides im XXL-Format, „gifft dat hier“, so soll der Name entstanden sein. Nebenan im Bilderbuchstädtchen Kappeln gehört Fiete Föh zu den norddeutschen Charakteren von Format, Seniorchef der gleichnamigen Fischräucherei. Seit 110 Jahren werden in diesem Familienbetrieb Spezialitäten aus dem Meer auf Buchenholz und Erlenspänen veredelt.

Gut 30 Fahrradkilometer nach Südwesten, am Haddebyer Noor, einer Ausbuchtung der Schlei am Stadtrand von Schleswig, lag einst die Wikingersiedlung Haithabu, heute ein Museum zum Anfassen und Mitmachen. Vor den liebevoll rekonstruierten Reetdachhäuschen, die zum Landesmuseum Schleswig Holstein auf Schloss Gottorf gehören, spannt demnächst wieder Reinhard Erichsen seinen Bogen wie einst Hägar der Schreckliche. Der gelernte Tischler hat Hunderte Langbögen in Haithabu gebaut und unzählige Pfeile geschnitzt. Wenn er seine Kluft angezogen hat – die Tunika aus Leinen, die Schuhe aus Ziegenleder, gegürtet mit Tasche und Messer – staunen nicht nur die Kinder.

Letzte Ausfahrt Schleswig: Aus der alten Residenzstadt, die nach dem Zweiten Weltkrieg um ein Haar Regierungssitz des nördlichsten Bundeslandes geworden wäre, wenn die Engländer sich nicht für Kiel entschieden hätten, ragt als Leuchtturm des Glaubens der Dom St. Petri. Dort ist der Bordesholmer Altar von 1521, ein sakrales Wunderwerk aus Eichenholz, der Magnet für die meisten Besucher. Im Bibelgarten des benachbarten Johannisklosters überdauern Pflanzen und Blumen rund ums Kirchenjahr die Rapsblüte.

Zeitreisen sind auch innerhalb Schleswigs möglich, mal in die große Vergangenheit, etwa die Epochen der Wikinger, der dänischen Könige oder der Gottorfer Regenten, mal in die Zeit der 1970er-Jahre, als mit dem Wikingerturm die Silhouette der Stadt an der Schlei verschandelt wurde. Aber an sonnigen Frühlingstagen trinken sich Eingeborene und Touristen den Klotz einfach weg, mit einem klarem Schnaps, der den frischen Zander aus der Schlei auf norddeutsche Art herunterspült: Nich lang’ schnacken, Kopp in’n Nacken ...

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