Niedersachsen/Thüringen Grünes Grenzland

Das Eichsfeld ist eine historisch gewachsene Landschaft im Nordwesten Thüringens, Südosten Niedersachsens und Nordosten Hessens. Von 1945 bis zur Wende war die Region durch die deutsche Teilung bestimmt. Zwei Museen und ein Natur-Erlebniszentrum widmen sich dem Eichsfeld.

 Auf dem Kolonnenweg kann man durch das Eichsfeld wandern.

Auf dem Kolonnenweg kann man durch das Eichsfeld wandern.

Foto: Dagmar Krappe/DAGMAR KRAPPE

Geflüchtete, Vertriebene, Ausgewiesene, entlassene Kriegsgefangene, (Spät-)Aussiedler, Asylsuchende – mehr als vier Millionen Menschen kamen von 1945 bis heute über das Grenzdurchgangslager Friedland im südöstlichen Niedersachsen in die Bundesrepublik. Wenige Meter entfernt, im stillgelegten Bahnhofsgebäude, werden seit 2016 mittels Audio- und Videoinstallationen Flucht- und Migrationsgeschichten erzählt. Fotos, persönliche Erinnerungsstücke und historische Dokumente ergänzen die Dauerausstellung „Fluchtpunkt Friedland“. „Hier geht es um Abschied, Ankunft, Neubeginn“, sagt Dr. Anna Haut, wissenschaftliche Leiterin des Museums.

Nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg flohen Millionen Menschen vor der Roten Armee aus den einstigen deutschen Ostgebieten gen Westen oder wurden vertrieben. „Um die Lage in den Griff zu bekommen, den Zuzug zu lenken und die Ernährung sicherzustellen, wählten die britischen Besatzer diesen Ort am Rande des Eichfelds aufgrund seiner Nähe zur sowjetischen und amerikanischen Besatzungszone“, erklärt Dr. Anna Haut: „Seit September 1945 gibt es das Grenzdurchgangslager Friedland. Die Unterbringung erfolgte anfangs in notdürftig umgebauten Ställen und Zelten. Bis die ersten Holzhäuser entstanden, dienten Wellblechbaracken, die Nissenhütten, als Unterkunft und für die Versorgung.“

Im Laufe der Zeit entwickelte sich die ungeordnete, provisorische Aufnahmestation zu einem routinierten Betrieb. Neben Schilderungen von Zeitzeugen über ihre Beweggründe und Erlebnisse zum Thema Flucht und Vertreibung beschreibt die Sammlung die Arbeit sozialer Einrichtungen wie Innere Mission, Caritas und Deutsches Rotes Kreuz. Rund ein Viertel der deutschen Bevölkerung suchte nach Kriegsende nach Vermissten. Besonders nach Einführung der Bildsuchdatei des DRK konnten Zehntausende Schicksale aufgeklärt werden. Im zweiten Stock des Gebäudes steht der Besucher vor dem „Eisernen Vorhang“. Ferngläser lenken den Blick auf ehemalige Grenzen. An Hörstationen berichten Menschen über ihre gelungene Flucht. Für deutschstämmige (Spät-)Aussiedler aus Ost- und Ostmitteleuropa wurde Friedland das „Tor zur Freiheit“.

Grenzlandmuseum in Teistungen: Die Kfz-Schnellstraßensperre schloss sich früher innerhalb von drei Sekunden, um Fluchtversuche zu verhindern.

Grenzlandmuseum in Teistungen: Die Kfz-Schnellstraßensperre schloss sich früher innerhalb von drei Sekunden, um Fluchtversuche zu verhindern.

Foto: Dagmar Krappe/DAGMAR KRAPPE

Nur eine gute halbe Stunde Autofahrt entfernt befindet sich seit 1995 das Grenzlandmuseum Eichsfeld im thüringischen Teistungen. Direkt an der Bundestraße 247 im Zollverwaltungsgebäude der früheren Grenzübergangsstelle Duderstadt-Worbis. 1973 wurde sie für den „Kleinen Grenzverkehr“ eröffnet und rege genutzt. „40 Jahre lang zog sich die immer wieder stärker ausgebaute Grenze auf circa 1400 Kilometern von der Lübecker Bucht bis Hof in Bayern. Dazu kamen knapp 157 Kilometer Mauer um West-Berlin“, informiert Georg Baumert, im Museum zuständig für Umweltbildung: „Fast 1000 Menschen kamen bei Fluchtversuchen ums Leben. Einige auch hier in der Nähe.“

Zahlreiche Original- und rekonstruierte Exponate wie Suchscheinwerfer, Teile von Stacheldrahtzäunen und der Berliner Mauer, ein Nachrichtenraum, eine Waffenkammer machen die unmenschliche Trennung wieder bewusst. „Zunächst konnten Bewohner noch ganz ungehindert von einer in die andere Besatzungszone wechseln“, erzählt Georg Baumert: „1952 beschloss man in Moskau, die DDR mit ihrer „gefährlichen Grenze“ zu einem starken Vorposten gegen den Westen auszubauen.“ Aus dem Stacheldraht- wurde ein Metallgitterzaun. Wachtürme und Observationsbunker kamen hinzu. Man verlegte Boden- und installierte Splitterminen. Die Zonen- mutierte zur Systemgrenze.

Ein extra Raum ist der „Massenflucht von Böseckendorf“ gewidmet. „Mehr als 50 Menschen des Dorfes gelang es, in einem Treck im Oktober 1961 zu fliehen“, sagt Georg Baumert: „Ihr neues Leben im Westen begann im Grenzdurchgangslager Friedland.“ Die Präsentation im Erdgeschoss des Mühlenturms, der als Beobachtungs- und Befehlsstelle der DDR-Grenzorgane eingerichtet war, beschäftigt sich mit dem innerdeutschen Grenzstreifen als abgeschottetes Refugium für Flora und Fauna. „Bereits kurz nach der Grenz­öffnung gründete der BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) das „Grüne Band“ als gesamtdeutsches Projekt, um wertvolle Lebensräume zu erhalten und gefährdete Arten zu schützen“, erklärt Georg Baumert. Mit­initiator war der 2006 im Alter von fast 90 Jahren verstorbene Tierfilmer Heinz Sielmann. 1988 drehte er für die ARD-Reihe „Expeditionen ins Tierreich“ an der Trennungslinie den Dokumentarfilm „Tiere im Schatten der Grenze“.

Oberhalb der einstigen Grenzkontrollstelle befinden sich noch Überreste einer Zisterzienserinnenklosteranlage. Sie diente flüchtigen DDR-Bürgern als Versteck. Inzwischen sind nur noch ein Stallgebäude, Mauerreste und das Einfahrtstor erhalten. Nach der Wende entwickelte sich auf dem Gelände das Victor’s Residenz-Hotel Teistungenburg mit Schwimmbad und Freizeitanlagen. Es ist idealer Ausgangspunkt für Wanderungen durch das hügelige Eichsfeld. Entlang der alten Klostermauer gelangt man auf den Kolonnenweg und folgt dem Schild „Eichsfelder Grenzspuren“. Auf diesem Betonplattenweg patrouillierten damals die DDR-Grenztruppen. Der Sielmann-Höhenweg zweigt zum Gut Herbigshagen bei Duderstadt ab. 1994 gründete der Tierfilmer zusammen mit seiner Frau Inge die „Heinz Sielmann Stiftung“. Sie ist auf dem ehemaligen Stadtgut beheimatet und betreibt dort ein Natur-Erlebniszentrum, um Kindern und Erwachsenen „Naturschutz als positive Lebensphilosophie“ zu vermitteln. Die Sielmanns fanden ihre letzte Ruhe in der Franz-von-Assisi-Kapelle auf einer Anhöhe des Gutes. Ganz in der Nähe ihrer Herzensangelegenheit „Grünes Band“.

Die Reise wurde von Victor‘s Residenz-Hotel Teistungenburg unterstützt.

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