Das Refugium von Katharina der Großen

Gold, Glanz und Gloria: Zum 250. Geburtstag hat sich die Eremitage in St. Petersburg herausgeputzt.

Winter in St. Petersburg: Fahles Tageslicht quält sich durch die dichte Wolkendecke, aber vom Schnee, der in der Luft liegt, ist noch nichts zu sehen. Am Westeingang der Eremitage, parallel zur Newa, hat sich eine lange Schlange gebildet. Die Menschen stehen an, um eine der bedeutendsten Kunstsammlungen der Welt zu sehen, umfangreicher als der Prado, bewegender als der Louvre. Sind die Sicherheitskontrollen erst mal überstanden, halten die Besucher den Atem an in dem wohl prächtigsten Treppenhaus Russlands. Vielleicht kennen sie die Eremitage aus Büchern, womöglich hat die Reiseleitung versucht, sie auf das Museum vorzubereitet. Aber vor Ort, auf der Paradetreppe, will so viel Gold, so viel Glanz, so viel Schönheit erst einmal verarbeitet werden.

Was für ein Palast, was für ein Gesamtkunstwerk, verteilt auf über tausend Zimmer, auf unzählige und unschätzbare Kunstwerke aus nahezu allen Epochen der Weltgeschichte. Selbst wer nur einen Tag durch die Säle und Korridore streift, ob geführt oder allein mit sich und den Bildern, Büsten, Möbeln und den vielen zum Teil wundersamen Accessoires aus der Blütezeit der zaristischen Prachtentfaltung, wird höchstens eine Ahnung von der schieren Vielfalt bekommen. 70 Jahre, so heißt es, seien notwendig, wolle man alles sehen, was in den Sälen und in den Kellern und Kammern gehütet und gehortet wird, vorausgesetzt, man widmet sich jedem Kunstwerk nur eine Minute.

Der 250. Geburtstag der Eremitage, den St Petersburg für dieses Jahr ausgerufen hat, ist mehr oder weniger ein künstliches Datum. Vielleicht stehen deshalb keine nennenswerte Sonderausstellungen auf dem Programm. Ursprung der mächtigen Anlage ist der Winterpalast im Herzen des imperialen St. Petersburgs, von Zarin Elisabeth beim italienischen Hofarchitekten Rastrelli in Auftrag gegeben und zwischen 1754 und 1762 errichtet. Das Gebäude, das als erstes den heute weltberühmten Namen Eremitage führte, war das Refugium, der Rückzugsort, die Einsiedelei der Zarin Katharina II., auch Katharina die Große geannnt. Baubeginn der von Beginn an sogenannten "Kleinen Eremitage" war 1764 – und auf dieses Jahr führen die Stadtväter das nun etwas halbherzig begangene Jubiläum zurück. Herausragende Sehenswürdigkeiten in der Kleinen Eremitage, deren klassizistische Fassade aufs Feinste mit der Barockfront des Winterpalastes harmonisiert, sind die Galerien entlang der "Hängenden Gärten" zwischen den privaten Gemächern der Zarin und jenem Pavillon, den sie dem Grafen Orlow, ihrem Günstling, einrichtete. Porträts der Romanow-Dynastie, Bilder aus dem alten Petersburg und Gemälde niederländischer Meister des 15. und 16. Jahrhunderts schmücken, neben gewaltigen Kronleuchtern und der legendären Pfauenuhr, einem frühen Wunderwerk der Chronometer-Kunst, die Säle und Kabinette der Kleinen Eremitage.

Zum "Großen", auch Alten Eremitage genannten Trakt gehört das Eremitage-Theater, als Schaubühne und Amüsierort der Zarenfamilie um 1780 erbaut. Heute ist betuchten Touristen und neureichen Russen der Ballett- oder Konzertgenuss in diesem prächtigen Rahmen einen hohen Eintrittspreis wert. Weil die Sammlungen der Zaren immer größer wurden, ließ Nikolaus I. den bayerischen Baumeister Leo von Klenze um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Neue Eremitage bauen. Kurz darauf, im Jahr 1852, durften erstmals auch normale Bürger aus St. Petersburg die Sammlungen bestaunen.

Von orientalischer Kunst über die großen Italiener wie Leonardo da Vinci, Michelangelo, Raffael, Tizian, Tintoretto, die Holländer Rembrandt und Rubens, französische Maler fast aller Stilrichtungen, die spanischen Genies Goya, Velasquez und El Greco, die deutschen Stars des Mittelalters, Dürer und Lucas Cranach und natürlich die russische Kunst – in der Eremitage ist alles vertreten, was die Menschen durch die Zeiten hinweg bewegt hat.

Müde vom Schauen und Laufen gönnen sich viele Besucher in der Cafeteria einen russischen Pausensnack, zum Beispiel eine mit Kaninchen gefüllt Pirogge, eine typische Teigtasche. Oder, stilvoller Abschluss, man setzt sich ins traditionsreiche Grandhotel Europe, wo schon die Romanows und Rasputin, Gorki und Tschaikowski den Tee eingenommen haben. Dort summt der Samowar, alte Herren spielen Schach, junge Pärchen aus der Generation Smartphone wärmen sich bei einem Soljanka-Süppchen auf. Und draußen beginnt es plötzlich zu schneien.

(RP)
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