Deutschland Biber, Flieger und Wikinger

Das artenreiche Moor im Peenetal in Mecklenburg-Vorpommern lässt sich am besten vom Wasser aus erkunden.

 Wer im Kanu auf der Peene paddelt, kann auf seiner Bootstour Biber und andere Tiere entdecken

Wer im Kanu auf der Peene paddelt, kann auf seiner Bootstour Biber und andere Tiere entdecken

Foto: dpa-tmn/Alexandra Frank

Gleich wird es zu dunkel sein. Verstummt sind die Rufe der Kiebitze und Goldregenpfeifer, die Dämmerung umhüllt die Auwälder und den Schilfgürtel am Ufer. Die Peene, die am Nachmittag noch bläulich schimmernd in der Sonne glitzerte, hat sich in ein dunkles Band verwandelt, als wollte sie alles verstecken, was unter der Wasseroberfläche verborgen liegt. All die Rapfen und Brassen, Hechte und Barsche, Aale und Zander, die sich in dem knapp 85 Kilometer langen Fluss im Nordosten Mecklenburg-Vorpommerns tummeln.

Wie lassen sich jetzt noch Biber aufspüren? „Keine Bange“, sagt Carsten Enke und schaut zuversichtlich. „Die Dämmerung ist die beste Zeit, um Biber zu beobachten.“ Seit 17 Jahren arbeitet der sportliche 51-Jährige als Naturführer und zeigt Besuchern seine Heimat – vom Wasser aus. Es ist die schönste Art, den Naturpark Flusslandschaft Peenetal zu entdecken. Er ist eines der größten zusammenhängenden Niedermoorgebiete Mitteleuropas. Auf mehrtägigen Touren geht es vom Kummerower See in der Mecklenburgischen Schweiz zur Mündung in den Peenestrom östlich von Anklam. Oder Besucher gehen auf eine abendliche Bibersafari im Kanu.

   Rainer Vanauer sieht nicht nur aus wie ein Wikinger – er kann auch viel über sie ­erzählen.

Rainer Vanauer sieht nicht nur aus wie ein Wikinger – er kann auch viel über sie ­erzählen.

Foto: dpa-tmn/Alexandra Frank

Da, ein Plätschern! Gebanntes Starren in die aufkommende Dunkelheit. Fehlalarm. Vom Nagetier ist weit und breit nichts zu sehen. Dabei leben rund 1000 Biber entlang des unbegradigten Flusses. Eben haben die Boote eine knapp 30 Zentimeter breite Schneise durchs Schilf passiert – ein Biberpfad. „Nur Geduld“, sagt Enke. Und tatsächlich: Ein runder Kopf mit kleinen Ohren und dunklen Kulleraugen bewegt sich dicht am Schilf durch das Wasser – und ein paar Meter dahinter ein zweiter. Fast fünf Minuten lang lassen sich die Tiere begleiten, um schließlich wieder in der Dunkelheit zu verschwinden.

„Biber habt ihr jetzt gesehen“, sagt Enke. „Aber haltet auch tagsüber die Augen auf, nach Fischottern und anderen Flussbewohnern.“ Denn bei Sonnenschein sind Tiere viel leichter zu entdecken. Auch von Urlaubern aus der Stadt, wie sich am nächstenTag zeigt.

 An der Peene leben auch Reiher.

An der Peene leben auch Reiher.

Foto: dpa-tmn/Alexandra Frank

Im zuckelnden Solarboot – ein von Sonnenkollektoren angetriebenes Gefährt, das fast lautlos durchs Wasser gleitet – geht es den Fluss entlang. Fischreiher und Eisvögel lauern im Schilf auf Beute. Türkis glänzende Libellen tanzen über das Wasser. Und zwischen Seerosen duckt sich ein Kormoran. In Menzlin legt das Boot an.

Rainer Vanauer sagt, er sei Wikinger – und sieht auch so aus. Denn wenn der vollbärtige Hobbyarchäologe, der nahe Menzlin einen Bootsverleih betreibt, Gäste durch das „Alte Lager“ führt, trägt er ein langes Leinenhemd mit Messer am Gürtel. So wie das Volk, das hier von Anfang des 8. bis 10. Jahrhundert gesiedelt hat: die Wikinger.

Die Lage am Fluss mit direktem Zugang zur Ostsee war perfekt für einen Seehandelsplatz. „Rund 300 Menschen haben hier damals gelebt“, sagt Vanauer und läuft eine sandige, von Kiefern bewachsene Anhöhe hinauf. „Ein magischer Ort.“ Vanauer zeigt auf eine Ansammlung von Steinen, die ellipsenförmig zusammengelegt wurden. Eines von mehr als 30 skandinavischen Frauengräbern, die Archäologen hier freigelegt haben. „Die Steine sollen die Form eines Schiffes nachahmen“, erklärt Vanauer. „Ein Schiff, auf dem die Toten die Reise ins Jenseits am anderen Ende des Meeres antreten konnten.“

Übers Wasser führt der Weg auch an diesem Tag weiter, zum Glück nicht ins Jenseits, sondern über die Peene weiter nach Anklam, wo die Backsteintürme der mittelalterlichen Kirchen St. Marien und St. Nikolai in den Himmel ragen. Noch höher hinaus trieb es den berühmtesten Sohn der Stadt, Otto Lilienthal. Dem Flugpionier, dem es gelang, Ende des 19. Jahrhunderts im selbstgebauten Gleitflieger die Lüfte zu erobern, ist ein Museum in der Innenstadt gewidmet.

Die wahren Könige der Lüfte sind allerdings die Seeadler. Die Tiere aufzuspüren, ist eine Spezialität von Günther Hoffmann, einem Naturführer mit langem grauen Haar und geschultem Blick. Er führt Besucher durch das Anklamer Stadtbruch, Deutschlands größten Moorwald, der im Mündungsgebiet der Peene liegt.

„Jahrhundertelang wurde hier Brenntorf gewonnen“, erklärt Hoffmann, ausgerüstet mit Cowboyhut und Spektiv – einer Art Superfernrohr. Nach der Wende wurden Stadtbruch und Peenetal renaturiert. Heute sind Torfstiche und Feuchtwiesen ein Mekka für Vogelfreunde. Denn mit der Überflutung des vormals trockengelegten Gebiets siedelte sich hier die größte Kormorankolonie Deutschlands an. Und damit kamen auch die Adler. Tatsächlich kreist ein Fischadler in der Luft. „Bis zu 260 Vogelarten kann man hier im Laufe des Jahres beobachten“, sagt Hoffmann. Graureiher, Höckerschwäne, Kraniche, Kiebitze, Rohrweihen, Graugänse und Brachvögel.

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