Eismusik-Festival Coole Klänge

Beim Eismusik-Festival im norwegischen Geilo kommen nur Instrumente aus gefrorenem Wasser zum Einsatz: Eis-Harfe, Eis-Fiedel, Eis-Horn und Eis-Schlagzeug.

Wenn sich der Vorhang der Nacht über dem Berg senkt, wenn der Vollmond am Horizont aufsteigt und die Arena aus Schnee in silbernes Licht taucht, kann das Spiel beginnen. Insektenhaftes Klicken ist zu hören, ein Rhythmus aus Schleifen und Schaben und Knacken, bis der helle Ton eines Glockenspiels ertönt. Warme Laute sind in der Luft, wohltuend rund wie von Vibraphon, Gong und Marimba, dann wieder metallisch hart und klar wie von einem Xylophon.

Eine Eisprinzessin streichelt ihre Harfe und entlockt ihr weiße Klänge. Wild streicht ein Teufelsgeiger über die Saiten seiner Fiedel. Transparente Skulpturen, gerade noch von blauen Scheinwerfern angestrahlt wie Kunstwerke, erwachen zum Leben und produzieren klingende Kälte. Dann ertönt das Eishorn, ein Ton wie das Trompeten eines leidenden Mammuts. Musik zum Dahinschmelzen - nur dann und wann läuft den Zuhörern ein kalter Schauer über den Rücken.

Terje Isungset kann sich tagelang damit aufhalten, in zugefrorenen Seen und auf massiven Gletschern die am besten zueinander passenden Stücke Eis zu finden. Am Ende hegt der Musiker aber immer noch Zweifel, ob das Wasser gleichmäßig genug gefroren ist und nicht zu viele Luftbläschen eingeschlossen hat.

Erst mit der Motorsäge und dann mit japanischen Spezialmessern verwandelt er große Eisbrocken in fragile, bläulich schimmernde Mobiles und hängt sie an Angelschnüren auf. Mit tauben Fingern klopft er die Klangkörper nach Rissen ab und stimmt sie dann raspelnd und feilend und kratzend aufeinander ab. Bis die Instrumente zum ersten Mal ertönen, dauert es viele Stunden. Und ob das Ergebnis die Erwartungen erfüllt, ist keinesfalls sicher. "Vor Konzerten bin ich immer nervös. Ob es gut klingt, entscheidet nämlich am Ende die Natur."

Ein Perfektionist. Wer Terje Isungset und seine Mitstreiter, die in der Kälte musizieren, besuchen und ein Wochenende lang in die Welt der Eismusik eintauchen möchte, muss das Häusermeer Oslos hinter sich lassen und in die Natur fahren, Kurve um Kurve mit der Bergenbahn hinauf ins norwegische Hochland. Ziel ist Geilo, ein winziger Ort mit nicht einmal 2500 Einwohnern, der aber mitten in einem der ältesten Skigebiete Norwegens liegt.

1909 startete hier der Tourismus mit der Einweihung der Schienen und dem Bau eines Sanatoriums für Lungenkranke. Doch erst in den letzten Jahren hat sich das verschlafene Dorf in ein schickes Wintersportziel verwandelt, in ein vor allem von Skandinaviern und ihren Geländewagen bevölkertes "Holiday on Ice". 550 Kilometer kostenlose Langlaufpisten und 18 Skilifte gibt es hier, doch der heute Abend wichtigste stellt prompt seinen Betrieb ein, weil der über den Fjell blasende Wind anscheinend gefährlich stark an den Sesseln rüttelt.

So stapft man an der Skistation Fjellandsby zu Fuß den Hang hinauf auf 1070 Meter, eingepackt wie das Männchen von Michelin in fünf Lagen Wollwäsche und Fleece, um der Kälte bis zum Konzert um Mitternacht zu widerstehen. "Remember Warm Clothes!", hatten die Organisatoren des Eismusik-Festivals ihren potenziellen Zuhörern warnend im Programmheft zugerufen. Der Vollmond ist milchig hell wie eine bleiche Sonne, doch wärmen tut er nicht.

Heiß ist neben der Suppe am Lagerfeuer nur die Eismusik. Poetisch klingt sie, überrascht. Mal tönt sie melancholisch, dann tanzt sie vor Lebensfreude. Man merkt ihr nicht an, wie viel Arbeit es gekostet hat, die Instrumente herzustellen. "Von hundert ähnlich aussehenden Stäben, die ich aus dem Eis für meine Schlaginstrumente schnitze, klingen vielleicht fünf. Der Rest ist stumm", sagt Terje Isungset. "Und ich weiß immer noch nicht genau, woran das liegt. Nur eines kann ich sagen: Mit Kunsteis funktioniert es nicht."

Der Musiker war schon als Junge ein begeisterter Trommler und spielte später in Rock- und Pop-Bands, bevor er sich nach Neuem sehnte und aus Holz, Stein und Metall ein eigenes Schlagzeug baute. Das Sammelsurium aus Fundstücken sorgte für neue Klangwelten. Seither gilt der Norweger wegen seiner Improvisationen in Grenzbereiche der Musik als einer der innovativsten Perkussionisten Europas. Eis als kristallinen Klangkörper entdeckte er schließlich, als er für Festspiele in Lillehammer Musik komponieren sollte - das Konzert gab er mitten in der Natur an einem gefrorenen Wasserfall. Seit 2006 entsteht in Geilo, seinem Heimatdorf, nun jedes Jahr zum ersten Vollmond eine Arena aus Schnee. Bespielt wird sie nur ein einziges Wochenende lang.

Doch nicht nur die Eismusik verklingt schnell in der Abgeschiedenheit von Geilos Bergen, auch die Instrumente selbst sind nicht für die Ewigkeit gemacht. Sein Eishorn hat Terje Isungset ausnahmsweise nicht aus dem gefrorenen Wasser der Umgebung geformt, sondern aus 2500 Jahre altem Gletschereis. Un das zerrinnt nun rasend schnell zwischen seinen Fingern: "Es schmilzt durch meine Atemluft und hält nur ein Konzert." Zwar hat der Meister der Eismusik schon einmal versucht, ein Eishorn zu retten, indem er Wasser anfrieren ließ, um das Mundstück wieder zu verengen. Vergeblich - der Klang war weg.

Kein Wunder. Ein Funken Magie steckt in jedem großen Instrument.

Die Redaktion wurde von Innovation Norway zu der Reise eingeladen.

(RP)
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