Bier und Poesie Auf den Spuren von Adalbert Stifter im Böhmerwald

Aigen · Die sanfte Hügellandschaft erstreckt sich über drei Länder: In Deutschland heißt sie Bayerischer Wald, in Tschechien Sumava, in Österreich ist es der Böhmerwald. Keiner hat diesen Wald intensiver beschrieben als der Schriftsteller Adalbert Stifter.

Adalbert Stifter: Zwischen Bier und Poesie
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Adalbert Stifter: Zwischen Bier und Poesie

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Eigentlich hängt alles mit allem zusammen: der Wald, das Bier und der Dichter. Die Rede ist vom Böhmerwald, der Heimat von Adalbert Stifter (1805-1868). Wie kein anderer beschrieb er die Landschaft. Zwar hat der Böhmerwald inzwischen viele Veränderungen erlebt, doch die Atmosphäre, die Stifter beschrieb, ist noch lebendig.

"Auf diesem Anger, auf diesem Wasser ist der Herzschlag des Waldes", schrieb Stifter. Und fast hat man den Eindruck, dieses Pochen im Herzen des Waldes zu hören, seinen Atem zu spüren, auf dem Wanderweg durch den Böhmerwald, dort wo Österreich, Deutschland und Tschechien aufeinandertreffen. Stifters poetische Worte sind in einen Steinobelisken eingemeißelt, der auf 1312 Metern hoch über dem Plöckensteiner See thront. "Für den Schriftsteller galt Wandern als Weg zum Glück", erklärt der Stifter-Experte Ferdinand Stiller. Der pensionierte Lehrer liest Stifters Naturschilderung vor. Die Zuhörer blicken währenddessen in die Weite der Landschaft bis zum Geburtsort des Dichters, Oberplan im heutigen Tschechien. Große Teile des Waldes in der Umgebung sind kahl. Der Borkenkäfer hat sich durchgefressen. Wie dünne Stängel recken sich die toten Bäume in den Himmel. Doch trotz dieses Anblicks strömt der Ort eine Faszination aus, ähnlich der einer Mondlandschaft. "Stifter war der erste Naturtourist", meint Reinhold List, der Tourismuschef des österreichischen Böhmerwalds. "Er hatte eine innige Verbundenheit mit den Bergen und Wäldern. Stundenlang streifte er durch die Gegend und kehrte dann ein. Er war alles andere als ein Kostverächter und liebte das Bier." Man spricht von einem Konsum von 600 Litern Gerstensaft im Jahr.

Das Bierbrauen hat eine lange Tradition im Böhmerwald. "Nachweislich seit 1580 wird im Kloster Schlägl Bier gebraut", sagt Reinhard Bayer, der Braumeister der Stiftsbrauerei in Aigen. Wo früher Mönche die Fastennahrung in Holzbottichen herstellten, reihen sich heute moderne Gärtanks aus Metall aneinander. In der Klostergaststätte mit dem mächtigen Gewölbe bildet das Bier den Mittelpunkt der Speisekarte: von der Biersuppe zum Bierfleisch über den Braumeisterteller bis zum Biereistörtchen als Dessert. Im klösterlichen Speisesaal stehen neben dem Kreuz auch Biergläser auf dem Tisch. Der Subprior des Stiftes, Stephan Josef Prügl, führt zu den Schätzen der barocken Abtei mit dem markanten Zwiebelturm im Ort Aigen. Eine Krypta aus der Romanik, eine Turmkapelle mit spätmittelalterlichen Fresken und eine historische Bibliothek, in der vermutlich auch schon Stifter stand. "Ungefähr 60 000 Bücher und wertvolle Handschriften haben wir hier", erzählt der 66-jährige Geistliche in seiner Ordenstracht.

Auf eine lange Geschichte kann auch die Mühlviertler Ölmühle in Haslach verweisen, wo seit über 600 Jahren Leinöl erzeugt wird. "Öl aus Leinsamen ist sehr gesund", versichert der Mühlenbesitzer Gunther Koblmiller, "weil es am meisten von den gesunden Omega-3-Fettsäuren enthält." Gegessen wird es meist mit Kartoffeln, wie im typischen Leinöl-Erdäpfel-Gericht. Der 71-Jährige führt Gäste durch die alte Mühle - fast ein Gang durch frühere Jahrhunderte. Es rattert, es staubt, es riecht nach feuchtem Leinsamen. Haslach gilt als Kernort der Leinenweberei im oberösterreichischen Mühlviertel. Zwar ist das Handwerk längst verschwunden, doch die Region hält an der Webtradition fest. 2012 eröffnete das neugestaltete Webereimuseum. Im Textilen Zentrum Haslach laufen nun wieder Webmaschinen wie in alten Zeiten, als Hunderte von Menschen in den Textilfabriken webten. Adalbert Stifter stammte aus einer Familie von Leinwebern.

Er hatte viele Interessen. Neben dem Dichten engagierte er sich für Denkmalschutz, restaurierte alte Gemälde und malte Landschaften. Einige seiner Bilder sind als Kopien im Stifter-Museum in Schwarzenberg zu sehen. "Und als Schulrat von Oberösterreich wollte er das Schulwesen modernisieren", berichtet Ferdinand Stiller, der sich um das kleine Museum kümmert. So forderte Stifter, dass die Zahl der Schüler auf 70 pro Klasse begrenzt wird und die Temperatur im Klassenzimmer mindestens 16 Grad beträgt. 40 Schulen tragen heute seinen Namen. Gelesen wird der Autor nicht mehr viel. "Zur Stifter-Lektüre braucht man innere Ruhe", sagt Stiller. Der Dichter selbst hat seine Ruhe nur im Böhmerwald gefunden.

Auch Ewald Fuchs bewegt sich mit Leib und Seele durch den Böhmerwald. Mitten im Wald stochert der 72-Jährige mit einer langen Holzstange im flachen Wasser, um festgeklemmte Holzstämme wieder zu befreien. Fuchs ist Schwemmer am Schwarzenbergischen Schwemmkanal aus dem 18. Jahrhundert. "Rund 100 Jahre wurde in dem 52 Kilometer langen Kanal Holz getriftet, eine Knochenarbeit."

Geschwemmt wird heute nur noch zur Schau. "Früher aber gelangten riesige Mengen Holz bis nach Wien, um dort die Häuser zu heizen", erläutert Fuchs. Vielleicht erwärmte das heimatliche Holz auch die Wohnung von Adalbert Stifter. Über 20 Jahre lebte der Dichter in Wien, um später in seinen Böhmerwald zurückzukehren - magisch angezogen: "Meine ganze Seele hängt an dieser Gegend."

(dpa/jco)
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