Österreich Eiszeit am Walchsee

Skifahren, nein danke? Im österreichischen Kaiserwinkl gibt es jede Menge Alternativen vom Eisstockschießen bis zum Ballonfahren.

 Langlauf im Kaiserwinkl: Die Skigebiete Hochkössen und Zahmer Kaiser haben 17 Lifte und 35 Pistenkilometer.

Langlauf im Kaiserwinkl: Die Skigebiete Hochkössen und Zahmer Kaiser haben 17 Lifte und 35 Pistenkilometer.

Foto: Monika Hippe

Dick eingepackt in Daunenjacken mit Mützen und Handschuhen stehen die Wintersportler vor der Eisbahn. Jetzt ist Christine dran! Sie nimmt den Eisstock in die Hand, schwingt ihn vor und zurück wie ein Pendel. Einmal, zweimal, dreimal. Dann lässt sie los. Mit Karacho schlittert er übers Eis und stößt dabei einen Konkurrenten aus dem Weg. Der Aufprall bremst die Fahrt, schließlich bleibt er stehen. Die einen stöhnen auf, die anderen jubeln sich warm.

Wenn im Winter hoch Schnee liegt, der Walchsee zufriert und beim Sprechen weiße Atemwolken in die Luft steigen, ist im österreichischen Kössen Zeit für ein uraltes Brauchtum – das Eisstockschießen. Schon im 16. Jahrhundert kannte man im Alpenraum diesen Sport, der ursprünglich vermutlich aus Skandinavien kommt. Weil damals die Jagd nur den Adeligen vorbehalten war, drückten die männlichen Bürger ihren Jagdtrieb damit spielerisch aus. Daher stammen auch die Spielbegriffe wie „schießen“, obwohl man ja wirft. Der Eisstock hat die Form eines Pümpels. Man ‚schießt’ ihn auf eine Eisbahn in Richtung der „Daube“ oder dem „Hasl“, einem Holzwürfel mit abgeschrägten Kanten. Dabei gilt es, seinen Eisstock möglichst nah daran zu platzieren.

Früher wurden die Eisstöcke individuell aus Birnen oder Ahornholz geschnitzt. Jeder besaß seine eigenen. „Man hatte schwere Eisenringe darauf gelegt, die beim Schlittern immer klapperten“, erinnert sich Michael Hechl. „Ganze Dörfer sind gegeneinander angetreten“. Er ist Wirt vom Staffner Hof bei Kössen und betreibt mit seinen Söhnen oberhalb des Gasthauses eine Eisbahn. Sie sieht aus, als stamme sie aus einer anderen Zeit – mit Holz überdacht und kleinen abschließbaren Fächern, in denen die Spieler ihre ‚Sportgeräte’ aufbewahren können. Sobald es anfängt zu frieren, wird die Bahn mit Wasser bespritzt. Damit die Eisstöcke nicht in die Holzwandverkleidung krachen, wird am Rand Schneematsch aufgetürmt, der mitgefriert. Bevor eine Gruppe startet, kommt Sohn Michael in Gummistiefeln und Leuchtanorak und fräst mit der Motorsäge die Startlinien (Fuaßn) ins Eis.

 Entspannung nach dem Skifahren: Beliebt sind Kutschfahrten rund um den Walchsee in der gleichnamigen Gemeinde.

Entspannung nach dem Skifahren: Beliebt sind Kutschfahrten rund um den Walchsee in der gleichnamigen Gemeinde.

Foto: Monika Hippe

Inzwischen gibt es in Österreich mehr als 500.000 Freizeitspieler. Sie spielen auf zugefrorenen Weihern, Bächen oder dem Walchsee oder an einer angelegten Eisbahn oder – wenn der Frost nachlässt – auch auf einer Asphaltbahn im Dorf. Schon vor über 50 Jahren wurde das Eisstockschießen bei den Olympischen Spielen in Innsbruck vorgestellt. Doch zur olympischen Disziplin konnte es sich bisher noch nicht hocharbeiten. Die meisten wollen auch eher Spaß damit haben, statt sportliche Wettkämpfe gewinnen.

Nach mehreren Runden Spielspaß siegt Christines Gruppe und alle kehren für einen Jagatee ins Gasthaus ein. Wirt Michael hat den Sport früher gern gemacht, jetzt kann er aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr mitspielen. Dafür betreut er den Snowtubing-Lift am Hang direkt gegenüber. Dort lassen sich klein und groß mit dem Po in luftgefüllte Gummireifen fallen und an einem Drahtseil den Berg hochziehen. Dann flitzen sie mit Tempo bergab. Manche jauchzen dabei, einer schreit, der Rest klammert sich erschrocken über die rasante Abfahrt an den Haltegriffen fest.

Rasante Abfahrten, nun ja, Helmut Winkler mag eher das sanfte „Auffahren“. Wenn die Winde günstig sind und die Sicht klar, fährt der humorvolle Mann mit Spitzbart mit seinem Ballon in die Luft. „Je nachdem wieviel Gas ich gebe, steigt man schneller oder langsamer hoch“, lacht er. Nacheinander klettern die Passagiere an Bord – in einen Weidenkorb, der schon mit vier hüfthohen Gasflaschen bestückt ist. Ehe man sich versieht, hat man den Boden unter den Füßen verloren und schwebt über dem fast zugefrorenen Walchsee. Zwei Langläufer bewegen sich am Ufer – klein wie Ameisen auf einem weißen Bettlaken. Bei guter Sicht hat man einen fantastischen Blick auf die umliegende Bergwelt. Aus dem wilden Kaiser ragen Felstürme, spitz wie die Zacken einer Krone. Die zahme Schwester hat einen sanft gewölbten Bergrücken. Viel zu schnell setzt Helmut wieder zur Landung an. Die ist so sanft, dass man sie gar nicht spürt.

 Heute ist Eisstockschießen ein beliebter Freizeitsport in der Region. Inzwischen gibt es in Österreich mehr als 500.000 Freizeitspieler.

Heute ist Eisstockschießen ein beliebter Freizeitsport in der Region. Inzwischen gibt es in Österreich mehr als 500.000 Freizeitspieler.

Foto: Monika Hippe

Die lustige Ballontaufe danach bleibt dem Neuling noch lange in Erinnerung. Erst zündet man ihm eine Haarsträhne an und löscht mit Sekt. Danach muss er schwören, dass er nie wieder Ballon „fliegen“ sagt, weil es „fahren“ heißt. Er muss sich einverstanden erklären, dem Piloten an Bord gehorsam zu folgen, und falls nicht, sich als Ballast abwerfen zu lassen.

Inzwischen dämmert es. Hinter dem zahmen Kaiser verabschiedet sich die Sonne mit leuchtenden Grüßen. Mit dem Sonnenuntergang ist allerdings ein Wintersporttag im Kaiserwinkl noch lange nicht zu Ende. Am Abend führt eine Winterwanderung hinauf zur Ottenalm. Zwei Meter hohe Schneewände flankieren den Weg. Dahinter lugen die Silhouetten der Berge hervor wie schlafende Riesen. Oben angekommen dringt Musik aus der Hütte. Drinnen hängen ein ausgestopfter Gams- und ein Stierkopf mit weißem Fell an der Wand. Inhaber Wolfgang Buchauer spielt auf der steirischen Knopfharmonika, während die Gäste sich die mit Almkäse und Speck gefüllten „Rodler-Rollen“ schmecken lassen.

Später parken draußen vor der Tür jede Menge Holzschlitten statt Autos. Fast jeder, der hier herauf kommt, will nach dem Essen die drei Kilometer lange Rodelstrecke wieder hinabschlittern. Rodeln ist in Tirol nicht nur eine Freizeitbeschäftigung für Kinder sondern auch für Erwachsene. Die Stirnlampe aufgesetzt und ab geht’s. Das erste Stück ist ziemlich steil, dann folgen einige Kurven, die mit großem Juchu gemeistert werden. Nach einer gefühlten halben Stunde ist man wieder unten.

 Wenn die Winde günstig sind und die Sicht klar ist, geht es mit dem Ballon hoch hinaus.

Wenn die Winde günstig sind und die Sicht klar ist, geht es mit dem Ballon hoch hinaus.

Foto: Monika Hippe

Weiße Atemwolken steigen in die Luft. Vor den Stirnlampen flirren kleine Eiskristalle. In dieser Nacht soll die Temperatur auf minus zehn Grad fallen. Morgen wird also wieder ein perfekter Tag. Fürs Eisstockschießen und all die anderen Winterfreuden im Kaiserwinkl.

Die Reise wurde unterstützt vom Tourismusverband Kaiserwinkl.

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