1300 Kilometer Schienen bis Lappland

Von Mora, einem kleinen Städtchen nordwestlich von Stockholm, zieht sich das Schienenband der "Inlandsbanan" etwa 1300 Kilometer nördlich durch das Binnenland. Als die Schwedische Staatsbahn die Strecke stilllegen wollte, gründeten 15 Anliegergemeinden kurzerhand eine eigene Regionalgesellschaft, die seit 1992 dafür sorgt, dass die rot-weißen Waggons noch immer durch die Wälder rollen.

Zugbegleiter Oskar stellt gleich mal klar, dass man ihn nicht mit dem Akkordeon spielenden Landstreicher Paradies-Oskar aus dem Kinderbuch "Rasmus und der Landstreicher" von Astrid Lindgren verwechseln solle. Mit einem nostalgisch anmutenden Schienengeklapper "Tacker-di-tacker" zieht der Diesel-Triebwagen auf einer schmalen Schneise durch den Wald, fast immer einspurig, vorbei an Kiefern und Birken. Die Züge können sich nur an einigen kleineren Bahnhöfen aneinander vorbeischieben.

"Trööt, Trööööt". Beim lauten Signal des Zugführers werden die Kameras gezückt. Vielleicht blockiert ja ein Elch oder ein Bär die Gleise. Doch der Alarm erweist sich als Vorsichtsmaßname wegen einer kleinen, die Schienen kreuzenden Straße. "Braunbären lassen sich nur selten sehen", sagt Oskar. "Allerdings: Wenn es eine Chance gibt, sie zu sehen, dann hier." Schließlich leben die meisten der 3000 schwedischen Braunbären in den einsamen Wäldern.

Bei Orsa bremst der Zug ab und überquert im Schritttempo auf einer stählernen Bogenbrücke die Schlucht Storstuped. In der Tiefe schäumt der wilde Emån, auf dem früher Flößer geschlagene Baumstämme flussabwärts bugsierten. Oskar nimmt Bestellungen für "Kanelbullar", schwedische Zimtschnecken, entgegen, die im historischen Bauernhof Fågelsjö, nahe dem nächsten Stopp, frisch gebacken und zum Zug geliefert werden.

Etwa 30 Passagiere verteilen sich auf die beiden Waggons der Inlandsbanan, die Hälfte von ihnen sind Schweden. Ein junges chinesisches Paar hält jeden Augenblick mit der Kamera fest. Mehrere deutsche Eisenbahnfreunde treffen auf gleichgesinnte Engländer, die ebenfalls eine weitere historische Schienenstrecke erkunden möchten.

Kurz vor Sveg dürfen alle aussteigen und die Mankell-Brücke, eine einspurige kombinierte Eisenbahn- und Straßenbrücke, zu Fuß überqueren. In dem 900-Seelen-Ort ist der schwedische Autor Henning Mankell, Autor der Kriminalromane um Kommissar Kurt Wallander, als Sohn eines Landrichters aufgewachsen. Die schwedische Landschaft zieht weiter unaufgeregt vorbei. Viel Grün, Wiesen und Wälder. Wieder ein Stopp auf freier Strecke. Jetzt sind tatsächlich Rentiere zu sehen, ein ganzes Rudel, das den Zug ungläubig anstarrt, sich dann aber mit ihren Kälbchen in den Wald trollt.

Kleine Orte mit wenigen rot-braun gestrichenen Holzhäusern liegen an der Wegstrecke, sie heißen Ytterhogdal, Häggenås oder Kåbdalis. Das winzige Museum der Inlandsbanan in Sorsele gibt einen Einblick in das entbehrungsreiche Leben der Landbevölkerung vor weniger als 100 Jahren, vom Trassenbau mit Pike und Schaufel und dem gefährlichen Job der Flößer.

Den Norden des schwedischen Königreiches darf man ungestraft als "unbewohnt" bezeichnen. Dort lebt im Durchschnitt weniger als eine Person auf einem Quadratkilometer. Lappland umfasst zwar ein Viertel der Landesfläche, zählt aber nur 1,3 Prozent der schwedischen Bevölkerung. Je weiter es nach Norden geht, desto einsamer wird es, der Anteil der Birken nimmt zu, waldige Hügel, Seen, Flüsse und Moore begleiten die Bahntrasse.

Kurz vor Jokkmokk einer der Höhepunkt der Bahnreise: "Denn was ist eine Schienenstrecke ohne Tunnel", mögen sich die Erbauer der Inlandsbanan gedacht haben und schufen den 50 Meter langen Nyborgtunnel. Jokkmokk selbst ist mit seinem Samenmuseum "Ájitte", dem fjällbotanischen Garten, mit Paddel- und kulinarischen Angeboten sowie mit vielen Produkten samischer Kunsthandwerker eine Reise Wert. Klar, dass der Zug am Polarkreis einen Sonderstopp einlegt. Das Fotomotiv lässt sich keiner der Passagiere entgehen.

Am Schlusspunkt in Gällivare wartet noch ein besonderes Angebot: Per Bus geht es auf den 823 Meter hohen Berg Dundret, ein Naturreservat mit Skigebiet im Winter. Im Sommer hat die Cafeteria "Fjällstugan" auf der Bergkuppe bis nach Mitternacht geöffnet. Die Mitternachtssonne in den sommerlichen weißen Nächten und der Panoramablick über die Weiten Lapplands sind der krönende Abschluss einer besonderen Schienenreise.

(RP)
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