„Zwei-Klassen-Medizin“ Stiftung fordert Abschaffung der privaten Krankenkassen

Düsseldorf · Das Nebeneinander von Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung führt aus Sicht der Bertelsmann Stiftung zu einer Gerechtigkeitslücke. Ein Gutachten fordert das Ende dieses dualen Systems.

 Das Angebot der Krankenkassen ist vielfältig.

Das Angebot der Krankenkassen ist vielfältig.

Foto: dpa/Jens Kalaene

Die Rede ist von Zwei-Klassen-Medizin. Deutschland ist das einzige Land in Europa, in dem ein duales System der Krankenversicherung besteht: 2019 waren 8,74 Millionen Bundesbürger privat versichert, die Gesetzlichen Krankenkassen hatten 73 Millionen Mitglieder. Seit Jahren steht dieses System in der Kritik.

Geht es nach Grünen, SPD und der Linken, soll so schnell wie möglich eine einheitliche Bürgerversicherung eingeführt werden.Schützenhilfe erhielten diese Forderungen am Montag durch eine Studie des Berliner IGES Instituts im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Aus deren Sicht gibt es nicht nur finanzielle Gründe für ein Ende des dualen Systems. Vor allem sprechen nach Ansicht der Autoren Gerechtigkeitsargumente gegen die Trennung von Gesetzlicher (GKV) und Privater Krankenversicherung (PKV).

"Die Aufspaltung der Krankenversicherung in einen solidarischen und einen privatwirtschaftlichen Zweig setzt erhebliche Anreize für eine Risikoentmischung zulasten der GKV", heißt es. "Nur wenn sich alle Versicherten unabhängig vom Einkommen zusammentun, um die Risiken zwischen Gesunden und Kranken auszugleichen, kann eine tragfähige Solidargemeinschaft entstehen", betont Brigitte Mohn, Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Das duale System schwäche den sozialen Zusammenhalt.

Laut Studie sind gesetzlich Versicherte im Schnitt weniger gesund als privat Versicherte: Letzte stellen also "gute Risiken" dar, die der GKV verloren gehen. Durchschnittlich gehen GKV-Versicherte etwas öfter zum Arzt (GKV-Versicherte 2,5-mal in den vergangenen drei Monaten, PKV-Versicherte 2,3-mal). Sie werden zudem deutlich häufiger stationär behandelt: 23 Prozent der gesetzlich Versicherten, aber nur 17 Prozent der privat Versicherten sind mindestens einmal im Jahr im Krankenhaus.

Aus Sicht der Studie besteht zudem die paradoxe Situation, dass gerade die finanziell leistungsstarken Versicherten in die PKV abwandern. Danach liegen die jährlichen beitragspflichtigen Einnahmen der PKV-Mitglieder mit im Schnitt 37.858 Euro 57 Prozent höher als die der GKV-Mitglieder mit durchschnittlich 24.149 Euro.

Wären alle PKV-Versicherten gesetzlich versichert, würde dies laut Stiftung zu Mehreinnahmen der GKV von 38,6 Milliarden Euro jährlich führen - bei zusätzlichen Ausgaben in Höhe von 28 bis 29,9 Milliarden Euro. Mit dem Überschuss von 8,7 bis 10,6 Milliarden Euro ließe sich eine Senkung des Beitragssatzes von 0,6 bis 0,7 Prozentpunkten für alle Versicherten finanzieren, heißt es. Wolle man die - bei Privatpatienten höheren - Honorare der Ärzte konstant halten, erforderte dies etwa 6,3 Milliarden Euro. Dann könnte der GKV-Beitragssatz mit dem verbleibenden Finanzüberschuss von 2,4 bis 4,3 Milliarden Euro immer noch um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte gesenkt werden.

Auf den Beitragszahler heruntergerechnet bedeutet das: Das durchschnittliche GKV-Mitglied zahlt jährlich 145 Euro dafür, dass Gutverdiener, Beamte und Selbstständige sich dem Solidarausgleich entziehen und Ärzte von privat Versicherten besser vergütet werden. Würde man die Verluste bei den Arzthonoraren kompensieren, wären es immer noch 48 Euro im Jahr.

Die Studie ergibt zugleich, dass das duale System vermutlich auch zu Fehlanreizen in der Versorgungslandschaft führt. Am Beispiel Bayern zeigt sich: Wo mehr PKV-Versicherte wohnen, gibt es auch mehr niedergelassene Ärzte.

Zugleich ist klar, dass sich die bestehende Struktur nur schrittweise umbauen lässt. Zunächst müssten beide Systeme angenähert werden - etwa durch einen Risikoausgleich zwischen GKV und PKV und die Einführung eines beihilfefähigen Tarifs in der GKV, um gesetzlich versicherte Beamte vor dem Verlust des Beihilfeanspruchs zu bewahren. Auch müsse der Wechsel von der PKV in die GKV unter Mitnahme der Alterungsrückstellung ermöglicht werden.

Ziel ist aus Sicht der Stiftung eine für alle Bürger verpflichtende Kranken- und Pflegeversicherung. Die Beiträge sollten sich an der finanziellen Leistungsfähigkeit, nicht am individuellen Gesundheitsrisiko orientieren. Und medizinische Leistungen sollten gleich vergütet werden - unabhängig davon, bei welchem Anbieter der Patient versichert ist.

(lukra/kna)
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