Schilderwald im Supermarkt Der vegane Wahnsinn

Düsseldorf · Dass Erbsen, Möhren und Wasser vegan sind, muss man sich nicht erklären lassen. Oder doch? In immer mehr Supermärkten hängen Schilder an den Regalen, die auf fleischfreie Produkte hinweisen. Der Verbraucher freut sich, sagt der Handel. Ein Trendforscher hält das für Hysterie.

Diese Produkte sind als vegan gekennzeichnet
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Foto: Jessica Kuschnik

Der Gang mit den Gemüsekonserven in einem Duisburger Supermarkt gleicht einem Schilderwald: Alle paar Meter machen Symbole mit dem Aufdruck "vegan" und "vegetarisch" den Einkäufer darauf aufmerksam, dass die Dose mit Erbsen-Möhren, das Glas mit den Gurken oder dem Rotkohl ohne tierische Bestandteile sind.

Auch Drogerien und Kleidungsgeschäfte versehen Lippenstift, Schuhe und Pullover vermehrt mit derartigen Schildern. Doch was steckt dahinter? Verbraucherfreundlichkeit? Marketingstrategie? "Wer das als Händler heute nicht macht, der gilt als nicht modern", sagt Andreas Steinle, Trendforscher und Geschäftsführer der Zukunftswerkstatt Workshop in Frankfurt am Main.

Der vegane Lebensstil liegt im Trend — und ist ein Wirtschaftsfaktor. Schätzungen des Vegetarierbundes (Vebu) zufolge leben in Deutschland rund 7,8 Millionen Menschen, die sich manchmal oder dauerhaft vegetarisch ernähren. "Marketingtechnisch macht es also Sinn, vegane und vegetarische Produkte zu markieren. Schließlich will der Handel diese verkaufen, und das kann man einem Unternehmen nicht vorwerfen", sagt Steinle.

Doch der damit einhergehende Etikettierungswahn könne bei den Kunden schnell von Freude in Unmut umschwenken. "Ich halte das für ein deutliches Zeichen der Hysterie. Rund um das Thema ist ein regelrechter Ernährungskult entstanden", sagt Steinle. Um es allen recht zu machen, neige man schnell zur Übertreibung. "Der Hardcore-Veganer möchte sicher, dass auf seinem Wasser steht, dass es vegan ist", sagt Steinle. Dann müsse aber auch sichergestellt sein, dass beim Produktionsprozess, Transport und anderen Zwischenschritten kein Tier zu Schaden gekommen ist.

Muss man sich dann etwa auch fragen, ob der Lieferant Lederschuhe getragen hat? "Wenn es absurd wird, hilft es niemandem mehr. Dann wird Transparenz zur Verwirrung", sagt der Trendforscher. Sein Rat: Nur Schilder, die eine wirkliche Information liefern, sind nützlich. Der Mensch habe zwar ein Informationsbedürfnis, doch der Grat sei schmal. "Ich will wissen, ob ein Produkt vegan ist, wenn das unklar ist. Sonst wird die Information zur Desinformation."

Bei der Supermarktkette real,- SB gibt es nach eigenen Angaben aktuell etwa 60 verschiedene Fleisch- und Wurst-Ersatzprodukte, 1000 weitere Artikel seien vegan und mit dem Gütesiegel vegan gekennzeichnet. "Davon kommen 234 im Geschäftsjahr 2015/16 neu hinzu", sagt Sprecherin Ilka-Nadine Mielke. Die Kunden freue diese Art der Transparenz in Form von Schildern — und die hätten durchaus ihre Berechtigung. "Die meisten Konserven enthalten beispielsweise Säuerungsmittel. Meistens ist es Ascorbin- oder Zitronensäure", erklärt Mielke. Es könne aber auch Essig sein, der eventuell durch den Einsatz von Gelatine geklärt wurde. Auch andere Produkte enthielten Zusätze tierischer Herkunft. "Aufgrund der Geringe des tierischen Anteils wird ein Hinweis auf dem Produktetikett nicht von jedem Hersteller angegeben."

Holen Händler wie real,- also nach, was der Hersteller verpasst oder verschwiegen hat? Der Vebu hält davon nicht viel und klagt, dass die "vegan-Kennzeichnung" der Supermärkte und Bekleidungsgeschäfte nicht in jedem Fall verlässlich sei. "In Deutschland ist weder der Begriff vegetarisch noch der Begriff vegan gesetzlich definiert und geschützt", sagt Vebu-Sprecherin Stephanie Stragies. Es bestehe somit die Gefahr, dass die Hersteller und Händler die Waren als frei von tierischen Stoffen deklarierten, das aber nicht genau überprüft haben.

Generell befürwortet der Vebu eine Kennzeichnung, etwa mit dem eigenen V-Label für vegane und vegetarische Produkte. Denn beim Thema lückenlose Transparenz hapert es im Handel noch. Das Unternehmen real,- etwa kennzeichnet "Marken- und Eigenmarkenprodukte aus bestimmten Warengruppen als 'vegan' beziehungsweise 'vegetarisch'" — immerhin ein Anfang. Bei anderen Produkten, die durchaus vegan sind, fehlt die Beschilderung.

Damit ist für den Schilderwald noch Luft nach oben, meint auch der Vebu: "Die Auszeichnungen werden in Zukunft noch weiter an Bedeutung gewinnen", sagt Stragies. Nur müsse das Produkt selbst unabhängig und verlässlich gekennzeichnet sein.

Und was sagen die Kunden dazu? "Ist doch super, dass ich schon auf den ersten Blick sehe, welche Produkte vegetarisch sind", sagt etwa Kundin Maike Riedel (32). Ihr Mann Thomas, ebenfalls Vegetarier, sieht das etwas anders: "Fehlt nur noch, dass sie ein Schild an jede Tomate hängen. Ich komme mir dabei irgendwie dumm vor."

(jnar)
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