Analyse Die Folgen der Heizkosten-Explosion

Berlin · Die privaten Haushalte müssen einen immer höheren Anteil ihrer Einkünfte für Strom und Heizung vorhalten. Energie-Experten raten der Regierung dringend, mehr Anreize für die energetische Gebäudesanierung zu setzen.

 Die privaten Haushalte müssen einen immer höheren Anteil ihrer Einkünfte für Strom und Heizung vorhalten.

Die privaten Haushalte müssen einen immer höheren Anteil ihrer Einkünfte für Strom und Heizung vorhalten.

Foto: dpa, Jan Woitas

Das Gelingen der Energiewende war das beherrschende Thema der ersten Kabinettsklausur der neuen Regierung in dieser Woche. Die Kanzlerin und der Vizekanzler erwähnten sie am Donnerstag in ihren Abschluss-Statements an etlichen Stellen. Das Wörtchen "Energie" ging Angela Merkel und Sigmar Gabriel in Verbindung mit dem Zusatz "Wende" und "Versorgung" insgesamt 24 Mal über die Lippen. Doch das Wort "Energieeffizienz" tauchte weder bei Merkel, die früher einmal Umweltministerin war, noch beim Energieminister auf.

Dabei ist die Steigerung der Energieeffizienz einer der Schlüssel für das Gelingen der Energiewende, wenn nicht sogar der wichtigste: Die Bürger verbinden den enormen Anstieg der Preise für Strom und Heizung in den vergangenen Jahren auch mit der Energiewende — obwohl der Ausbau des Ökostroms damit de facto nur zum geringeren Teil zu tun hat. Trotzdem sinkt die Akzeptanz der Energiewende, je stärker die Teuerung zunimmt. Mehr Energieeffizienz hilft gegen den Preisanstieg — und damit auch beim Gelingen der Energiewende.

Wie sehr die Teuerung bei den Heizkosten zu Buche schlägt, zeigen neue Daten aus dem Bundesumweltministerium. Demnach stiegen die Energiekosten für die privaten Haushalte seit 2002 um enorme 43 Prozent, die Einkommen dagegen lediglich um 17 Prozent. Ein immer höherer Anteil der Einkünfte entfällt also auf Strom und Heizung, den Haushalten bleibt weniger für andere Ausgaben. Im Durchschnitt musste ein Vier-Personen-Haushalt im vergangenen Jahr bereits 3,9 Prozent seiner Einkünfte für Heizung und Warmwasser reservieren, wie aus einer Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion hervorgeht. 2002 waren es erst 2,8 Prozent. Besonders betroffen sind davon einkommensschwache Haushalte, deren Energiekosten-Anteil an den Einkünften von 4,7 auf 6,5 Prozent bis 2013 noch deutlicher in die Höhe geschnellt ist. Die Ursache des Heizkostenanstiegs liegt ganz wesentlich in den gestiegenen Heizölpreisen: 100 Liter Heizöl kosteten 2002 noch 35 Euro, heute sind es bereits 84 Euro. Aber auch Erdgas wurde teurer.

Etwa die Hälfte aller Haushalte verfügt zudem über Heizungsanlagen, die älter als 20 Jahre sind. Davon seien die meisten Gasfeuerungsanlagen, gefolgt von Ölheizungen, heißt es in der Antwort. Diese entsprechen nicht den modernen Standards und verbrauchen besonders viel Energie. Etwa 400 000 Öl- und Gasheizungen sind nach Angaben des Schornsteinfegerhandwerks sogar vor dem 31. Januar 1978 installiert worden. Wie viele nach der Energieeinsparverordnung von 2009 gar nicht mehr betrieben werden dürften, sei der Regierung aber nicht bekannt, heißt es in der Antwort. Jährlich würden 2,8 Prozent der Heizungsanlagen modernisiert.

Nach Energieeffizienz-Maßstäben ist das zu wenig. Doch viele Hausbesitzer verfügen nicht über das Geld, um neue Heizungen einzusetzen. Auch die Alterung der Gesellschaft spielt eine Rolle: Ältere Bewohner glauben oft nicht, dass sich eine Modernisierung der Heizung für sie noch lohnt. Und auch von der Politik wird das Thema Energieeffizienz noch immer vernachlässigt — trotz aller vollmundigen Ankündigungen.

Der bisherige Umweltminister und heutige Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) hatte das Potenzial zwar erkannt, das sich aus strom- und wärmesparenden Gebäude-Investitionen ergibt. Doch seine Programme zur Förderung der Investitionen blieben aus oder waren zu gering. Auch die neue Regierung enttäuschte die Erwartungen von Hausbesitzern und Wohnungsgesellschaften: Der Koalitionsvertrag enthielt am Ende doch keine steuerlichen Anreize für mehr Investitionen in die energetische Gebäudesanierung.

"Der Bedeutung einer Steigerung der Energieeffizienz für das Gelingen der Energiewende wird im politischen Handeln bisher nicht ausreichend Rechnung getragen", heißt es in einer in dieser Woche erschienenen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Wenn es nicht gelinge, durch zusätzliche Anreize die Energieeffizienz von Wohngebäuden zu verbessern, "lassen sich die Klimaschutzziele, aber auch die Ausbauziele für erneuerbare Energien deutlich schwerer erreichen". Jeder Euro, der in moderne Heizungen, neue Fenster oder ein gedämmtes Dach fließe, käme nicht nur dem Klima zugute, sondern brächte auch mehr Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze, hat das DIW errechnet. Bis 2020 könne das Wachstum um einen halben Prozentpunkt pro Jahr höher ausfallen, und 30 000 Arbeitsplätze könnten entstehen, wenn die von der Regierung gesetzten ehrgeizigen Einsparziele erreicht würden, so die Studie.

Doch davon ist Deutschland weit entfernt. Im Energiekonzept der Bundesregierung von 2010 wurde als Ziel festgelegt, den primären Energieverbrauch des Landes bis 2020 um 20 Prozent und bis 2050 um 50 Prozent gegenüber 2008 zu senken. Dies erfordert pro Jahr eine Steigerung der Energieproduktivität — das ist das Verhältnis zwischen Wirtschaftsleistung und dem Energieverbrauch — um durchschnittlich 2,1 Prozent. Doch tatsächlich liegt sie bisher nur bei 1,3 Prozent. Eigentlich sollten jedes Jahr zwei Prozent der Häuser modernisiert sein, doch derzeit steigt die Quote nur um ein Prozent pro Jahr.

Je weniger Strom die Deutschen verbrauchen, desto weniger teure Kraftwerkskapazitäten müssen sie vorhalten und neu errichten, desto mehr Spielraum bleibt für andere Investitionen. Je erfolgreicher die Haushalte Strom sparen, desto weniger werden sie unter dem weiteren Anstieg der Heizkosten leiden. Und je mehr Strom die Verbraucher sparen, desto mehr tun sie für den Klimaschutz, und umso besser sind sie gewappnet, den Folgen des Klimawandels zu begegnen. Vielleicht kommen ja auch Merkel und Gabriel noch darauf.

(mar)
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